Kriegerische Leitkultur

Um weltweit einsatzfähig zu werden, erhält die Bundeswehr so genannte Leitdivisionen. Eine davon sitzt in Leipzig. von matthias bernt, andreas march, torsten schleip und peter ullrich

In der Leipziger Olbricht-Kaserne warten die Soldaten der 13. Panzergrenadierdivision auf ihren Einsatzbefehl. Dort, im Stadtteil Gohlis, werden im Sommer und Herbst 2004 die Kriege mit deutscher Beteiligung vorbereitet und angeleitet. Am 15. Mai starteten die ersten 700 Soldaten von Leipzig nach Kabul. Sie wurden von der Stadt mit einem feierlichen Zeremoniell verabschiedet.

Dies wird sich in Zukunft öfter wiederholen. Denn in Leipzig entstand im vergangenen Jahr für geschätzte 40 Millionen Euro eines von fünf Schulungs- und Koordinierungszentren für Besatzungstruppen der Bundeswehr. Bei der 13. Panzergrenadierdivision handelt es sich um eine so genannte Leitdivision. Diese Divisionen sind ein wichtiger Bestandteil der gegenwärtig laufenden Umstrukturierung der Bundeswehr zu einer weltweit einsatzfähigen Interventionstruppe.

Da sich bei vergangenen Einsätzen gezeigt hat, dass die für die frühere Blockkonfrontation geschulten deutschen Truppen Schwierigkeiten haben, mit den unübersichtlichen Gemengelagen in Bürgerkriegen umzugehen, werden den Leitdivisionen umfangreiche Schulungsaufgaben auferlegt. In Leipzig bzw. auf dem Truppenübungsplatz Altmark in Sachsen-Anhalt lernen Soldaten, wie man Hausdurchsuchungen durchführt, Demonstrationen auflöst und auch bei tropischer Hitze einen kühlen Kopf behält. Doch die Hauptaufgabe der Leitdivision besteht darin, die Truppe zu koordinieren und mit Personal zu bestücken.

Auslandseinsätze bringen enorme Belastungen für die beteiligten Soldaten mit sich, weswegen diese halbjährlich ausgewechselt werden. Damit die Rotation von Truppenteilen nicht zum Chaos führt, wurden die beteiligten Einheiten an zentralen Standorten zu Leitdivisionen zusammengefasst. Im Einzelnen sind das die Panzerdivisionen in Hannover, in Düsseldorf und Sigmaringen sowie die Panzergrenadierdivisionen in Leipzig und Neubrandenburg.

Von Leipzig werden Soldaten aus Sachsen, Sachsen-Anhalt, Thüringen und Bayern nach Afghanistan und auf den Balkan geschickt. Nach dem »humanitären« Dienst wird die Truppe in den folgenden zwei Jahren für kommende Einsätze geschult, bis die Funktion der Leitdivision wieder nach Leipzig wechselt.

Mit diesen Leitdivisionen sollen die Einsatzmöglichkeiten der früher auf die Landesverteidigung ausgerichteten Bundeswehr effektiviert und ausgeweitet werden. Unter dem Motto, »die Sicherheit Deutschlands wird auch am Hindukusch verteidigt«, erlebt die Bundeswehr ihre tiefstgreifende Umstrukturierung seit ihrer Gründung. Seit Mai 2003 ist in den neuen Verteidigungspolitischen Richtlinien verbindlich festgeschrieben: »Um seine Interessen und seinen internationalen Einfluss zu wahren (…), stellt Deutschland (…) Streitkräfte bereit.«

Deutschland wird in den Richtlinien vor allem als Ziel von Bedrohungen dargestellt. Deutlich wird aber auch, dass es um Wirtschaftsinteressen geht, die militärisch durchgesetzt werden sollen, denn »die deutsche Wirtschaft ist aufgrund ihres hohen Außenhandelsvolumens und der damit verbundenen (…) Abhängigkeit von empfindlichen Transportwegen (…) zusätzlich verwundbar«.

Aus der Schlussfassung der Verteidigungspolitischen Richtlinien wurde zwar das im Entwurf enthaltene Konzept des Präventivkrieges gestrichen, die gewählte Formulierung lässt aber viele Interpretationen zu: »Die sicherheitspolitische Lage erfordert eine auf Vorbeugung und Eindämmung von Krisen und Konflikten zielende Sicherheits- und Verteidigungspolitik, die das gesamte Spektrum sicherheitspolitisch relevanter Instrumente und Handlungsoptionen umfasst.«

Die Bundeswehr ist diesen Anforderungen bereits nachgekommen, die Reform ist in vollem Gange. 130 000 Soldaten sind insgesamt für Auslandseinsätze vorgesehen. Derzeit beteiligt sich Deutschland mit 7 640 Soldaten an Einsätzen in der ganzen Welt, mehr bieten nur die USA auf. Den Großteil stellt das Heer. Als Eingreifkräfte stehen eine Division für Luftbewegliche Operationen und die Division Spezielle Operationen bereit. Teil der letztgenannten ist auch das Kommando Spezialkräfte (KSK), das im Krieg in Afghanistan eingesetzt wurde. Die Leitdivisionen dienen als so genannte Stabilisierungskräfte für längerfristige Einsätze.

Wie verhält man sich in Leipzig dazu? In der Stadt, die während des Irakkrieges zu einer Hochburg der Friedensbewegung wurde, herrscht angesichts des Ausbaus zur deutschen Interventionszentrale Desinteresse und Schweigen. Ein Großteil der Leipziger sieht in den Stadtoberen wahre Friedensengel. So durfte Oberbürgermeister Wolfgang Tiefensee (SPD) zu Beginn des Irakkriegs auf den Montagsdemonstrationen gegen die USA wettern und gleichzeitig das friedliebende Wesen der Stadt preisen. Unterdessen trieb sein Parteifreund, der Verteidigungsminister Peter Struck (SPD), die Aufrüstung der Bundeswehr zur weltweit einsatzfähigen Armee voran.

Tiefensee hatte auch kein Problem damit, bei der Olympiabewerbung Leipzigs und vor den anstehenden 15-Jahr-Feiern der Wende 1989 das Phantom der »friedlichen Revolution« zu beschwören, während sich die Soldaten in der Olbricht-Kaserne auf die nächsten Auslandseinsätze vorbereiten. In Leipzig stehen das Militär und die Regierenden Seite an Seite. »Die Olbricht-Kaserne liegt nicht nur im Herzen der Stadt, sie liegt den Bürgern auch am Herzen«, sagte Tiefensee der Leipziger Volkszeitung.

Doch auch linke Gruppen haben sich bisher kaum mit den Kriegsstrukturen vor ihrer Haustür auseinandergesetzt. Ihre Zusammenarbeit während des Irakkrieges zerbrach bald danach an inhaltlichen Differenzen. Insbesondere über das Verhältnis zur Friedensbewegung stritt das Bündnis, das linksradikale Antikriegsarbeit leisten wollte.

Die beiden wichtigsten Gruppen waren das Bündnis gegen Krieg und das Bündnis gegen Rechts. Zum Streit kam es unter anderem, als nach einer linksradikalen Antikriegsdemonstration ein Teil der Demonstranten sich in die Demonstration der Friedensbewegung einreihte. Für das Bündnis gegen Rechts hatte sich damit gezeigt, dass mit diesen Linken keine Gegenbewegung zur zivilgesellschaftlichen Hegemonie und zum Antiamerikanismus zustande komme.

Das Bündnis gegen Krieg fiel später unter anderem wegen der enttäuschten Hoffnung auf eine linke Intervention in die Friedensbewegung in Lethargie und scheiterte jüngst bei dem Versuch, Kriegsgegner zur Störung des ersten Truppenauszugs aus Leipzig zu bewegen. Das Bündnis gegen Rechts übt sich derzeit in Ideologiekritik und will »die neue Heimat Europa verraten«. Die Bundeswehr in Leipzig bleibt hingegen bei ihren Kriegsvorbereitungen vorerst ungestört.