Jenseits des Grenzcamps

Die Anti-Lager-Tour protestiert gegen die systematische Ausgrenzung von Flüchtlingen. von anke schwarzer

Dschungelheime« nennen viele Flüchtlinge die Orte, an denen sie zwangsweise untergebracht werden. Tramm / Zabel bei Parchim und Seligenstadt bei Bautzen sind nur zwei von vielen. Die Unterkünfte liegen von den nächsten Ortschaften kilometerweit entfernt. Jeder Schritt der Bewohner wird registriert; es gibt Videoüberwachung, Eingangskontrollen, Zimmerdurchsuchungen und einen Wachdienst mit Schäferhund. Abgepackte Essensrationen, der Entzug von Bargeld und eine eingeschränkte Gesundheitsversorgung zählen zu den üblichen Bedingungen.

Vom 20. August bis 5. September will die Anti-Lager-Tour quer durch Norddeutschland gegen das System der Ausgrenzung, von dem allein in Deutschland rund 600 000 Flüchtlinge betroffen sind, protestieren. Ziel der 17tägigen Tour ist es, die Realität der Lager ins öffentliche Bewusstsein zu rücken. An den einzelnen Stationen, etwa dem Abschiebelager Bramsche-Hesepe in Niedersachen, in dem rund 550 Menschen untergebracht sind und wo eine eigene Schule eingerichtet wurde, der Zentralen Erstaufnahmestelle bei Halberstadt oder dem »Dschungelheim« Tramm bei Parchim in Mecklenburg-Vorpommern, soll politisch Druck ausgeübt werden, indem die selbst organisierten Proteste der Flüchtlinge unterstützt werden. Um eine geplante Abschiebung zu verhindern, hatten beispielsweise Ende Juli rund 100 Asylbewerber die Zufahrt zur Landesaufnahmestelle in Bramsche-Hesepe blockiert, sodass etwa 100 Angestellte der Landesaufnahmestelle, der dortigen Ausländerbehörde sowie des Bundesverwaltungsamtes nicht zu ihren Arbeitsplätzen gelangen konnten.

In Deutschland lassen sich fünf Typen von Lagern unterscheiden: Flüchtlinge, die einen Asylantrag stellen, werden zunächst für etwa drei Monate in einer Zentralen Aufnahmestelle untergebracht. Die meisten, die über den Luftweg einreisen, kommen in ein zum »Transitraum« deklariertes Internierungslager direkt am Flughafen. Normalerweise erfolgt für die gesamte Dauer des Asylverfahrens die Unterbringung in so genannten Gemeinschaftsunterkünften. Das können Wohnhäuser sein, Containerlager oder ehemalige Kasernenkomplexe für mehrere hundert Menschen. Weiterhin landen jedes Jahr zwischen 10 000 und 20 000 Flüchtlinge und andere Migranten im Abschiebegefängnis, wo sie bis zu sechs, in Ausnahmefällen bis zu 18 Monaten festgehalten werden dürfen. In so genannte Ausreisezentren werden Menschen eingewiesen, die mangels gültiger Ausweispapiere nicht abgeschoben werden können.

Das Ziel der Tour ist es nicht nur, gegen die einzelnen Unterkünfte zu protestieren. Das Lagersystem soll als eine extreme Form gesellschaftlicher Ausgrenzung von Menschen ohne deutschen Pass, seine Bestandteile sollen als Orte rassistischer Verfolgung durch den Staat thematisiert werden. Denn zum einen dürfen Flüchtlinge ihren Wohnort nicht frei wählen und leben isoliert von der übrigen Bevölkerung, zum anderen sind sie ständig Degradierungen und Demütigungen ausgesetzt. Die Residenzpflicht ist eines der wichtigsten Instrumente, mit denen die Anwesenheit der Flüchtlinge in den Unterkünften erzwungen wird.

Thema soll aber auch das internationale System der Flüchtlingslager sein. Um Migration weltweit zu kontrollieren und nach politischen und ökonomischen Kriterien zu steuern, erfolgt immer häufiger eine Internierung von Flüchtlingen direkt in den Kriegs- und Krisenregionen, so etwa 1999 in Jugoslawien und voriges Jahr im Irak. Schlagzeilen machte das von der International Organisation of Migration (IOM) im Auftrag der australischen Regierung geführte Internierungslager für Boat People auf der Pazifikinsel Nauru. Und Bundesinnenminister Otto Schily schreckte bei seinem Vorschlag, Flüchtlingslager in Nordafrika einzurichten, nicht davor zurück, »humanitär« zu argumentieren und zu behaupten, die Flüchtlinge müssten zu ihrem eigenen Schutz interniert werden, damit sie nicht mit ihren Booten und Flößen auf dem Mittelmeer kenterten. An der östlichen EU-Grenze existieren bereits rund 25 so genannte Auffanglager. Besonders berüchtigt ist das Pavshino-Lager an der Westgrenze der Ukraine. Nach einem Bericht der Organisation Human Rights Watch aus dem Jahr 2002 werden dort hunderte illegaler Einwanderer unter unmenschlichen Bedingungen festgehalten.

»Wir wollen, dass alle Lager geschlossen werden und alle gleiche Rechte haben«, erklärt ein Aktivist der Brandenburger Flüchtlingsinitiative, die wie auch die Karawane, The Voice und Teile des Netzwerks »Kein Mensch ist illegal« an den Vorbereitungen zur Anti-Lager-Tour beteiligt ist. »Außerdem sollen die Deutschen wissen, dass es solche Orte für Ausländer gibt.« Die Vorbereitung laufe gut, sagt der Flüchtling aus Potsdam, wo allein zwischen 150 und 200 Flüchtlinge die Treffen der Brandenburger Initiative besuchten. »Ein großes Problem für Flüchtlinge sind allerdings die Fahrtkosten und die Residenzpflicht. Viele haben immer noch Angst, an den Treffen teilzunehmen, weil sie mit rassistischen Kontrollen auf dem Weg rechnen müssen.«

Die große und intensive Beteiligung von Flüchtlingen an der Planung der Tour sei das politisch Neue im Vergleich zu den Grenzcamps der vergangenen Jahre, sagt Gregor Samsa, der in der bundesweiten Vorbereitungsgruppe mitarbeitet, in der rund die Hälfte der Aktivisten aus Flüchtlingsinitiativen kommt. Zwar existiere immer noch eine ungleiche Aufgabenverteilung zwischen Flüchtlingen und Menschen mit deutschem Pass. »Das hat aber in der Regel mit den unterschiedlichen materiellen Ressourcen zu tun.« Ein weiteres Problem bei der gemeinsamen Vorbereitung sei, dass viele Flüchtlinge allenfalls einmal in der Woche Zugang zu elektronischer Kommunikation haben, während die deutschen Aktivisten jede Stunde mailen könnten.

»Wir rechnen mit 150 Leuten, die durchgehend an der Tour beteiligt sind und mit dem Bus- und PKW-Konvoi fahren«, sagt Gregor Samsa. Für die Wochenenden wird die Teilnehmerzahl auf 400 bis 600 Personen geschätzt. Er betont, dass die Anti-Lager-Tour eine völlig neue Initiative und kein Nachfolgeprojekt der Grenzcamps sei, auch wenn ein Teil des neuen Bündnisses diese früher organisiert habe.

In den vergangenen sechs Jahren bildeten die Grenzcamps die Highlights der antirassistischen Bewegung. Die bundesweite Vorbereitungsgruppe hatte allerdings am Ende des Kölner Camps im August 2003 festgestellt, dass eine weitere Zusammenarbeit wegen innerer Konflikte nicht mehr möglich sei. »Der Konflikt wird schon Jahre mitgeschleift, bereits in Frankfurt 2001 gab es die erste Spaltung: Einige Leute wollen Rassismus und Migration gerne in einem größeren gesellschaftlichen Zusammenhang thematisieren, anstatt sich blind nur auf die Zusammenarbeit mit Flüchtlingsinitiativen zu konzentrieren«, sagt eine Frau, die jahrelang die Grenzcamps mit vorbereitete und sich an der Anti-Lager-Tour nicht beteiligt.

Den Organisatoren der Tour wurde vorgeworfen, bloßen Antirassismus zu betreiben. Zu Unrecht, findet Samsa. Die Themenpalette sei größer: Abschiebelager seien als extreme Form gesellschaftlicher Entrechtung zu betrachten, als Spitze des Eisbergs, ohne dass der Eisberg selbst aus den Augen verloren werde.

Mehr Infos: www.nolager.de