Florentino sagt Nein

Die venezolanische Opposition hofft, Hugo Chávez mit einem Referendum stürzen zu können. von simón ramírez voltaire

Die Vertreter der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) und der Uno sind bereits eingetroffen, ebenso wie die Mahnungen der US-Regierung, die ein »ehrliches« und »transparentes« Referendum fordert. Unter internationaler Beobachtung soll am 15. August darüber abgestimmt werden, ob der amtierende Präsident Hugo Chávez nach der Hälfte seiner Amtszeit abtreten muss und innerhalb eines Monats Präsidentschaftswahlen abgehalten werden.

Die venezolanische Opposition richtet alle ihre Kräfte und Hoffnungen auf das Referendum. Anders als bei früheren Konflikten im erbitterten Kräftemessen zwischen der linken Regierung und der bürgerlichen Opposition blieben die Mobilisierungen jedoch bislang friedlich. OAS und Uno loben die Ruhe im Land und sehen Anzeichen für einen geordneten Ablauf.

Die Möglichkeit zur Abwahl des Präsidenten ist ein Novum in Venezuela und wurde von Chávez nach langen Debatten 1999 selbst eingeführt. Bis es dazu kam, dass die der neuen Verfassung zufolge mögliche Abwahl des Staatschefs anberaumt wurde, hatte die Opposition, die von einer dubiosen Mischung aus entmachteten Berufspolitikern und ultrarechten Oligarchen angeführt wird, mit Demokratie und Rechtsstaat wenig im Sinn.

Im April 2002 provozierten Anhänger der Opposition eine Schießerei auf einer Demonstration in Caracas. Die anschließenden Tumulte nutzte eine Riege abtrünniger Offiziere und Politiker zum Putsch. Sie machten den Chef des Unternehmerverbandes Fedecamaras, Pedro Carmona, zum Präsidenten und erzählten der ganzen Welt, Chávez sei zurückgetreten. Der aber konnte sich mit Hilfe loyaler Militärs aus der Gefangenschaft befreien und kehrte nach 48 Stunden in den Regierungspalast zurück.

Die Mobilisierung der venezolanischen Elite gegen die Politik des vor allem in den Unterschichten populären Präsidenten hielt an. Bereits ein dreiviertel Jahr später versuchte sie, die staatliche Erdölgesellschaft PDVSA, deren Privatisieruung Chávez nach seiner Amtsübernahme 1998 verhindert hatte, unter ihre Kontrolle zu bringen. In den Führungsetagen des Konzerns wurde per Mausklick die automatisierte Erdölproduktion sabotiert. Die Aktion, die von der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) nicht als Streik anerkannt wurde, weil die Beteiligten den Rücktritt des Präsidenten forderten, aber keine arbeitsrechtlichen Intentionen hatten, verursachte einen Schaden von 10 Milliarden Dollar.

Als die Aktion im Februar 2003 vorüber war, tauschte die Regierung einen Teil des Personals aus, wobei sie rund 17 000 vorwiegend in der Verwaltung tätige Mitarbeiter entließ. Ohne die »Intelligenz« der PDVSA erlangte Venezuela binnen weniger Wochen die alte Förderkapazität als fünftgrößter Erdölproduzent der Welt und viertgrößter Lieferant der USA wieder zurück.

Seither konzentrierte sich die um den Dachverband Demokratische Koordination gruppierte Opposition auf das Referendum. Umstritten waren die Unterschriften, die sie dafür sammelte, wegen vieler Ungereimtheiten. Auf den Listen erschienen die Namen Verstorbener und Minderjähriger sowie von Personen, die nie eine Unterschrift geleistet hatten. Trotzdem erklärte Anfang Juni der Nationale Wahlrat (CNE) rund 2,5 Millionen Unterschriften für gültig. Damit waren die Bedingungen für das Referendum erfüllt.

Chávez nahm es gelassen. Der Präsident, der neben seiner Karriere im Militär auch Erzählungen und Theaterstücke schrieb, zeigte seine Freude am Theatralischen und befand sich vom Tag der Entscheidung des CNE an im Wahlkampf. »Seht ihr, dass es möglich ist, ein Referendum einzuberufen, und dass Hugo Chávez kein Tyrann ist?« kommentierte der Präsident. Schnell startete er die Kampagne »Mission Florentino«, um für das Nein im Referendum zu werben.

Die »Mission Florentino«, die ihren Namen einem Gedicht Alberto Arvelo Torrealbas über den Sieg des jungen Florentino im Duell mit dem Teufel verdankt, ist eine Kombination aus klassischen Wahlkampfmitteln wie Fähnchen und bunten T-Shirts mit durch die Wohnviertel ziehenden Patrouillen zur Überzeugung der Bevölkerung. Wie bei der »Mission Robinson« für die Alphabetisierungskampagne oder »Hinein ins Viertel« für ein Gesundheitsprojekt in Caracas findet Chávez stets populäre Namen für seine Projekte, die die Bürgerlichen zur Weißglut bringen.

Um Chávez abzuwählen, müssen mindestens genauso viele Wähler gegen ihn stimmen wie bei seiner letzten Wahl im Jahr 2000 für ihn. Ob die Opposition bei dem nun anstehenden Urnengang die 3,7 Millionen Stimmen für das »Ja«, die sie zur Abwahl des Präsidenten braucht, tatsächlich bekommt, ist unsicher. Chávez’ Popularität stieg zuletzt deutlich an, und Umfragen zufolge unterstützen ihn 57 Prozent der Bevölkerung.

Nicht nur die Sozialprogramme in den Bereichen Bildung, Ernährung und Gesundheit sowie die Landreform, in deren Zuge Landlose ungenutztes staatliches Land erhalten, kommen bei der Bevölkerung an. Auch die Politik der internen industriellen Entwicklung und die Assoziation Venezuelas an den Gemeinsamen Markt des Südens (Mercosur) vor drei Wochen finden große Anerkennung. Der Erdölgigant Venezuela gilt neben Brasilien und Argentinien als Säule für ein integriertes Südamerika, das sich wirtschaftlich von der EU und den USA emanzipieren möchte.

Die Demokratische Koordination hatte einige Probleme, sich darauf einzustellen, dass der von ihr stets als autoritärer Diktator bezeichnete Chávez sich dem Referendum stellt. »Am besten sind Botschaften, die nicht den Hass, sondern die Hoffnung betonen«, beschrieb Oppositionsführer Juan Fernandez die neue Linie. Anfang Juli legte die Demokratische Koordination den Plan »Konsens-Land« vor.

Allerdings mangelt es der Opposition an einem aussichtsreichen Präsidentschaftskandidaten ebenso wie an einem substanziellen Programm. Neben den üblichen Versprechen, Arbeitsplätze und Wirtschaftswachstum zu schaffen, tauchen Gemeinplätze der Wirtschaftsliberalisierung in dem Katalog auf: Rechtssicherheit und internationale Glaubwürdigkeit sollen hergestellt, die Stromversorgung soll privatisiert und der Marktsektor der fossilen Brennstoffe geöffnet werden. Für den Fall, dass die Abwahl scheitert, scheint sich die Opposition eine Hintertür offen halten zu wollen. Sie hat bereits Zweifel an der korrekten Durchführung des Referendums angemeldet und lässt es offen, ob sie das Ergebnis anerkennen wird.

Mit einer Abwahl des umstrittenen Präsidenten wäre der Konflikt in Venezuela wohl noch lange nicht vorbei. Neben den gut organisierten Basisorganisationen im ganzen Land, die häufig unterschätzt werden, dürfte Chávez selbst weiterhin ein bedeutender Faktor sein. Er gab bekannt, dass er natürlich zur Wiederwahl kandidieren würde, wenn er das Referendum verlieren sollte.