Sanfter Aufstand

Daimler-Chrysler versucht wie Siemens, unbezahlte Mehrarbeit von den Arbeitern zu erpressen. Vor den Daimler-Werken in ganz Deutschland wurde dagegen protestiert. von thorsten fuchshuber

Die Leute sind bereit zu kämpfen«, sagt Giovanni Pauleo und beschreibt die Stimmung im Daimler-Chrysler-Werk in Stuttgart-Untertürkheim als »hoch explosiv«. Zusammen mit 10 000 KollegInnen stand er am Donnerstag vergangener Woche vor dem Werkstor und protestierte gegen die Sparpläne des Konzernvorstandes.

»Es hängt natürlich immer davon ab, wie jemand dasteht«, schränkt der Daimler-Arbeiter seinen Optimismus ein. »Wenn ein Familienvater 45 Jahre alt ist, drei Kinder hat und eine Wohnung abbezahlen muss, hat er natürlich Angst. Und dann sagt er Ja zu den 40 Stunden, Hauptsache, sein Arbeitsplatz ist sicher. Aber genau mit diesem Schritt zieht er ja alle mit runter.«

So wie in den Siemens-Werken Bocholt und Kamp-Lintfort. Dort wurde die 40-Stunden-Woche ohne Lohnausgleich eingeführt, nachdem der Vorstandsvorsitzende, Heinrich von Pierer, angekündigt hatte, die Handy-Produktion andernfalls nach Ungarn zu verlagern. Die Gewerkschaftsführung gab sich geschlagen. Sie unterzeichnete den Ergänzungstarifvertrag, der, so war man sich an der Basis sicher, einen »Dammbruch« im Tarifsystem darstelle.

Das Schulterklopfen der Unternehmer für den »Eisbrecher« Pierer war noch nicht beendet, da kündigte Jürgen Hubbert, Vorstandsmitglied von Daimler-Chrysler, zuständig für die Mercedes Car Group, an, er wolle die »Arbeitskosten« in den baden-württembergischen Werken um eine halbe Milliarde Euro senken. Doch anders als Pierer bemühte sich Hubbert nicht um eine möglichst geräuschlose Abwicklung seines Vorhabens.

Stattdessen machte er bekannt, dass er mit dem Gesamtbetriebsrat bereits vertrauliche Gespräche geführt habe, in denen ihm ein Lohnverzicht von 180 Millionen Euro sowie die 40-Stunden-Woche in einigen Arbeitsbereichen angeboten worden sei. Wenig später setzte er dann noch ein Ultimatum. Falls der Gesamtbetriebsrat nicht bis Ende Juli zu den geforderten Einsparungen bereit sei, werde der Konzern die neue C-Klasse vom Jahr 2007 an in Bremen und Südafrika fertigen lassen. An den Standorten Sindelfingen, Mannheim und in Untertürkheim fielen dann 6 000 Arbeitsplätze weg.

Seitdem ist das »Heu unten«, sagt der Betriebsrat Tom Adler. »Bei den Leuten verknüpft sich der Zorn über die Agenda 2010, über die tägliche Schinderei im Betrieb mit dem, was ihnen jetzt dieser Vorstand noch zumuten will«, fasst er die Stimmung in Untertürkheim zusammen. »Hubbert raus«, skandieren die ArbeiterInnen lautstark. Der Ärger richtet sich vor allem gegen Hubbert, dem Bundeskanzler Gerhard Schröder über die Financial Times Deutschland mitteilte, er hätte besser daran getan, sich am Siemens-Vorstand zu orientieren: »Ich rate dazu, diese Dinge in den Betrieben zu regeln und möglichst wenig darüber zu reden.«

Hubbert tat das Gegenteil und polemisierte in den Medien gegen die »baden-württembergische Krankheit«. Die Arbeitsbedingungen im Südwesten seien nicht mehr zeitgemäß. »Privilegien« wie die so genannte Steinkühler-Pause, zusätzliche fünf Minuten Pause pro Stunde, gebe es nur noch in dieser Region. Zudem seien die Spät- und die Nachtschichtzuschläge höher als etwa in Bremen.

Auch ein erfolgreiches Unternehmen müsse vorausdenken, sekundierte die Stuttgarter Zeitung dem Konzern, der im vergangenen Jahr einen Gewinn von 5,7 Milliarden Euro erzielte. Und die Süddeutsche Zeitung schrieb vom »Luxus-Problem eines erfolgreichen Unternehmens mit einer verwöhnten Belegschaft«.

»Das ist einfach nur unverschämt«, kommentiert Giovanni Pauleo diese Darstellung. »Die Steinkühler-Pause ist eine Erholungspause. Vor ein paar Jahren hatten wir mehr automatisierte Anlagen. Dadurch wurde die Arbeit ein bisschen humaner, und die Steinkühler-Pause ist weggefallen. Aber jetzt, das Band für die A-Klasse und der neue Vierzylinder-Motor – das ist ein Sklavenband. Man hat einen Takt von einer Minute. Sie müssen sich vorstellen: Sie machen Handgriffe, und die müssen Sie in einer Minute vollendet haben. Und das acht Stunden lang , immer wieder die gleichen drei Schrauben reindrehen. Das macht kaputt im Kopf.«

Über 60 000 ArbeiterInnen des Konzerns protestieren an diesem Tag in ganz Deutschland. Auch Delegationen aus anderen Unternehmen sind nach Untertürkheim gekommen. Die Arbeiter von Siemens in Kirchheim/Teck protestieren mit einem Transparent: »Gemeinsam kämpfen verbindet.« Kollegen von Porsche und Alcatel stehen neben denen von Bosch, wo momentan über den Standort für die Produktion eines neuen Dieselpartikelfilters gestritten wird.

Alle wissen, dass viele mitgerissen werden, wenn »der Daimler fällt«. Denn Daimler gilt als »Bollwerk« für die Verteidigung der Tarifverträge. 90 Prozent der Belegschaft sind hier gewerkschaftlich organisiert.

Auch die Kollegen aus dem sechs Kilometer entfernten Werk in Mettingen sind inzwischen angekommen. 2 000 von ihnen waren jedoch nicht mit der Bahn unterwegs, sondern auf der viel befahrenen Bundesstraße 10, und zwar zu Fuß. Die Gewerkschaftsführung habe sogar versucht, »uns davon abzuhalten«, wie ein Gewerkschafter erzählt. »Wir haben das sehr gut organisiert«, sagt er sichtlich erfreut, denn »es durfte ja nichts passieren. Wir haben Autos bereitgestellt und gesagt: Wenn wir anrufen, dann stoppt bitte den Verkehr. Das hat hervorragend geklappt.«

Das sei nur der Anfang gewesen, meint Tom Adler über die Aktion. Diese »Kampfform, die bisher für schwäbische Metallarbeiter nicht üblich war«, habe »den Leuten sichtlich Mut gemacht«.

Der Vertrauenskörperleiter Karl Reif begrüßt auf der Kundgebung auch die anwesende Initiative der prekär Beschäftigten. Er fordert den Erhalt des Flächentarifvertrags und Solidarität unter den Beschäftigten an den verschiedenen Standorten von Daimler-Chrysler. Eine Grußadresse aus dem Werk in São Paulo, wo ebenfalls eine Kundgebung stattfand, wird erwähnt.

»Wenn sich die Mitarbeiter ausspielen lassen«, sagt Markus Sendelbach, der in der Instandsetzung arbeitet, »dann sind sie selber schuld.« Doch Tom Adler ist sich sicher: »Die KollegInnen in Bremen sind eine Belegschaft mit einer Kampferfahrung, die hinter der unseren nicht zurücksteht. Die werden sich nicht gegen uns ausspielen lassen.« Das bekräftigen die Bremer Gewerkschafter und Betriebsräte auch. Zudem wissen sie genau, dass die Streichung von 6 000 Arbeitsplätzen im Süden keinen Zuwachs im gleichen Umfang für die Küstenregion bedeutet.

Die Unternehmensberater von McKinsey haben allein für die Mercedes Car Group eine »Produktivitätsreserve von zehn Prozent« errechnet, auszuschöpfen durch eine deutliche Erweiterung der Produktion oder den Abbau von 10 000 Arbeitsplätzen. »Wachstum bei gleichzeitiger Verschlankung« nennt sich das.

Jürgen Stamm von der IG Metall Baden-Württemberg übt sich in Standortpatriotismus. Er spricht von »italienisch-türkisch-schwäbischer Wertarbeit« und ruft: »Seid stolz auf diese Region. Wir bauen Mercedes-Fahrzeuge und keine Toyotas, die schon im Katalog rosten.« Solche Sprüche kommen gut an.

»Der Aktionstag war ein voller Erfolg«, findet Adler. Wichtig sei jetzt, »dass ein betriebsübergreifend koordinierter Widerstand aufgebaut wird. Die Kollegen von Bosch sind in der gleichen Lage wie wir, die Kollegen von Porsche stehen vor der Situation, bei Siemens läuft das gleiche, und der nächste Schritt ist: Wir gehen gemeinsam auf die Straße.«

Immerhin ist von der Frühschicht an diesem Tag keiner mehr ans Band zurückgekehrt. Auch am Samstag sollen nach Angaben des Betriebsrates 10 000 Beschäftigte der Arbeit fern geblieben sein, 1 000 Autos seien nicht montiert worden.