Echt nicht echt

»Fahrenheit 9/11« ist auch nur ein Film

Dokumentarfilme, die die Wirklichkeit genau so abbilden, wie sie ist, gibt es nicht. Mal ganz abgesehen von der Frage, was überhaupt »Wirklichkeit« ist. Die Erbsenzählerei, wie sie nun bei »Fahrenheit 9/11« vorgenommen wird – diese Behauptung stimmt, diese nicht –, ist jedenfalls lächerlich. Und der Vorwurf, Michael Moore würde auch noch in unzulässiger Weise die Fakten hinbiegen, erst recht. Jeder Dokumentarfilmer drückt der von ihm durch die Kamera wahrgenommen Wirklichkeit seinen Stempel auf und subjektiviert sie. Wenn nun jemand schreit, Moore sei ein Wahrheitsverfälscher und Bilderpanscher, macht eher er sich zum Idioten als Moore. Denn dass selbst ein Dokumentarfilm nicht »echt« sein muss, sollte sich herumgesprochen haben. Bereits »Kurt and Courtney« von Nick Broomfield lief auf die echt schräge These heraus, dass Courtney Love persönlich Kurt Cobain die Schrotflinte gereicht habe. Der Film war trotzdem toll.

Man sollte Michael Moore auf den Knien dafür danken, dass er mit dem Wahrheitsanspruch, der an einen Film, einen Film, anscheinend immer noch gestellt wird, endgültig Schluss gemacht hat. Die schlimmsten Auswüchse dieses Wahrheitsanspruchs waren diese Dokumentarfilme, in denen sich der Regisseur sogar den Kommentar verbot, weil er meinte, damit weniger manipulativ zu sein. Doch, mal ehrlich, das war doch viel mehr Verblendung als das, was Moore mit seiner plumpen Ironie und seiner für jeden erkennbaren Demagogie von sich gibt. Ein Film ist ein Film ist ein Film.

Jeder, der »Fahrenheit 9/11« richtig ernst nimmt, glaubt, wie Michael Moore selbst, dass dieser Film eine Waffe gegen George W. Bush sei. Dabei ist er das gar nicht. Bush wird als Karikatur überzeichnet, wird als absoluter Volltrottel dargestellt, der im einen Moment noch seine Strategien gegen den internationalen Terrorismus erläutert und zwei Sekunden später lieber wieder an seinem Handicap arbeitet. Doch derartige Volltrottel werden nunmal recht schnell zu so etwas wie »Kult«, und dass die amerikanische Jugend lieber einen dank Moore zur Kultfigur gewordenen Präsidenten wiederwählen dürfte als seinen blassen Gegenkandidaten, das dürfte auf der Hand liegen. Jean-Luc Godard, also einer, der etwas davon verstehen müsste, meinte nicht umsonst bereits nach der Vorführung von Moores Film in Cannes, dass sein amerikanischer Kollege eigentlich alles falsch gemacht habe und er genau das Gegenteil von dem erreichen dürfte, was er eigentlich will.

Die Lebensaufgabe, die sich Michael Moore gestellt hat, nämlich George W. Bush zum Duell herauszufordern und ihn vom Präsidentensessel des Weißen Hauses zu knallen, hat als schier wahnhaftes Vorhaben also inzwischen so sehr von Moore Besitz ergriffen, dass er gar nicht mehr zu merken scheint, wie betriebsblind er inzwischen agiert. Der Mann ist abhängig von Bush; sollte Amerika einen neuen Präsidenten bekommen, wäre Moore arbeitslos. Doch solange das nicht der Fall ist, wird er auch weiterhin den Anti-Bush-Kasper spielen, den immer weniger ernst zu nehmende Menschen auch wirklich ernst nehmen. Was schade ist, denn wie die Rechte in Amerika hat auch die Linke einen echten Populisten verdient. Nur sollte er eben einen Tick cleverer sein als Moore.

andreas hartmann