Die Schlacht um Algier

Vertreter Frankreichs und der USA werben um die Gunst der algerischen Regierung. Auch über eine stärkere militärische Zusammenarbeit wird verhandelt. von bernhard schmid, paris

Groß ist das Gedrängel, denn jede Seite will die Nase vorn haben. Unternehmen derzeit die US-Amerikaner eine Initiative in Algerien, lässt das sogleich bei den Franzosen die Alarmglocke klingeln. Zeigen umgekehrt Frankreichs Politiker Präsenz, kann die US-Regierung nicht lange stillhalten.

So auch vorige Woche. Am Montag und Dienstag weilte der Pariser Außenminister Michel Barnier in der Hauptstadt der ehemaligen französischen Kolonie. Von Freitag bis Sonntag folgte ihm dort seine Kollegin vom Verteidigungsministerium, Michèle Alliot-Marie (»Mam«). Doch am Montag erfuhren die Algerier von der Titelseite der Tageszeitung El Watan, dass sich auch die Amerikaner »nach Algier einladen«.

Alina Romanowski, Staatssekretärin im US-Außenministerium, hatte von Dienstag bis Donnerstag vergangener Woche dringende Termine in Algier. Nach offiziellen Angaben sprach sie über Alphabetisierung und die Rolle der Frauen in der Zivilgesellschaft. Freilich gab die Presse des Landes ihrer Stippvisite eine andere politische Bedeutung. Umgehend dementierte Michel Barnier im Interview mit dem Quotidien d’Oran: »Die Idee, wonach es eine französisch-amerikanische Rivalität in Algerien gebe, ist so zählebig wie falsch. Die Erneuerung unserer Beziehungen entspricht schlicht der hohen Erwartung unserer beiden Völker.«

Dagegen hatte der US-Botschafter in Algerien, Richard Erdmann, zwei Monate zuvor in derselben Zeitung auf die Frage nach einem »Wettlauf zwischen Franzosen und Amerikanern um das algerische Erdöl« geantwortet: »Das ist eine Realität, die die Algerier verstehen. Aber was uns betrifft, wir sind sehr pragmatisch.«

Anlässlich des Staatsbesuchs der beiden französischen Regierungsmitglieder, denen noch in diesem Monat Wirtschaftsminister Nicolas Sarkozy folgen soll, wurden Pläne zum Abschluss eines neuen Abkommens zwischen Paris und Algier publik. Anlässlich seines vorletzten offiziellen Besuchs im März 2003 hatte der französische Präsident den Abschluss eines allgemeinen Freundschaftsvertrags beider Länder angeregt. Die Freundschaft will er nun dadurch vertiefen, dass erstmals seit der Unabhängigkeit Algeriens auch eine »Verteidigungskooperation« vereinbart werden soll.

Damit reagierte Paris auf die bereits begonnenen militärischen Aktivitäten der US-Amerikaner in Algerien. Im Juli 2003 berichtete die New York Times, das Pentagon suche »langfristigen Zugang zu Basen in Ländern wie Mali und Algerien, die amerikanische Streitkräfte für periodisches Training oder für Schläge gegen Terroristen nutzen könnten«. Die USA betrachteten die Sahara als neuen Operationsraum »von terroristischen Gruppen einschließlich al-Qaida«.

Das algerische Regime, an einer Kooperation mit westlichen Führungsmächten interessiert, betont die islamistische Gefahr. Die GSPC (Salafistische Gruppe für Predigt und Kampf) sei mit dem Netzwerk al-Qaida liiert und selbst in der Sahara aktiv. In Wirklichkeit handelt es sich freilich eher um eine lockere Kooperation zwischen der GSPC und Schmugglerbanden, die traditionell in der Wüste lebenden Bevölkerungsgruppen entstammen und bei denen Gruppen wie die GSPC Gewehre und Munition einkaufen. Die algerischen Islamisten stammen fast alle aus dem großstädtischen Raum und finden heute Unterschlupf in bewaldeten Bergregionen.

Doch ungeachtet des Mangels an zu bekämpfenden Terroristen wird die militärische Zusammenarbeit ausgebaut. Im März 2004 meldeten die algerische Presse und die Nachrichtenagentur Reuters, US-Militärausbilder befänden sich im Süden des Landes, um dort »den algerischen Streitkräften im Rahmen des antiterroristischen Kampfes Beistand zu leisten«. Die Bush-Administration habe erfolgreich Druck auf den Kongress ausgeübt, um den Verkauf von Militärtechnologie durch US-Rüstungsfirmen an Algerien genehmigen zu lassen.

Zuvor herrschte ein faktischer Lieferstopp für amerikanische Waffen. Während des Kalten Krieges war Algerien mit der Sowjetunion verbündet, später waren Waffenlieferungen unter anderem wegen Einwänden des eng mit den USA verbündeten Marokko marginal. In den gesamten neunziger Jahren wurden einem Bericht der Verteidigungskommission des US-Kongresses zufolge Waffen für 19 Millionen Dollar geliefert, seit dem Jahr 2002 verkauften die USA den Algeriern hingegen Militärausrüstung im Wert von 500 Millionen Dollar.

Mit der Bedrohung der algerischen Bevölkerung durch bewaffnete Islamisten, die in den neunzigerer Jahren sehr real war, kann ein Ausbau der Zusammenarbeit heute kaum begründet werden. Der Islamismus in seiner radikalen, bewaffneten Variante hat eine schwere Niederlage doppelter Art erlitten, gegenüber dem Staat und gegenüber der Gesellschaft. Die letzte verbliebene ernst zu nehmende bewaffnete Gruppe ist die GSPC, die allgemeiner Einschätzung zufolge heute rund 400 bewaffnete Mitglieder im Landesinneren hat. Die Salafistengruppe ist jedoch derzeit sehr geschwächt, ihre gesamte Inlandsführung wurde am 18. Juni bei einer Armeeoperation getötet.

Eine weitere Rechtfertigung liefert die Berufung auf Demokratisierungspläne für die Region, wie die von der US-Administration vorgeschlagene Greater Middle East Initiative. Algeriens Präsident Abdelaziz Bouteflika gilt sogar als Vorbild, da er sich als einer von wenigen arabischen Staatschefs positiv auf die darin formulierten Ziele bezog. Als einziger Staatschef eines arabischen und afrikanischen Landes durfte Bouteflika während des G 8-Gipfels im Juni in Sea Islands auf Einladung von George W. Bush am gesamten Konferenzprogramm teilnehmen.

In Algerien findet jedoch kein Demokratisierungsprozess, sondern eine neue autoritäre Wende statt. Während seine Amtsvorgänger in den achtziger und neunziger Jahren noch eine kollegiale Führung, größerenteils unter Militärs, praktizierten, versucht Bouteflika alle Macht in seiner Person zu konzentrieren. Die Unabhängigkeit, die die algerische Presse seit dem Zusammenbruch des alten Einparteienstaates 1988/89 gewonnen hatte, will er jetzt endgültig beseitigen. Seit Juni häufen sich Prozesse, die Staatsorgane oder Honoratioren gegen Journalisten anstrengen, und Inhaftierungen von Journalisten. Der Chefredakteur der Tageszeitung Le Matin, Mohammed Benchichou, wurde unter dem Vorwand eines Finanzvergehens zu zwei Jahren Haft ohne Bewährung verurteilt. Für das Jahresende hat die Regierung ein neues, drakonisches Pressegesetz angekündigt. Nunmehr sollen die Journalisten »für jedes Komma in ihren Artikeln geradestehen«, drohte Premierminister Ahmed Ouyahia am 9. Juli.

Statt kritischen Stimmen sollen die Algerier lieber den Worten ihres Präsidenten lauschen. Anfang Juli berichtete El-Watan, im vorletzten Jahr seien drei Stunden und 40 Minuten täglicher Redezeit für Abdelaziz Bouteflika auf dem einzigen Kanal des algerischen Fernsehens gemessen worden. Da können auch Ägyptens Präsident Hosni Moubarak und Syriens Bashar al-Assad, deren Regimes als weit repressiver denn das algerische gelten, nicht mithalten. Allerdings haben die meisten Algerier Satellitenschüsseln.