Blut statt Boden

Im Juni wurde in Irland per Referendum das Staatsbürgerschaftsrecht zu Gunsten einer restriktiveren Gesetzgebung geändert. Und damit kurzerhand die Verfassung. von petra tabeling

Viel besungen in irischen Balladen, verewigt im »Ulysses« von James Joyce: Das ist die Moore Street im Herzen Dublins. Früher war diese Straße fest in der Hand irischer Händler, die hier ihre Waren anboten, vor allem Gemüse, Fisch, Zigaretten und irische Erdbeeren. Heute reihen sich chinesische und vietnamesische Restaurants neben Telefonkartenlädchen und Afro-Shops. Eine neue multikulturelle Vielfalt in der grünen Inselrepublik, die lange Zeit als Emigrationsland galt. Doch einige Iren, wie die Gemüsehändlerin Brenda, empfinden die bunten Läden in der Moore Street nicht nur als lästige Konkurrenz, sie sieht die Asiaten auch nicht gerne als Kunden: »Ich mag ihre hochnäsige Art nicht, sie spucken dir vor die Füße.«

Brenda gehört zu denjenigen Iren, die am 11. Juni im Referendum gegen die Einbürgerung von Flüchtlingskindern, die auf irischem Boden geboren werden, gestimmt hat – und damit zu der überwältigenden Mehrheit von 80 Prozent der Bevölkerung, die sich für eine Verschärfung des Staatsbürgerschaftsrechts entschieden haben. Die automatische Einbürgerung von Kindern, die auf irischen Boden geboren werden, ist nun abgeschafft.

Ist Irland, »the Land of Thousand Welcomes«, damit zu einer Insel voll fremdenfeindlicher Bewohner geworden? Das haben sich auch die zahlreichen NGO, Oppositionelle und die restlichen 20 Prozent gefragt, die dagegen gestimmt haben. Nach der verlorenen Wahl herrschte Enttäuschung bei den Gegnern. Zum Beispiel bei der Labour-Abgeordneten und Rechtsanwältin Ivana Bacik. Die Labour-Partei hatte sich neben Sinn Fein gegen das Referendum ausgesprochen. Die Zeit für eine Gegenkampagne war aber knapp, da die Regierung bereits im Februar beschlossen hatte, das Referendum am gleichen Tag wie die Europawahl durchzuführen. »Niemand hatte genug Zeit. Alle unsere Ressourcen selben für die EU-Wahl drauf«, sagte Bacik der Jungle World.

Peter O’Mahoney, Vorsitzender des irischen Flüchtlingsrates, glaubt nicht, dass das Ergebnis automatisch bedeutet, dass die Iren fremdenfeindlicher seien als andere. Die Regierungspartei Fianna Fail von Bertie Ahern habe nur die Stimmungen und die Zeit für sich spielen lassen. Aherns Justizminister John O’Donoghue fühlte sich offenbar angesichts der plötzlichen Zunahme von Asylanträgen in der Republik Irland unter Druck gesetzt: über 11 600 im Jahr 2002, 1992 waren es nur 39. Die Regierung spricht von Schlupflöchern und einer vermeintlichen Angleichung der Asylpolitik an die EU-Normen, schließlich sei Irland das einzige Land in der EU, das sich den Luxus des »ius soli« leiste. Die jetzige Praxis habe angeblich viele Schwarzafrikaner oder Rumänen dazu verleitet, Kinder in Irland zu bekommen, um sich dadurch ihr Aufenthaltsrecht zu sichern.

Doch eine solche Garantie hat es nie gegeben. Und das Justizministerium hat auch Familien mit irischen Kindern abgeschoben. Nun hat John O’Donoghue das in der Verfassung von 1922 verankerte Grundrecht aber doch endgültig per Referendum abgeschafft: Heute kann ein Kind nur dann irischer Staatsbürger werden, wenn zumindest eines der Elternteile drei der letzten vier Jahre legal im Land gearbeitet und gelebt hat oder die irische Staatsbürgerschaft besitzt.

Die Migrationspolitik O’Donoghues ist seit längerem umstritten. »Die bestehende Asylgesetzgebung ist völlig veraltet, eine neue Reform gibt es nicht. Irland hat gar keine Asylpolitik«, meint Ivana Bacik. »Die Zahl der Asylanträge war schon 2003 drastisch gesunken, und die Lebens- und Wohnbedingungen für Flüchtlinge und Asylbewerber sind schlecht. Sie leben am Rande des Existenzminimums und dürfen solange nicht arbeiten, bis ihr Antrag bewilligt wird. Das kann Jahre dauern. Das Argument der Anpassung an eine einheitliche EU-Migrationspolitik ist schlichtweg falsch, weil bisher noch jedes Land der EU über seine Einbürgerungsrechte selbst bestimmen kann«, so Bacik. Die 35jährige Rechtsanwältin und Gastprofessorin für Recht am Trinity College in Dublin ist eine der schillernden Persönlichkeiten im Lager der Kampagne »Vote ›No‹ to the Referendum!« und eine gegen eine restriktive Einwanderungspolitik engagierte Politikerin. Und sie ist selbst Enkelin eines tschechischen Einwanderers, der in Waterford eine Glasfabrik gründete.

Wegen seines Wirtschaftswachstums wurde Irland oft als »keltischer Tiger« bezeichnet, doch der Aufschwung hinterlässt auch eine gewaltige soziale Kluft. Der Preis eines Wohnhauses ist in den letzten zehn Jahren um ein Vielfaches gestiegen, die Lebenshaltungskosten liegen deutlich über dem EU-Durchschnitt. Da bleiben diejenigen auf der Strecke, die solche Ausgaben nicht bestreiten können und nicht hoch qualifiziert sind.

Doch auch Irland braucht billige Arbeitskräfte. 2002 und 2003 wurden über 40 000 Arbeitsvisa ausgestellt. Philippinische Krankenschwestern, Bauarbeiter aus der Ukraine, chinesische Thekenkräfte: Arbeitskräfte für Billiglohnjobs, die der Boom vor allem in der Hauptstadt mit sich gebracht hat. Ein chinesischer Bankangestellter, der sich sein Mittagessen bei den Landsleuten in der Moore Street holt, findet das gut: »Irland braucht uns doch, gegen das Referendum habe ich nichts, es betrifft mich ja nicht, weil ich kein Flüchtling bin, sondern hier arbeiten darf. Und meine irischen Kollegen sind sehr freundlich.«

Aber nicht alle sehen das so. Vor allem nicht diejenigen, die bereits vor Jahrzehnten nach Irland kamen und eine verschwindend geringe Minderheit darstellten. Zum Beispiel die 28jährige Jen Chade, Tochter von vietnamesischen Flüchtlingen, deren Eltern als »Boat People« nach Irland kamen. Jen ist heute im IT-Business beschäftigt, wuchs hier auf, ging zur Schule und zur Universität, fühlt sich »pure Irish«, sagt sie mit einem starken irischen Akzent. Nur sieht sie nicht so aus: »Früher haben mich die irischen Kinder oft deswegen gehänselt, aber jetzt fängt das wieder an. Kinder kann man entschuldigen, aber jetzt beschimpfen mich auch Erwachsene. Mittlerweile gibt es so viele Asiaten hier. Wenn Leute schlechte Erfahrungen mit ihnen machen, dann fällt das auch auf mich zurück. Weil ich eben so aussehe wie sie.«

Im Sommer 2002 wurde in Dublin ein Chinese auf offener Straße so schwer verprügelt, dass er kurze Zeit später starb. Erst vor wenigen Tagen wurde aus dem südlichen Cork ein Übergriff auf Nigerianer gemeldet. Noch stehen solche Nachrichten auf Seite eins der Tageszeitugnen und lösen allgemeine Bestürzung aus.

Es gibt allerdings auch Medien, die die schlechte Stimmung gelegentlich schüren durch Schlagzeilen wie »Gratis Autos für Asylbewerber«, beobachtet Chinedu Onyejelem, Herausgeber der einzigen Zeitung für Migranten, Metro Eireann. Das monatliche Magazin hat sich schnell etabliert. Heute wird Chinedu zu Podiumsdiskussionen eingeladen und diskutiert mit Vertretern der Regierung. »Wir sind zwar eine Minderheit hier, aber nicht alle sind Flüchtlinge und Sozialhilfeempfänger. Nur so wurden wir bislang in der irischen Öffentlichkeit wahrgenommen. Wir stellen aber auch eine Kaufkraft und Arbeitskräfte dar und bringen neue Kulturen mit. Wir müssen weg von unserem schlechten Image.«

Da ist die just ausgeschriebene Frequenz für den ersten Multikulti-Sender schon ein Hoffnungsschimmer. Und es gibt noch einen positiven Nachschlag zum Referendum: Asylbewerber dürfen zwar nicht arbeiten, worüber weiter gestritten wird, aber bei den Kommunalwahlen durften sie erstmals wählen.