Der Rausch des Spektakels

Von nationaler Repräsentation zum Motor für Stadtentwicklung und Gentrifikation. Ein Interview mit der Stadtplanerin dr.-ing. monika meyer-künzel zu den olympische Spielen

Die Architektin und Stadtplanerin Dr.-Ing. Monika Meyer-Künzel forscht zu dem Einfluss von Großereignissen wie olympischen Spielen und Weltausstellungen auf die Stadtentwicklung. Sie leitet die Abteilung Stadtentwicklung und Stadtökologie im Leibniz-Institut für ökologische Raumentwicklung in Dresden.

Letzte Woche hat der Regierende Bürgermeister von Berlin, Klaus Wowereit, angekündigt, Berlin werde sich noch einmal um die olympischen Spiele bewerben. Was glauben Sie, warum? Was sind die Motive für Politiker, olympische Spiele in die Stadt holen zu wollen?

Welche Gründe Herrn Wowereit konkret bewegen, kann ich nicht beurteilen, und ob der Senat da mitzieht, auch nicht. Aber vielleicht hilft es zu schauen, was die Motive für solche Bewerbungen um Großereignisse in der Vergangenheit waren. Ich habe die Auswirkungen von Großereignissen wie olympischen Spielen und Weltausstellungen auf die Stadtentwicklung ab 1851 untersucht. Von Beginn an dominierte durchgehend vor allem der Wunsch nach nationaler Repräsentation. Dafür standen die Austragungsorte London und Paris. Mit der Zeit rückten dann die Austragungsstädte immer mehr in den Mittelpunkt.

Sie meinen, der nationale Aspekt ist in den Hintergrund getreten?

Die Hauptstädte London und Paris, wo die ersten Weltausstellungen im 19. Jahrhundert stattfanden, standen für die Nationen Frankreich und Großbritannien. Das war praktisch deckungsgleich. Seit 1928 wurden die Bewerbungsverfahren für Expos immer mehr reglementiert. Jetzt bewirbt sich zwar offiziell immer noch eine Nation, aber die Entscheidung, welche Stadt sich bewirbt, ist davon abhängig, wie die Stadt sich präsentieren möchte. Leipzig stand zum Beispiel nicht nur für Deutschland, sondern auch für eine spezielle Region, es war wichtig, dass es sich erstmals um eine ostdeutsche Stadt handelte. Olympia ist ein medienwirksames Spektakel. Alles geht durchs Fernsehen, die ganze Welt blickt auf den Austragungsort und bekommt so auch einen Eindruck, ein Image bzw. eine Atmosphäre der Stadt vermittelt.

Was steht bei solchen Bewerbungen im Vordergrund? Das Ereignis selbst oder die damit verbundenen Bau- und Infrastrukturmaßnahmen?

Im Laufe der Geschichte hat sich das verändert. Früher stand das Fest im Vordergrund, also diese zwei Wochen olympische Spiele. So etwa in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts ging es immer mehr um die Frage, wie man aus diesen zwei Wochen den größtmöglichen Nutzen für die Stadt ziehen kann. Das fing in Deutschland mit München 1972 an. München hat damals für die Spiele zusätzliche Mittel von Bund und Land erhalten und die Bereitschaft zu einer größeren Kooperation von Bund, Land, der Stadt und den Umlandgemeinden ganz bewusst und gezielt für Maßnahmen der Stadtentwicklung genutzt. Dabei spielten gerade der zeitliche Horizont und der zeitliche Druck eine bedeutende Rolle. München hat sich – nur mit Olympia-Geld – eine U-Bahn finanziert. Den Plan dafür hatte man schon lange in der Schublade, aber die ursprünglich geplante Realisierungszeit von etwa zehn Jahren konnte wegen der olpympischen Spiele fast halbiert werden.

Sind solche Großereignisse wie Olympia oder Expo beliebige, austauschbare Vorwände, um Maßnahmen durchzuführen, die man sonst nicht finanziert oder durchgesetzt bekommt?

Planung für und mit Großereignissen sind eine Möglichkeit, mit strategischen Ansätzen Planung und Stadtentwicklung umzusetzen. Denn diese Events benötigen schon einen enormen Planungsaufwand. Aber wenn eine Stadt sich entschließt, diesen Tiger zu reiten, kann sie einen Nutzen daraus ziehen. Das ist auch zunehmend kalkulierbar geworden, weil es inzwischen immer mehr gute und auch sehr schlechte Beispiele gibt.

Was bleibt, wenn die Sportler abgefahren sind?

Die olympischen Dörfer stehen nicht leer, wie viele irrtümlich vermuten. Das olympische Dorf in Barcelona von 1992 hatte anfangs zwar Vermarktungsschwierigkeiten, ist aber jetzt eines der beliebtesten Wohngebiete in Barcelona. München hatte ähnliche Probleme. Das ehemalige Männerdorf ist ein Hochhauskomplex mit Etagenwohnungen. Anfangs war es sehr schwer, die Eigentumswohnungen zu verkaufen. Das ehemalige Frauendorf besteht aus kleinen, zweigeschossigen Häuschen, die in langen Reihen im Gelände stehen. Jetzt ist es ein begehrtes Studentenwohnheim, wo die Bewohnerinnen und Bewohner richtig kreativ an diesen Hütten herumwerkeln, die Wände bemalen oder begrünen. Auch die Eigentumswohnungen sind inzwischen eine schöne Enklave im Grünen. Da wohnt beispielsweise der ehemalige Münchner Oberbürgermeister Hans-Jochen Vogel. Leer stehende Dörfer gibt es eigentlich nicht. Außer in Berlin-Döberitz. Aber selbst da war die spätere Nutzung des olympischen Dorfs als Kaserne schon vorher geplant. Das ist dann auch so gekommen. Nach dem Krieg wurde es vom russischen Militär als Quartier und als Übungsgelände für Guerillakämpfe genutzt.

Olympische Spiele oder ähnliche Festivals sollen die Aufwertung der Innenstädte befördern. Bedeutet das nicht immer auch eine Vertreibung ärmerer Leute aus den urbanen Zentren? Haben Ihre Untersuchungen bestätigt, dass zum Beispiel Mieten dauerhaft steigen?

Die Mietpreisentwicklung habe ich nicht speziell untersucht, jedoch in vielen zeitgenössischen Quellen, also Artikeln und wissenschaftlichen Publikationen, Hinweise darauf gefunden. Wobei nicht alle diese Entwicklungen alleinige Folge solcher Festivals sind. Wenn man beginnt, die einzelnen Stadtquartiere aufzuwerten durch Neubauten, durch die bessere Gestaltung von Straßen und Plätzen, durch Sanierungsmaßnahmen, steigen oft die Preise. Das nennt man Gentrifikation. Finanzschwächere Personen werden verdrängt. In Barcelona wurden allerdings einige Bauten als Sozialwohnungen geplant, und es scheint zunehmend so zu sein, dass bei den Planungen der soziale Aspekt mehr Beachtung findet.

Ist eine Stadtentwicklung, die ganz allmählich aus den Bedürfnissen der Bewohner entsteht, nicht besser als eine, die wie bei solchen großen Events übers Knie gebrochen wird?

Richtig. Wenn eine Stadt ein Großereignis veranstaltet, begibt sie sich aufgrund einer übertriebenen Lust am Ereignis in das Risiko der Unmaßstäblichkeit und zu schnellen Entwicklung. Wenn die Verantwortlichen die Begeisterung reitet, wenn sie von der Möglichkeit, sich der Weltöffentlichkeit zu präsentieren, geblendet sind, so entsteht quasi eine Verführung der großen Projekte. Dann platzen alle sozialen und stadtgestalterischen Maßgaben, und man baut das Stadion oder das olympische Dorf eben doch zu groß.

Können Sie ein Beispiel nennen?

Die olympischen Spiele in Montreal 1976 und auch schon die Expo dort, 1967. Das hing ganz einfach damit zusammen, dass Montreal einen Bürgermeister mit einem ungeheuren Geltungsbedürfnis hatte. Ich war vor ein paar Wochen auf einem Kongress von Planungshistorikern in Barcelona, und da war ein Kollege aus Montreal, der berichtete, dass es bis heute schwer ist, Einblick in die Archive zu bekommen, vermutlich weil es bei der Auftragsvergabe zu Unregelmäßigkeiten gekommen ist. Montreal zahlt noch heute an den Schulden für die damaligen Baumaßnahmen. Die Sportanlagen und das olympische Dorf sprengen jeden Maßstab. Man hat zwischen typischen amerikanischen zweigeschossigen Reihenhäuschen ein riesiges knallig-weißes Stadion mit einem 83 Meter hohen Turm hingesetzt.

Haben Sie noch andere Beispiele für die Nachteile des Zeitdrucks beim Städtebau?

Ja, München. In der Bauphase Ende der sechziger Jahre hatte man in München ein auf den Stadtkern ausgerichtetes Verkehrskonzept. Die S- und U-Bahnlinien verlaufen von der Mitte aus sternförmig nach außen. München ist jedoch inzwischen sehr gewachsen. Die Menschen gehen eher in den Läden in ihren Vierteln einkaufen und fahren nur noch ausnahmsweise in die Innenstadt mit ihren ja nicht ganz billigen Geschäften. München hätte eine Netzstruktur der Verkehrswege schaffen müssen. Ringlinien würden schnellere Verbindungen in die einzelnen Stadtteile erlauben. Bei einer langsamen Entwicklung hätte man noch gegensteuern können. Heute ist das kaum mehr möglich.

Sind denn die olympischen Stadien nach den Spielen noch sinnvoll zu nutzen?

Ja, wenn man einen erfolgreichen Fußballclub in der Stadt hat, braucht man immer ein schönes und großes Stadion. Allerdings sind die Olympiastadien nur begrenzt geeignet, weil man als Zuschauer über die Laufbahn rüberschauen muss und viel weiter weg vom Spielfeld sitzt, als es bei dem neuen Typ des Fußballstadions der Fall ist, der zurzeit angesagt ist. In München wird gerade solch ein Stadion gebaut. Berlin hingegen hat das Olympiastadion von 1936 aufwändig umgebaut. In Amsterdam wurde auch ein neues Stadion gebaut, wobei das alte von 1928 beinahe abgerissen worden wäre, obwohl es teilweise unter Denkmalschutz steht. Dort hat man jetzt in den Katakomben des Stadions eine Disko eingebaut. So was kann ja auch sehr charmant sein. Inzwischen werden Olympiabauten und auch speziell –stadien oft so geplant, dass man sie nach den Spielen leicht zurückbauen kann.

Sicherheitsmaßnahmen, wie etwa die Videoüberwachung öffentlicher Räume, überleben die olympischen Spiele ebenfalls.

Spätestens seit dem 11. September 2001 haben wir ein Problem. Das Sicherheitsbedürfnis der Menschen kann nicht ignoriert werden. Die Veranstalter haben die Pflicht, für eine größtmögliche Sicherheit zu sorgen. Wie langfristig solche Maßnahmen sein müssen, das ist eine andere Frage. Da muss man abwägen. Allerdings muss man auch sehen: London beispielsweise hat seit Jahrzehnten keine olympischen Spiele, und es gibt dort dieselbe Entwicklung, gerade auch bezüglich der Videoüberwachung. Oder schauen Sie sich die Innenstädte von Hongkong und Kuala Lumpur an, da läuft ebenfalls ein Verdrängungsprozess, und zwar sehr viel ungesteuerter und um vieles brutaler als in so mancher Olympiastadt.

Wird der Stadt Athen die Olympiade gut tun?

Das weiß ich nicht. Immerhin haben sie eine U-Bahn bekommen. Das ist ja auch was Schönes.

interview: ivo bozic

Monika Meyer-Künzel, »Der planbare Nutzen – Stadtentwicklung durch Weltausstellungen und Olympische Spiele«, Dölling & Galitz 2001, 471 Seiten, 64 Euro