Harrys Zaubermacht

Wie die Autorin von »Harry Potter« die tschechische Regierung dazu brachte, Gitterbetten aus der Kinderpsychiatrie zu entfernen. von matthias gärtner

Der tschechische Gesundheitsminister Jozef Kubinyi muss um seinen Job bangen. Präsident Vaclav Klaus warf ihm in den vergangenen Wochen vor, einer vom Ausland gesteuerten Kampagne aufgesessen zu sein.

Mitte Juni erschien in der Londoner Sunday Times ein Bericht über eine tschechische kinderpsychiatrische Anstalt in der Nähe der Stadt Pardubice. Eine Journalistin hatte sich inkognito als Praktikantin in die Klinik geschleust und in dem Beitrag über das Schicksal eines Jungen namens Vasek berichtet, der in einem so genannten Gitterbett gehalten wird und dieses nur zum Essen und Baden verlassen darf. Als die tschechische Zeitung MF Dnes diesen Bericht zitierte, hielt sich die allgemeine Empörung in Tschechien in Grenzen. Das änderte sich aber schlagartig Anfang Juli, als die empörte Joanne Rowling, Autorin der »Harry-Potter«-Bücher, in einem Brief an den tschechischen Präsidenten, den noch amtierenden Premier Vladimir Spidla und den tschechischen Botschafter in London gegen die nach ihrer Auffassung unhaltbaren Zustände protestierte. »Ich bin schockiert, dass so etwas in einem Mitgliedsland der EU überhaupt möglich ist«, schrieb Rowling. Sie hatte sich in dem Brief vehement gegen die »Käfige« in Psychiatriekliniken und Kinderheimen Tschechiens ausgesprochen.

Diese »Käfige« sind Liegen, die von Eisengittern oder einem Seilgeflecht umgeben sind und hyperaktive oder aggressive Kinder »vor sich selbst« schützen sollen. Der Brief wurde Mitte Juli auch in der Sunday Times veröffentlicht. Anfangs reagierte Präsident Klaus zurückhaltend. Er wolle eine Prüfung einleiten, hieß es. Der tschechische Gesundheitsminister allerdings reagierte umgehend. Am Tag nach der Veröffentlichung verbot er in einem Erlass die umstrittenen Betten. Klaus wetterte daraufhin gegen Kubinyi und erklärte, dass die Initiative zum Verbot solcher Betten eine Reaktion auf »populistische und unverantwortliche Angriffe aus dem Ausland« sei. Zugleich scharte Klaus eine Expertenkommission aus Psychiatern und Neurologen um sich, die nunmehr die Argumente der Debatte zusammentragen und wiegen sollen. Bisher hatten es Ärzte und Sozialexperten in Tschechien nicht geschafft, die Frage nach Sinn und Unsinn von Gitterbetten in die Öffentlichkeit zu tragen. Der Verband tschechischer Patienten nutzte die Gunst der Stunde. Er wandte sich seinerseits an den britischen Premier Tony Blair und forderte das Verbot von Isolierzellen und eine geringere Verabreichung von Psychopharmaka an Patienten der Psychiatrie in Großbritannien.

Das Interesse der tschechischen Gesellschaft an diesem Thema scheint sich in Grenzen zu halten. Präsident Klaus scheint aber mit seiner Reaktion auf den Brief der Erfolgsautorin und seiner Kritik an Minister Kubinyi mal wieder den Nerv der Bevölkerung getroffen zu haben. Der Brief von Joanne Rowling war für viele Tschechen nur der Versuch einer überhöhten Selbstdarstellung und wird als nicht legitimer Eingriff der EU gewertet. Eine kleine Meinungsumfrage im Internet ergab, dass auf die Frage »Halten Sie die Anweisung des Ministers Kubinyi, die Gitterbetten sofort zu verbieten, für übereilt?« insgesamt 4 771 Stimmen mit Ja votierten. Für die Verneinung der Frage wurden nur 368 Stimmen gezählt. Letztlich dürfte die Diskussion der Fachleute darauf hinauslaufen, dass grundsätzlich Gitterbetten auch weiterhin bleiben werden, da sie behaupten werden, sie seien unter bestimmten Umständen besser, als Psychopharmaka zu verabreichen. Allerdings dürften die Bedingungen für die Nutzung von Gitterbetten schärfer eingegrenzt werden.