Berlin, verdufte!

In Berlin trällern die Vögel zu laut und der Stadt fehlt »das gewisse Etwas«. Ab nach Hamburg, empfiehlt iven fritsche, hamburg

Berlin, Berlin! Was für eine tolle Stadt!« Ich kann’s nicht mehr hören. Ich glaube, die meisten finden Berlin nur deshalb toll, weil sie denjenigen, die Berlin toll finden, nacheifern. Mit Anfang 20 war ich oft in Berlin. Fasziniert hat mich diese Stadt schon damals nicht. Ich bin nur mitgefahren. Weil mein Freund eine Freundin besuchen wollte. Ich war bloß Gepäck. Dann war ich über acht Jahre nicht in Berlin, ohne den langen Zeitraum bemerkt zu haben. Obwohl einige Freunde nach Berlin gezogen sind, fanden sich immer Gründe und Ausreden, sie nicht zu besuchen.

Ein ganz besonderer Freund, der mich in Hamburg bei jeder sich bietenden Gelegenheit besucht, nörgelte aber über Jahre beständig wegen meiner überfälligen Gegenbesuche. So bin ich im vergangenen Herbst erstmals wieder in Berlin gewesen. Und neulich nochmal, für zwei Wochen. Was für eine furchtbare Stadt. Am liebsten würde ich nie wieder kommen. Wenn der Freund nicht wäre …

An Berlin ist nicht alles schlecht. Berlin ist bloß eine halb verfaulte Birne. Wenn man so will, ist die Hälfte noch gut. So ist Berlin verstörend billig. Als Hamburger vergisst man leicht, dass man in der zweitteuersten Stadt der Republik lebt. Da möchte man an jedem billigen Ort im Land wahnsinnig werden vor Glück. Längst hat man sich damit abgefunden, für heruntergekommene Zwei-Zimmer-Wohnungen 500 Euro abzudrücken, kalt, versteht sich. Ähnlich schlechte Wohnungen von fast doppelter Größe in Berlin? Mit ein bisschen Glück 350 Euro, warm! Currywurst mit Pommes kosten in Hamburg gern 4,30 Euro. Da sind Thüringer Würstchen an allen Ecken für einen Euro sagenhaft. Man muss aber aufpassen: Selbst im teuren Hamburg würde für die mickrigen Döner auf Berlins Straßen niemand zwei Euro verlangen. Manchmal kleben in Hamburg riesige Schilder an den Imbissbuden: »Billig! Döner nur 1,50!« Da halbiert sich aber nicht nur der Preis, sondern auch die Portion.

Die Radwege in Berlin sind noch schlechter als in Hamburg, aber auf merkwürdige Weise ist Berlin radfahrerfreundlich. Man wird nämlich wahrgenommen. Keine hupenden Autos auf den Straßen, kaum desorientierte Fußgänger. Sogar auf dem Fußgängerweg sehen sie einen und gehen zuvorkommend zur Seite, statt sich zu beschweren. In Hamburg ist das undenkbar. Da beschweren sich die Fußgänger sogar, wenn sie auf dem Radweg im Wege stehen, sie lassen sich nur hartnäckig zur Seite klingeln, eher verfallen sie in Pöbeleien. Die Autofahrer vergessen kreuzende Radwege, sie schneiden einen böse beim Überholen und nehmen einem die Vorfahrt. Ständig, dauernd und immer, als hätten sie ihr Hirn aus dem Seitenfenster geworfen. Ich werde jeden Tag ungefähr 20 Mal totgefahren.

Es gibt kaum Polizei im Stadtbild Berlins. Dabei ist Berlin doch Regierungssitz. Und angeblich haben wir doch alle »Terrorangst«. Berlin ist eben auch keine Polizeistadt wie Hamburg.

Die Vögel trällern in Berlin penetrant laut! Ein Phänomen, an das ich zunächst nicht glauben mochte. Ich höre gern trällernde Vögel. Besonders in den Morgenstunden, wenn ich besoffen nach Hause irre. Die Vögel verleihen meinem bedenklichen Zustand eine besinnliche, beinahe poetische Note. In Berlin jedoch geht mir das Gezwitscher ganz gehörig auf den Keks. Warum sind die Viecher hier so penetrant?! Müssen sie sich lauter als woanders gebärden, weil es eben nicht x-beliebige, sondern ganz besondere, Berliner Vögel sind? Wie ich in Erfahrung bringen konnte, passen Vögel ihre Lautstärke der Umgebung an: Laute Stadt, laute Vögel.

Natürlich ist in Berlin jede Menge los, viel mehr als anderswo. Haufenweise Theater, Museen, große Kunst, Flohmärkte, gleich drei Opern und was nicht alles. Und Kneipen über Kneipen. Ein Eldorado für Alkoholiker. Und die schwule Szene Berlins ist unvergleichlich in ihrer Vielfalt. Die schwulen Szenen, muss man eher sagen. In Hamburg wird oft gejammert, es gebe so wenig in dieser großen Stadt. Das ist schon ein Phänomen: In Hamburg ist praktisch jeder Laden konkurrenzlos, obwohl es ihn gut und gern dreimal geben sollte. Quantität sagt aber wenig. Man hat zwar in Berlin die Wahl, man hat aber auch die Entfernungen. Erst in die Motzstraße zum Vögeln und dann auf’n Absacker zum Prenzlauer Berg? Nee, wirklich nicht. Schnell finden sich zwei, drei, auf jeden Fall wenige Läden, wo man öfters hin will, und der Rest der Szene verliert seinen verführerischen Reiz.

Was macht nun Berlin so schlecht, dass ich die Stadt geradezu scheiße finde? Ganz einfach, die Vorzüge zählen nichts, solange die Stadt »das gewisse Etwas« nicht hat. Berlin fehlt nämlich etwas Grundlegendes. Etwas, das eine Stadt einfach braucht. Nämlich Atmosphäre. Berlin ist ein zerfranstes, riesiges Geschwür, mehr nicht. Radelt man kreuz und quer mitten durch Berlin, z.B. von Steglitz über Charlottenburg, Moabit, Mitte, Kreuzberg nach Neukölln und dann über Tiergarten-Süd und Schöneberg zurück, so ist man stundenlang unterwegs, hat aber doch nur Gleiches gesehen. Ich meine keine schönen Eckchen, beschaulichen Orte hier und da. Die gibt’s überall. Es geht um den Charakter eines Viertels, seinen Charme. In den unverwechselbaren Quartieren ruht die Seele einer Stadt. In Berlin muss man danach suchen und wird nur schwer fündig. Hamburg hat eine atmosphärische Dichte, die ihresgleichen sucht. In Hamburg kannst du quasi irgendwo losgehen, in irgendeine Richtung, und viertelstündlich erreichst du ein ganz eigenes, beschauliches Viertel. Mit einem Charakter und einem Charme, den es woanders in der Stadt nicht gibt. Das ist das besondere Kapital Hamburgs. Berlin belächelt das. »Ach, Hamburg, wie überschaubar, alles so dicht beieinander, wie piefig.« Ganz schön dumm.

In Berlin glaubt man auch, der arme Hamburger leide ständig am vermeintlichen Hamburger Schietwetter. Um damit aufzuräumen: Es gibt dieses Wetter. Wenn wir Pech haben, auch mal wochenlang – und zwar im Herbst. Ansonsten herrscht in Hamburg ein angenehmes atlantisches Klima. Die Elbe und die Alster sorgen in Hamburg für einen beständigen Luftaustausch. Und deshalb ist die Luft gut. Berlin will mit seiner Luft seine Menschen wohl ersticken! Für mich als Asthmatiker waren zwei Wochen Berlin jedenfalls ein echter Kampf.

Es sind aber gar nicht so sehr die städtischen Belange, die mich an Berlin wirklich stören. Es kostete mich gar nichts, darüber hinwegzusehen, wenn es da nicht eine »Berliner Eigenart« gäbe. Das wirklich Unangenehme an Berlin ist eine unterschwellige, stets durchdringende arrogante Note Nichtberlinern gegenüber. Das drückt sich schon in einem subtilen Bedauern darüber aus, dass man von woanders kommt und dorthin wieder zurück muss, um dort zu leben. Ich bekomme das nicht nur in Berlin zu spüren. Ich habe das sogar an etlichen Berlinern, die einen guten Grund gehabt haben müssen, nach Hamburg zu emigrieren, feststellen können. Und die Worte, mit denen die mir schildern, weshalb sie die Schnauze voll haben von Berlin, sind gar nichts gegen die Kleinigkeiten, die mir so aufgefallen sind!

Oh ja, es mag auch Alt-Berliner, Echtberliner, Eingesessene geben, die nicht selbstherrlich sind und von ihrer Stadt glauben, es sei das Paradies, bloß weil alles andere nicht interessiert. Begegnet bin ich solchen Leuten aber nicht.