»Es ist ein Krieg gegen Zivilisten«

benedicte goderiaux, Mitarbeiterin von Amnesty International, besuchte Flüchtlingslager in Darfur und im Osten des Tschad. Sie ist Mitautorin des im Juli in Beirut vorgestellten Berichts.

Welchen Eindruck haben Sie in den Flüchtlingslagern gewonnen?

Als wir im November 2003 den Osten des Tschad besuchten, waren zehntausende sudanesische Flüchtlinge in einer verzweifelten Lage. Sie liefen immer noch Gefahr, das Ziel von Attacken zu werden, lebten unter einigen Zweigen und an der Grenze der Erschöpfung, da es keinerlei Versorgung gab. In den Camps des UNHCR, die wir im Mai dieses Jahres besuchten, sah es besser aus: Die Menschen fühlten sich sicherer, auch weil sie 50 Kilometer von der Grenze entfernt untergebracht waren. Doch in den Lagern fehlt es immer noch an Wasser, und die Flüchtlinge sehen der Regenzeit und den Krankheiten, die sie mit sich bringt, mit Sorge entgegen.

Uns hat die Stärke der Menschen, die wir getroffen haben, beeindruckt. Nachdem sie furchtbare Angriffe überlebt hatten, besaßen sie immer noch die Courage, mit uns über diesen Horror zu sprechen. Alle waren in einem Zustand des Schocks.

In Ihrem letzten Bericht beschreiben Sie Vergewaltigungen als mitunter systematisch eingesetzte Kriegstaktik. Was veranlasst Sie dazu?

Übereinstimmende und sich wiederholende Aussagen jener, die die Angriffe überlebt haben, berichten davon, dass Frauen und Mädchen in militärischen Verstecken immer wieder von mehreren Männern vergewaltigt wurden, eine nach der anderen, über mehrere Tage hinweg. Frauen wurden auch vorsätzlich die Beine gebrochen, um sie an der Flucht zu hindern. Diese Wiederkehr von Entführungen, Massenvergewaltigungen und der Haltung von Sexsklaven offenbart in bestimmten Fällen den systematischen Charakter. Das sind keine Einzelfälle, wie unsere Recherchen und die anderer Organisationen zeigen.

Abdul Rahim, ein hoher Funktionär der regierenden National Congress Party, behauptet, dass Außenstehende den Flüchtlingen gesagt hätten, was sie erzählen sollen. Angebliche Opfer hätten die Vergewaltigung in arabischen Worten beschrieben, die sie normalerweise nicht benutzen.

Unsere Delegierten befragten die Frauen in drei Sprachen, Arabisch, Massalit und Zaghawa. Die Frauen haben nicht Worte wie »Vergewaltigung« gebraucht. Sie sagten eher: »wir wurden als Frauen benutzt« oder »uns wurde Gewalt angetan«. Wir bestanden nicht auf einem Gespräch, gaben aber zu verstehen, wo wir im Camp zu finden sind, und hielten so eine Tür offen. Einige Frauen gingen darauf ein, auch um Rat in medizinischen Fragen zu finden. Bereits schwangere Frauen oder diejenigen, die es nach einer Vergewaltigung wurden, haben wegen der physischen Verletzungen oft Komplikationen bei der Geburt.

Im Mai 2004, als wir das zweite Mal in den Tschad fuhren, war es leichter, über sexuelle Gewalt zu sprechen. Die Flüchtlinge hatten sich an das Leben im Lager gewöhnt und konnten über ihre unmittelbaren Bedürfnisse hinausblicken. Gefragt waren Geduld und Verständnis. Es erleichterte unsere Arbeit, dass unsere Delegation überwiegend aus Frauen bestand. Wir erklärten die Zielsetzung unserer Organisation und die Bedeutung der Frauenrechte. Wir versicherten, die Namen missbrauchter Frauen nicht zu veröffentlichen. Einige waren interessiert, etwas über Frauenrechte zu erfahren, und entschieden sich, mit uns zu sprechen. Sie hatten ein spezielles Interesse, die sozialen Probleme, die mit Vergewaltigungen zusammenhängen, zu diskutieren. Wenn eine Frau nach einer Vergewaltigung schwanger wurde, kann das bedeuten, dass sie und ihr Kind ein Leben in Ächtung und Stigmatisierung führen müssen, da das Kind als das Kind des Feindes wahrgenommen wird.

Sie bezeichnen die Vergewaltigungen als gezielt eingesetztes Kriegsmittel. Was soll damit erreicht werden?

Frauen und Mädchen werden oft im Beisein ihrer Angehörigen oder Nachbarn missbraucht. Sexuelle Gewalt wird oft begleitet von rassistischen Beleidigungen. Die Angreifer sagten zu ihren Opfern zum Beispiel: »Ihr seid Schwarze, ihr seid Sklaven, wir werden eure Ehemänner umbringen und euch als Frauen nehmen. Darfur gehört uns.« Das deutet darauf hin, dass Vergewaltigungen dazu benutzt werden zu erniedrigen, zu bestrafen, Furcht zu erzeugen und den mentalen und sozialen Zusammenhalt zu kontrollieren und zu brechen, nicht nur den der Frauen, sondern auch den der Gemeinden.

Amnesty International macht die Regierung direkt verantwortlich für Vertreibungen, Brandstiftung und Mord. Welche Beweise haben Sie dafür?

Die Regierungskräfte sind unmittelbar für die Tötung von Zivilisten verantworlich. Sie sind im Besonderen verantwortlich für die wahllosen Bombardierungen von Dörfern. Sie beteiligen sich außerdem an Bodenangriffen im Verbund mit den Janjawid-Milizen. Diese Schlussfolgerung stützt sich auf hunderte miteinander übereinstimmende Berichte aus vielen verschiedenen Teilen Darfurs.

Diejenigen, die angegriffen wurden, sagten zu der Unterstützung der Regierung für die Janjawid eindeutig aus: Die Angreifer trugen Uniformen der sudanesischen Armee, verfügten über Maschinengewehre, die auf Fahrzeugen aufgesetzt sind, und sagten während der Angriffe beispielsweise: »Die Regierung ist auf unserer Seite. Das Flugzeug der Regierung ist auf unserer Seite, es wird uns Munition und Verpflegung bringen.«

In Darfur findet kein konventioneller Krieg statt. Es gibt einige Kämpfe zwischen der Regierung und den Rebellen, doch im Kern ist es ein Krieg gegen Zivilisten, Angehörige bestimmter ethnischer Gruppen. Angesichts des Umfanges und des systematischen Charakters dieser Angriffe stellen sie Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschheit dar.

Wäre die Regierung überhaupt noch in der Lage, die Janjawid zu stoppen?

Wir glauben, dass die Regierung die Janjawid kontrollieren kann. Sie hat sie bewaffnet, unterstützt und ihnen absolute Straflosigkeit verschafft. Die Regierung sollte die Taten der Milizen öffentlich verurteilen sowie das Militär und die Polizei anweisen, Verdächtige festzunehmen.

Wie schätzen Sie die Reaktion der Afrikanischen Union (AU) und der Mitglieder des UN-Sicherheitsrates auf die Vorgänge in Darfur ein?

Wir begrüßen das Interesse, das die AU und der Sicherheitsrat jetzt an der Situation in Darfur zeigen, auch wenn es spät dazu kam. Die Beobachter der AU prangerten kürzlich das erste Mal seit dem Beginn ihres Einsatzes einen Überfall der Janjawid auf Zivilisten an, der im Juli stattfand. Das ist der richtige Weg.

Die AU muss ihre Beobachtermission verstärken und öffentlich über all ihre Ermittlungen berichten. Der Sicherheitsrat sollte dringend ein Waffenembargo beschließen, das die sudanesische Regierung und alle anderen Konfliktparteien umfasst. Er sollte außerdem eine Ermittlungskommission einsetzen, die Kriegsverbrechen und die Vorwürfe des Völkermordes in Darfur untersucht. Die Überwachung der Menschenrechte und des Waffenstillstandes muss verstärkt werden, insbesondere zum Schutz der Zivilisten.

interview: ruben eberlein