Bridge over troubled water

Die feierliche Einweihung der rekonstruierten Alten Brücke in Mostar verdeckte für einen Tag die andauernden politischen Konflikte. von markus bickel, mostar

Bei den Markovics* ist heute viel los. Die Nachbarn sind vorbeigekommen, auch Brankas Mutter ist da, angereist aus dem bosnisch-serbischen Städtchen Trebinje. Ein befreundeter Maler und seine Frau komplettieren die Runde, in der über eins Einigkeit herrscht: Für sie ist die Wiedereröffnung der Alten Brücke ein teures PR-Event, mit dem der Weltöffentlichkeit knapp ein Jahrzehnt nach Kriegsende versöhnliche Bilder aus Bosnien präsentiert werden sollen.

»Wer weiß denn schon, dass es in Mostar neun Brücken gibt?« ruft Ivo* erregt. Kurz vor Kriegsausbruch war er mit Frau und Tochter aus dem mehrheitlich muslimisch besiedelten Jablanica nach Mostar gezogen. Direkt in die Wohnung neben den Markovics. Während der langen Kriegstage zwischen 1992 und 1995 saßen sie oft hier zusammen. Nicht im hellen Aufenthaltsraum mit den großen Fenstern, sondern weiter hinten, im engen Kinderzimmer. Wegen der Granaten. An heißen Sommerabenden wie diesem, zumal bei der Anwesenheit eines ausländischen Gasts, kommt der Konflikt wieder hoch.

»Dass die Alte Brücke nicht das kroatische mit dem muslimischen Ufer verbindet, sondern nur zwei durch den Fluss getrennte muslimische Teile, schreibt auch keiner«, wirft Branka ein. In Sarajevo geboren, zog die Tochter bosnisch-serbischer Eltern in den siebziger Jahren mit ihrem Mann nach Mostar. Sie führen eine von Tausenden »Mischehen« in der mediterranen Hauptstadt der Herzegowina. Doch mit Beginn des muslimisch-kroatischen Krieges im Frühjahr 1993 änderte sich die Atmosphäre in der einst so toleranten Stadt rapide. Die bosnisch-serbischen Bewohner ergriffen größtenteils die Flucht, entlang ethno-nationalistischer Trennlinien bildeten sich auf der kroatischen West- wie auf der muslimischen Ostseite teils bis heute fortbestehende Parallelstrukturen. Es gibt zwei Krankenhäuser, getrennte Schulen, getrennte Müllabfuhren, um nur einige Beispiele zu nennen.

Als der Leiter der internationalen Protektoratsbehörde des Hohen Repräsentanten für Bosnien-Herzegowina, Paddy Ashdown, Ende Januar die Zusammenlegung der sechs Gemeinden von Mostar verkündete, wusste er, dass er keine Begeisterungsstürme auslösen würde. »Nicht jeder wird zufrieden sein, aber für jeden wird etwas dabei sein«, erklärte er in einer Fernsehansprache, die den 1994 beschlossenen Übergangsstatus beendete. Kurz nach Abschluss des so genannten Washingtoner Abkommens, das die als »Krieg im Krieg« bezeichnete Auseinandersetzung zwischen kroatischen und muslimischen Milizen vor zehn Jahren beendete, ernannte die EU den Bremer Ex-Bürgermeister Hans Koschnick zum internationalen Administrator der geteilten Stadt. Bis zur Zwangsvereinigung Anfang des Jahres bildeten 194 Gemeinderäte in drei muslimischen und drei kroatischen Bezirken den aufgeblähten Verwaltungsapparat der Stadt mit 80 000 Einwohnern. Seit der Neuzusammensetzung Mitte März sind es nur noch 35 Gemeinderäte.

Es war ein Schritt, der eigentlich dazu dienen sollte, den politischen Rahmen für die feierliche Wiedereröffnung der am 9. November 1993 von bosnisch-kroatischen Truppen zerstörten Alten Brücke zu schaffen. Die Unesco erklärte sie zum Weltkulturerbe, Weltbank, Europarat, die türkische, die italienische und weitere europäische Regierungen trugen in den Jahren seit dem Kriegsende 1995 mehr als 14 Millionen US-Dollar zusammen, um das einstige Symbol der Freundschaft zwischen muslimischen und christlichen Bewohnern in Titos Jugoslawien wieder herzustellen. Koschnick gab sich im Gespräch mit der Jungle World optimistisch: »Die Brücke könnte nicht nur wieder zum Symbol einer vereinten Stadt werden. Wichtiger noch ist, dass sie zum Anziehungspunkt für Touristen wird, um den dringend nötigen wirtschaftlichen Aufschwung voranzutreiben.«

Das ist eine Hoffnung, die auch der für die Koordinierung der Wiederaufbauarbeiten zuständige Rusmir Cisic hegt, der während des Krieges Bürgermeister des muslimischen Teils war. In seinem Büro, das nur einige Minuten zu Fuß von der Brücke entfernt liegt, hängt ein Fotokalender mit der Vasco-da-Gama-Brücke in Lissabon. Wenn man so will, ist sie eine Art Vorbild. »Wir haben hier ein Weltklasseprojekt auf die Beine gestellt«, sagt der energisch auftretende Cisic. »Mit dem Wiederaufbau wollen wir der ganzen Welt zeigen, dass das Böse besiegt wurde. Die neue Brücke ist noch schöner als das Original.« An den Wänden des kleinen Zimmers sind Fotos historischer bosnischer Bauten angebracht, und hinter seinem Rücken hängt ein Bild des berühmtesten Objekts osmanischer Baukunst auf dem Balkan: die im Auftrag von Sultan Sulejman dem Prächtigen 1566 errichtete Alte Brücke.

Doch so, wie die über Jahre von einer Holz- und Stahlträgerkonstruktion ersetzte Brücke lange nur Stückwerk blieb, kam auch das Nachkriegsstadtstatut bis vor kurzem über einen provisorischen Charakter nicht hinaus. Auch eine im Frühjahr 2003 eingesetzte Kommission scheiterte an den entgegengesetzten Positionen der Kroatisch-Demokratischen Gemeinschaft (HDZ) und der muslimisch-nationalistischen Partei der Demokratischen Aktion (SDA).

Nachdem die paritätisch besetzte Kommission eine Mitte vergangenen Jahres ausgelaufene Frist hatte verstreichen lassen, das Übergangsstatut zu reformieren, wurde vorigen Herbst mit einem Dekret Ashdowns gerechnet, die Verwaltung der bis Jahresbeginn in drei muslimische und drei kroatische Bezirke geteilten Stadt zu vereinen. Der Hohe Repräsentant hat dem Friedensvertrag von Dayton zufolge das Recht, eigene Gesetze zu erlassen und Politiker ihres Amtes zu entheben.

So wie der befreundete Maler, der den Markovics zum Beginn der Sommerferien das Wohnzimmer neu strich, sind seit Kriegsende viele Kroaten aus den heute mehrheitlich von Muslimen bewohnten Gebieten Bosniens in den Westteil Mostars gekommen. So auch der bereits in den 90er Jahren von seinem Posten als Kunstprofessor an der Universität Sarajevo entbundene Zoran*, der in der von der SDA dominierten bosnischen Hauptstadt keine Zukunft mehr sah. Er und seine Familie mit den beiden inzwischen erwachsenen Kindern verlegten 1996 ihren Wohnsitz nach Mostar. Doch selbst im ethno-nationalistisch homogenen Westmostar reicht die nationale Zugehörigkeit allein nicht aus. Weil er sich bis heute weigert, der HDZ oder einer anderen der kroatisch-nationalistischen Parteien beizutreten, wartet Zoran weiter auf eine Wiederanstellung als Professor.

* Namen von der Redaktion geändert.