Keine Lagerhaltung

Der Versuch der britischen Regierung, abgelehnte Asylbewerber schneller abzuschieben, trifft auf den Widerstand der Betroffenen. von matthias becker

Sie weigerten sich, nach dem Hofgang in ihre Zellen zurückzukehren, sie vertrieben die Wärter und öffneten die Zellen. Am 19. Juli rebellierte eine Gruppe vorwiegend jamaikanischer Gefangener gegen ihre Inhaftierung im englischen Abschiebelager Harmondsworth. Die Proteste wurden so massiv, dass die Privatfirma »UK Detention Services«, die das Lager betreibt, staatliche Experten um Hilfe bat. Aber auch dem für solche Fälle ausgebildeten Sondereinsatzkommando gelang es erst am Abend, das Gelände mit Tränengas zurückzuerobern. Am nächsten Tag wurden die Asylbewerber auf andere Gefängnisse verteilt.

Auslöser des Aufstands war, dass ein 31jähriger Mann aus Osteuropa nach der Ablehnung seines Asylgesuches unter ungeklärten Umständen ums Leben gekommen war. Nachdem er erhängt in seiner Zelle gefunden worden war, verbreitete sich im Lager schnell das Gerücht, er sei vom Wachpersonal umgebracht worden. Immer wieder war es in den vergangenen Monaten zu Schlägereien zwischen Aufsehern und Gefangenen gekommen. Derzeit laufen gegen sechs Angestellte von »UK Detention Services« Verfahren wegen des Verdachts auf Körperverletzung.

Kurz vor dem Aufstand sagte der in Harmondsworth einsitzende Senegalese Amadou Diallo zu einem Reporter: »Die Aufseher hier können machen, was sie wollen! Die wissen genau, dass es niemanden interessiert, wie wir hier behandelt werden.« Immer wieder traten Gruppen Gefangener in Hungerstreik, zuletzt im Mai dieses Jahres, als die Hälfte der Insassen gegen die langen Haftzeiten und die Übergriffe des Wachpersonals protestierte. Ein Bericht der für die britischen Gefängnisse zuständigen Aufsichtsbehörde sprach von »einem Durchschnitt von einer Selbstverletzung pro Woche« in dem Lager. Die Aufseherin für Gefängnisse, Anne Owers, sagte vor einem Jahr, das Gefängnis sei »prinzipiell nicht sicher, sowohl für die Gefangenen als auch für das Wachpersonal«.

Die Krawalle in Harmondsworth erreichten allerdings lange nicht das Ausmaß des Gefängnisaufstands im Asylbewerberlager Yarl’s Wood in Bedfordshire im Jahr 2002. Damals legten die Insassen Brände und verursachten einen Sachschaden von 38 Millionen Pfund (ca. 54,5 Millionen Euro).

Der Protest in Harmondsworth entzündete sich vor allem am langen Verbleib im Lager. Manche der Gefangenen warten seit über einem Jahr auf ihre Ausreise. Und das in einem so genannten »fast-track asylum centre«, wo eigentlich Asylgesuche, die als »besonders einfach« gelten, in einem Zeitraum von maximal sieben Tagen bearbeitet werden sollen.

Etwa 1 500 abgelehnte Asylbewerber warten in England derzeit auf ihre Abschiebung. Harmondsworth ist das größte von insgesamt neun Lagern, und ist in Architektur und Verwaltung an einem »normalen Gefängnis« orientiert.

Peinlich für britische Migrationspolitiker ist es, dass in Harmondsworth, das sich in unmittelbarer Nähe des Flughafens Heathrow befindet, die Entscheidungen über Verbleib oder Abschiebung eigentlich besonders schnell getroffen werden sollten. Seit 2003 wird hier ein neues Schnellverfahren erprobt, mit dem die Regierung die Zahl und Geschwindigkeit der Abschiebungen steigern will.

Auf Blairs Kabinett lastet enormer öffentlicher Druck, die Zahl der einreisenden Flüchtlinge zu senken und mehr Menschen abzuschieben. Das ist auch der Hintergrund der britischen Initiative des vergangenen Jahres, so genannte Schutzzonen in der Peripherie selbst einzurichten und das Asylverfahren außerhalb der Landesgrenzen stattfinden zu lassen. Das ist ein Vorschlag, dem kürzlich der deutsche Innenminister Otto Schily wieder Aktualität verlieh.