Das Fast-Food-Interview

Die Fragetechnik des Journalisten Moritz von Uslar nervt. von jörg sundermeier

Können Sie mit Wachsmalstiften etwas Schönes malen? Werden Sie Achtzig? Mit Achtzig noch Frauen jagen? Ihre goldene Shoppingregel? Woher kommt das Grau am Himmel? Was fühlen Sie in Ihren Schuhen? Auf welchem Fachgebiet hätten Sie gern ein überraschend tiefgründiges Wissen? Wird es nicht langsam spießig, nicht verheiratet zu sein? Ihr Drink? Immer wieder ein gutes Gefühl, in den Spiegel zu gucken? Bester Gag in Ihrem Testament? Echt wahr, dass Lächeln glücklich macht? Was können Westler von Ostlern lernen? Sagen Sie Portemonnaie oder Geldbeutel? Einsam? Hören Sie schlecht? Der letzte gute Song, den Sie im Radio gehört haben? Na, schon gelangweilt?

All diese Fragen (bis auf die letzte) stellte Moritz von Uslar, der seit 1992 Redakteur des SZ-Magazins ist, diversen Prominenten, von George Clooney über Elton John bis Woody Allen, und – man ist bass erstaunt – all diese Prominenten antworten, wie man auf solche Fragen antwortet, unverbindlich, gelangweilt oder aber von der eigenen Schlagfertigkeit berauscht. »Wie sieht die typische Münchner klatschsüchtige Lady aus?« fragt der aufgekratzte, sich ein wenig als Fan gerierende von Uslar den Kollegen Klatschkolumnisten Michael Graeter. Der sagt: »Klatschsucht hat eben nichts mit Aussehen zu tun.« Beide sind zufrieden, die nächste Frage kommt und ist nicht minder unsinnig. Von Uslar plaudert gern über Mode, Frauen, Bier, München, Sonne.

Seine Interviews, die nun gesammelt unter dem Titel »100 Fragen an …« als Buch erschienen sind, leben allein von der vermeintlichen Geschwindigkeit des Fragens und der Knappheit der Frage. Von Uslar fragt, der Befragte antwortet, selten hakt von Uslar nach, dann wechselt er das Thema und fragt etwas anderes. Er ist ein bisschen respektlos, ein bisschen geschmacklos (»Können Sie abschalten vom Judentum?« und »Dürfen Juden nie vergessen?« fragt er Michel Friedman), ein bisschen fehlt ihm die genauere Kenntnis von Filmen, Büchern, Politik. Die Oberfläche verlässt von Uslar nie.

Wenn Hillary Rodham Clinton auf Fragen nach ihrem Verhältnis zu ihrem Mann (»Gerade Lust, ein bisschen über Bills Hände zu schwärmen?«) laut lacht, wird Uslar, der sich erlaubt, die Antworten und die Interviewsituation zu kommentieren, etwas unwirsch, er hätte lieber eine Antwort gehört. Dass dieses Lachen, »Brüllgelächter« heißt es bei ihm, vielleicht die routinierte Abwehrreaktion einer außerordentlich medienerfahrenen Politikerin ist, kommt ihm zunächst nicht in den Sinn. »Von Uslar: ›Soll man Ihre Ehe vielleicht eine Traumehe nennen?‹ Rodham Clinton: ›Sie ist mein Traum.‹ Von Uslar: ›Was unterschätzen die Menschen an Ihrer Beziehung?‹ Rodham Clinton: ›Nein, ich denke nicht so, es tut mir Leid. Ich muss mein Leben leben. Ich hoffe, andere Menschen leben ihres.‹ Von Uslar: ›Das Geheimnis Ihrer Ehe?‹ Rodham Clinton: ›Es liegt zwischen uns. Wir teilen es. Es ist etwas, das wir hegen und pflegen und nun seit mehr als dreißig Jahren teilen.‹« Der Kommentar von Uslars: »Triumphierende Senatorin. Nein. Sie gibt’s nicht her: die Antwort nicht, den Hammer nicht, das zitierfähige Material gibt es auch nicht. Es dämmert einem nun, dass Lachen eine weitere gekonnte Art ist zu sagen, dass man nichts weiter sagen möchte. Lachen: Vermeidung von Nähe. Es ist die höfliche wohlklingende Art, sich zu verweigern.«

Dieses Beispiel zeigt, mit welcher Art Psychologie es die Leserinnen und Leser zu tun haben, mit gar keiner nämlich. Selbst banalste Weisheiten der Küchenpsychologie muss sich von Uslar ganz langsam ergrübeln. Dass Hillary Rodham Clinton, die bereits ganz anderen Interviewern gegenübersaß, der Öffentlichkeit vermeintlich pikante Details nicht preisgibt, ist eigentlich nicht verwunderlich. Von Uslar glaubt dennoch, dass er sein Material, den Hammer, das Ding kriegen könnte. Denn er geht davon aus, dass die Geschwindigkeit, mit der er die Fragen stellt, bereits Technik genug ist. Zudem glaubt er wohl, dass eine Frau wie Rodham Clinton, die vielleicht ganz traditionell, der konservativ-amerikanischen Grundeinstellung entsprechend an die Ehe als ewige Liebesgemeinschaft glaubt, durch diesen einen bekannt gewordenen Seitensprung ihres Gatten tatsächlich gar nicht verletzt werden kann. Hillary Rodham Clinton ist für von Uslar eine reine Medienfigur. Dass sie seine Fragen nicht beantwortet, verblüfft den Fragesteller. Er erwartet, dass sie sich ihm ganz selbstverständlich anvertraut; auch die persönliche Verletzung ist in der Wahrnehmung des »Vorzeigejournalisten« (ARD) nie etwas anderes als Gegenstand einer leichten Plauderei. Dass diese Frau, Senatorin und bedeutendes Mitglied der Demokratischen Partei, ganz andere Dinge in der Öffentlichkeit zu verhandeln hat als ihre Ehe, kümmert ihn eh nicht. Politik interessiert von Uslar nie.

Er behauptet, er habe seine Fragetechnik deshalb entwickelt, weil er von seinen Auftraggebern für die Interviews nur noch 20 bis 30 Minuten Zeit eingeräumt bekomme. Deswegen ist in seinen Kommentaren auch beinahe ständig eine weitere Figur präsent: der Pressesprecher oder die »Pressedame«. Sie sind die Türsteher der Prominenten, Bewacher und Manager, sie sorgen, meint von Uslar, dafür, dass sich die Befragten nie allzu offen äußern. Dass andere »Vorzeigejournalisten« oft mehrere Tage lang einen Prominenten, einen Star oder gar einen Politiker begleiten dürfen, verschweigt von Uslar. So wie er ebenso verschweigt, dass die von ihm »entwickelte« Interviewtechnik der schnellen, banalen Fragen bereits in den sechziger Jahren von Andy Warhol und seiner Factory angewandt wurde.

Es gibt verschiedene Gegenmodelle zu diesem Gossip-Journalismus, etwa den stets gleichlautenden Fragebogen, so wie ihn das FAZ-Magazin lange Jahre führte (… den Marcel Proust zweimal ausfüllte …). In ihm wird nach Lieblingsfarbe, -schriftsteller, -schriftstellerin, -stück, größter Tugend etc. gefragt. Durch die Antworten erfährt man zumindest etwas über den Bildungshintergrund der Befragten. Außerdem gibt es einen kurzen Text, der die Person porträtiert. Journalistische Techniken sind hier: genaue Beobachtung, Vorbereitung, Recherche.

Doch im Magazinjournalismus wird eine andere Art der Betrachtung gepflegt; man schaut sich einen Menschen an, doch schaut nicht zu genau hin. Denn eigentlich will man keine Menschen kennen lernen, sondern Prominente vorzeigen. Das bedeutet auch, dass der Star niemals ungeschminkt auftritt, nicht einmal dann, wenn er es will. Nur so bleibt der Star unerreichbar, bleibt ein »Geheimnis« und »wichtig«. Kurz: Er erscheint so ganz anders, als man selbst ist. Damit das so bleibt, darf man Rennfahrer nicht zum Motorsport und Schauspieler nicht zu ihrem Spiel befragen. Deren Leistungen sollen in den Gefilden des Genialischen verbleiben; zu dem, was sie berühmt gemacht hat, befragt man diese Leute in Deutschland in der Regel nicht, denn die Antworten könnten die ruhmvolle Tat des Stars als etwas Handwerkliches erscheinen lassen.Da macht dann jemand seinen Job, und er macht ihn besonders gut.

In Martin Walser hat von Uslar einen Fan gefunden. Walser schreibt: »Endlich einer, der nicht fragt, was er schon weiß.« Das stimmt. Es macht seine Interviews jedoch nicht gut, denn er will nicht einmal hören, was auf seine dämlichen Fragen geantwortet wird. Er will »zitierfähiges Material«. Er bekommt stattdessen das, was alle Welt bekommt. Vielleicht etwas müheloser. Vielleicht macht dann genau das, dieser Mangel an Aufwand, einen Vorzeigejournalisten aus. Das wiederum genügt offensichtlich. Sein Buch ist bereits in der 3. Auflage zu haben.

Moritz von Uslar: 100 Fragen an …, Verlag Kiepenheuer und Witsch, Köln 2004, 315 Seiten, 12,90 Euro