Freches Popcorn

Botho Strauß kommentiert die Welt

Wie kennt man Botho Strauß? Man kennt ihn so, wie Botho Strauß sich selbst gern sieht: als einen einsamen Denker in der Uckermark, als deutschen Dichter in der Provinz, die Hektik und den Lärm der Stadt meidend, deren Nähe er allerdings sucht. Und selbstredend ist Berlin Straußens Stadt. Welche Stadt würde auch besser zu jemandem passen, der gleich, wenn er etwas fühlt, deutsch denkt, und daher stets, wenn er »ich« sagen will, »wir« schreibt. Strauß also will der Deutschen Geist sein; ähnlich vernunftlos wie Walser gibt er Laut, wenn ihm etwas missbehagt, denn er ist ja wir und fühlt aller Schmerzen. Wenn er liebt, dann spürt er »die Liebe«, wenn er lebt, dann ist es »das Leben«, wenn nicht gar »das Sein«, über welches er redet, denn ihm ist alles stets total. Der Autor ist kein Ich, sein Leben ihm kein Material, doch im Kopf hat er gleich die ganze große Welt.

In seiner neuesten Sammlung von, wie es der Verlag nennt, »Ideen, Betrachtungen und Meditationen zum Stand der Dinge«, glücken ihm, neben den für Strauß üblichen grammatikalischen Wunderbarkeiten – da der totale Geist nicht irrt, kann man sie nicht Fehler nennen –, allerlei putzige Sätze, die er für großgeistig hält. Etwa der schöne Aphorismus: »Allein, Diminutiv von All«. Angesichts dessen erschrecken die Mystiker, schämen sich die Romantiker und Kurt Hiller und Franz Blei speien in ihr Grab. Sie alle haben etwas falsch gemacht, wenn sich ein derartig fauler Denker in ihrer Tradition wähnen darf. Einzig Ernst Jünger und Heidegger wären stolz.

Lustig auch, wenn Strauß ausführlich wird: »Die Stimmungen im Land ziehen dahin wie die Wolkenschatten über unsere Weide. Befindlichkeiten sondieren, das ist, als wollte einer Badeschaum an die Wand nageln. Aber die Gestimmtheit eines Menschen, mit der er der Welt begegnet, ein dauerhaftes Konzept seiner Irrationalität, wie steht es um sie? Vor dreißig, vierzig Jahren war verbreitet die Gestimmtheit der Angst. (Schrecken der Kernspaltung, Ölschock etc.) Inzwischen überwiegt allgemein eine Gestimmtheit, die einerseits von Funktionslust, von großer Weltbeholfenheit geprägt ist, andererseits von großer Enttäuschung. Denn das meiste ward nicht, wie es versprach zu werden. Allerdings geschah das Weltbewegende in letzter Zeit unverheißen und überraschend. Darauf kann man sich aber nicht einstellen. Die Ahnungslosigkeit des Menschen bleibt die letzte Unschuldsressource dieses Bewusstseinssauriers.« Wer nur die Wolkenschatten beobachtet, ahnt nichts von dem, was die Welt bewegt. Da er sich aber für »den Menschen« hält, schreibt er sich seine Ahnungslosigkeit in Schauderdeutsch von der Seele.

In der FAS war vor einigen Monaten über Strauß zu lesen: »In seinem Wohnhaus hat er ein großes DVD-Kino eingerichtet. Da schaut er alte Filme von Buñuel und Alfred Hitchcock. Aber vor allem auch Zukunftsvisionen wie Spielbergs ›A. I.‹ und ›The Matrix‹. Samstagnachmittags lädt er sich immer Freunde aus dem Dorf zum DVD-Kino-Tag ein. Popcorn und Chips und Lärm jeder Art sind verboten. Im Strauß-Kino herrschen Ruhe und Bedächtigkeit.« Dank Stellen wie dieser entlarvt sich der vermeintliche Connaisseur als Parvenü. Man schaut Hitchcock von der DVD, großes Kino aufgepixelt, doch das freche Popcorn bleibt draußen.

Wahrscheinlich lässt Strauß seine, also »unsere Weide« von einem Gärtner zurechtschneiden. Und hält sich dabei für einen Naturmenschen, tief, fein, unverstanden. Kurz – für einen Besonderen. Im Dezember dieses Jahres wird Strauß 60 Jahre alt. Man merkt es seinen Texten nicht im geringsten an.

lutz erkenstädt

Botho Strauß: Der Untenstehende auf Zehenspitzen, Hanser Verlag, München 2004, 160 S., 17,90 Euro