Wer gewinnt die Landesliga?

Die Föderalismuskommission will die Bundesländer eigenständiger machen. Mehr Wettbewerb, heißt die Devise. von michael jäger

Bei all dem, was die Föderalismuskommission erreichen und herbeiführen will, kann man leicht den Überblick verlieren. Bis zum 8. Juli wollte die im Oktober 2003 vom Bundestag ins Leben gerufene »Kommission zur Modernisierung der bundesstaatlichen Ordnung«, wie sie eigentlich heißt, ihre grundsätzlichen Vorschläge ausgearbeitet haben. Doch der angekündigte Zwischenbericht fiel aus.

Stattdessen durfte die Presse über ein »vertrauliches Gespräch« der Kommissionsvorsitzenden Franz Müntefering (SPD) und Edmund Stoiber (CSU) berichten. Künftig, so habe man sich geeinigt, brauche die Bundestagsmehrheit nur noch halb so viele Gesetze dem Bundesrat zur Zustimmung vorzulegen wie bisher; dafür dürften die Bundesländer auf Gebieten wie der Hochschulpolitik und der Sozialhilfe eigenständiger agieren.

Damit ist aber nur ein Teil der Kommissionsarbeit benannt. Verhandelt wurde und wird auch über die Mischfinanzierung, das Beamtenrecht, die Abschaffung der Rahmengesetze des Bundes, die europäischen Kompetenzen der Länder, über Bundesratssenatoren nach US-amerikanischem Muster und vieles mehr. Es hat den Anschein, als stehe die ganze Verfassung zur Disposition.

Was treibt dieses Projekt an? Ganz einfach: Die Bundesrepublik Deutschland soll für den Standortwettbewerb »fit gemacht« werden. Und dabei sind auch verfassungsrechtliche Aspekte zu bedenken.

Bezeichnend ist bereits die Vorgeschichte der Kommission. Sie beginnt nach der Bundestagswahl im Herbst 2002. Der alte und neue Kanzler, noch berauscht von seinem unerwarteten Wahlsieg, will die Schlappe, die er durch das Scheitern des Einwanderungsgesetzes im Bundesrat erlitten hat, nicht hinnehmen. Er schlägt vor, im Bundesrat solle künftig mit relativer Mehrheit entschieden werden können. Außerdem müsse die Zahl zustimmungsbedürftiger Bundesgesetze reduziert werden. Daraufhin kommt es zu Verhandlungen zwischen dem Bund und den Ländern auf der Ebene der Staatskanzleien. Die Länder lehnen beide Vorschläge ab.

Im Juni 2003 mischt sich Franz Müntefering ein. Er regt die Einsetzung einer aus Bundestags- und Bundesratsmitgliedern paritätisch zusammengesetzten Kommission an. Das Interesse des Kanzlers und seiner Partei an einer Föderalismusreform ist nachvollziehbar, da die Regierung im Bundesrat immer häufiger scheitert. Im Frühjahr desselben Jahres hat der Bundesrat das Gesetz zur Abschaffung ungerechter Steuersubventionen gestoppt, die Bundesregierung muss das fehlende Geld anderweitig beschaffen. Die Diskussionen um die Agenda 2010 nehmen ihren Lauf. Zu diesem Zeitpunkt haben sich die Kräfteverhältnisse in Deutschland bereits entscheidend verändert. Die Opposition kann es sich nun leisten, auf den Vorschlag einzugehen, eine Föderalismuskommission ins Leben zu rufen. Da immer wahrscheinlicher wird, dass Gerhard Schröder bei der nächsten Bundestagswahl die Macht verliert, versucht sie bereits jetzt, ihre Vision deutscher Bundesstaatlichkeit zu verwirklichen.

Über die Themen, welche die Kommission in der Folge verhandelt, kann man nur staunen, hätte man doch vor allem erwartet, dass die Diskussion über den Finanzausgleich der Länder fortgesetzt werde. Deutlich hatten die reicheren Bundesländer wie Bayern und Baden-Württemberg verkündet, nicht mehr für ärmere wie Mecklenburg-Vorpommern aufkommen zu wollen. Wie sie betonten, gehe es ihnen dabei natürlich ausschließlich um Effektivität und Gerechtigkeit. Die Länder sollten sich im Wettbewerb untereinander bewähren müssen. Dabei sollte offen bleiben, wie gut es dem Sieger und wie schlecht dem Verlierer gehen würde, ungeachtet der Tatsache, dass nach dem Grundgesetz die Republik kein Turnierplatz ist und vorschreibt, das gleiche Lebensniveau in allen Landesteilen anzustreben.

Warum aber wagten Bayern und seine Verbündeten mit der Föderalismuskommission nicht einen neuen Versuch? Warum ließ sich die Union darauf ein, über eine weitgehende Entflechtung von Bundes- und Landesgesetzgebung zu diskutieren, als sei auch ihr daran gelegen, dem Kanzler immer neue Niederlagen im Bundesrat zu ersparen?

Weil die unionsregierten Länder nicht nur dazu neigten, die Anzahl der Themen, die vom Bundestag allein zu beschließen sind, möglichst gering zu halten. Der Rest dieser Gesetzgebung auf Bundesebene sollte auch noch ausgehöhlt werden. So schlug die Union vor, die Länder eigenmächtig die verfahrens- und organisationsrechtlichen Regelungen der Anwendung von Bundesgesetzen bestimmen zu lassen. Ein Bundesgesetz zur Arbeitslosenbetreuung etwa könnte dann in jedem Bundesland eine andere Organisation der Arbeitsämter zur Folge haben. Einerseits wollte man die »Rahmengesetze« des Bundes einsparen, wie sie jetzt noch in Artikel 75 des Grundgesetzes geregelt sind. Andererseits würden sich alle künftigen Bundesgesetze faktisch in bloße Rahmengesetze verwandeln. Man kann sich vorstellen, dass diese Neuregelung nach dem Geschmack der von der Union regierten Bundesländer wäre.

In den vergangenen Wochen wurden die zukünftigen Kompetenzen der Bundesländer dann noch einmal anders diskutiert. Plötzlich sprachen die Vertreter der reichen Länder auch von den eigenständigen Rechten auf der Ebene der Europäischen Union. Dadurch wurde das Ziel des Gesamtprojekts deutlicher. Es geht weiterhin um den Wettbewerb. Wenn die reichen Länder in Brüssel eigenständig verhandeln können, dann können sie ihre Wirtschaftskraft nicht nur innen-, sondern auch außenpolitisch ausspielen. Sie agieren dann fast wie souveräne Staaten. Die Entflechtung von Bundes- und Landesgesetzgebung und der Umstand, dass sie sogar jedes Bundesgesetz organisationsrechtlich umgestalten können, dienen dazu, sie unverwechselbar zu machen.

Eine Verfassung, in der die Länder als Akteure im Wettbewerb so deutlich voneinander geschieden sind, hemmt auch nicht mehr den Wettbewerb unter ihnen. So läuft die Reform, die die Föderalismuskommission ausarbeitet, auf eine schleichende Auflösung der Bundesrepublik hinaus.

Vor allem den Unternehmern passen die um ihre Gunst buhlenden Bundesländer gut ins Konzept. Am Mittwoch voriger Woche veranstaltete der Bundesverband der Deutschen Arbeitgeber (BDA) ein Symposium mit dem Titel: »Föderalismus neu denken!« Dort sagte der Präsident des BDA, Dieter Hundt: »Wir benötigen in Deutschland klare Zuständigkeiten, schnellere Entscheidungsprozesse und dezentral ausgerichtete Strukturen.« Deshalb seien die Zuständigkeiten von Bund und Ländern zu trennen, die Mischfinanzierung abzuschaffen, der Länderfinanzausgleich neu zu ordnen.

Was waren das für Zeiten, als ostdeutsche Bürgerrechtler glaubten, die Wiedervereinigung würde zur Einlösung des alten Artikels 146 des Grundgesetzes führen: »Dieses Grundgesetz verliert seine Gültigkeit an dem Tage, an dem eine Verfassung in Kraft tritt, die vom deutschen Volke in freier Entscheidung beschlossen wird.« Es könnte seine Gültigkeit aus ganz anderen Gründen verlieren.