Soja nun nicht

In Brasilien expandiert das Agrarbusiness – besonders der Anbau von Soja wird immer wichtiger und sorgt Bohne für Bohne für eine Menge Änger. von nils brock, thilo f. papacek und astrid schäfers

Brasilien hatte nur zwei Kaiser, aber viele Könige. Die Gebieter über Zucker, Kaffee und Kakao stellten die bedeutendsten Dynastien. Sie beherrschten das Land, weil ihre Produkte den Geschmack der europäischen Gourmets trafen. Den Oligarchen versprachen die Genussmittel horrende Gewinne, und bis ins 20. Jahrhundert bestimmten sie die Wirtschaft des Landes. Mehr und mehr verloren sie durch die Industrialisierung an Bedeutung. Doch schon steht ein landwirtschaftlicher Thronfolger bereit, der erneut astronomische Profite verspricht: König Soja.

Brasilien ist heute der zweitgrößte Produzent dieser Bohnen – gleich nach den USA. Möglich wurde dieser rasante Aufstieg vor allem deshalb, weil in dem Land größten Teils genetisch nicht veränderte Sorten angebaut werden. Vor allem auf den Märkten der EU und China, wo die Verbraucher sich mit der Gentechnik nicht so recht anfreunden wollen, ist brasilianisches Soja ein Exportschlager.

Doch dieser Marktvorteil ist nun in Gefahr geraten. Im Mai hat die Regierung Chinas eine Sojalieferung zurückgeschickt und 23 brasilianischen Firmen die Lizenz entzogen, Soja einzuführen. Bei Kontrollen stellten die Behörden nämlich eine Verunreinigung durch genetisch manipuliertes (GM) Soja fest, das in China verboten ist. Seitdem sprechen die Unternehmen von gezielter Sabotage, die den Preis drücken solle, und rufen ihre Regierung bei dem Handelsstreit um Hilfe.

So weit konnte es nur deshalb kommen, weil die brasilianischen Gesetze den Anbau von Gensoja nicht haben verhindern können. Durch die Hintertür wurde aus Argentinien genmanipuliertes Saatgut eingeschmuggelt. 80 Prozent der Sojafarmer im Bundesstaat Rio Grande do Sul säten das billigere Saatgut aus und stellten die Regierung damit vor vollendete Tatsachen. Dem Kabinett blieb schließlich nichts anderes übrig, als den Anbau genveränderten Saatguts vorläufig zu genehmigen. Mittlerweile kommen die Bauern im Süden Brasiliens kaum noch an gentechnikfreies Soja heran. Der Konzern Monsanto, der das Patent auf die genmanipulierten Roundup-Ready-Bohnen hat, kann damit rundum zufrieden sein.

Noch im vergangenen Jahr wurden Schätzungen zufolge 70 Prozent des von den Kleinbauern in Rio Grande do Sul angebauten Sojas unter Umgehung des Patentrechts preisgünstig erworben. Doch schon der Erwerb des zum Saatgut passenden Herbizids Roundup erwies sich als kostspielig. Seit der Anbau von Gensoja vorläufig genehmigt wurde, müssen die Kleinbauern auch eine Gebühr an Monsanto abdrücken. Der bedeutendste Produzent genmanipulierter Nahrungsmittel der Welt hat mit fast allen Saatgutverkäufern »Partnerschaftsverträge« abgeschlossen. Viele Bauern wussten weder von diesen Verträgen, noch war ihnen bewusst, dass sie Gensoja angepflanzt hatten.

Hinzu kommt, dass auch die brasilianischen Zwischenhändler »chinesische Methoden« anwenden. Vor dem Verkauf müssen die Farmer angeben, ob ihre Ernte genmanipuliert ist oder nicht. Hierfür wird sie einer chemischen Analyse unterzogen. Gabriel von der AS-PTA, einer Beratungsstelle für alternative Landwirtschaft, vermutet, einige Kooperativen hätten die Ergebnisse der Analyse gefälscht. Denn das getestete Soja erwies sich immer als genmanipuliert, daher mussten die Bauern statt der üblichen Gebühr von umgerechnet vier Eurocent pro Sack eine nachträgliche Strafgebühr von 16 Eurocent an Monsanto entrichten. Was bleibt den Bauern da anderes übrig, als ihre Erträge von vornherein als Gensoja zu deklarieren?

Die Regierung scheint kein Interesse daran zu haben, entschieden gegen diese Praktiken oder Monsantos vorzugehen. Vielleicht will man sich nicht in die eigene Suppe spucken, denn auch der brasilianische Staat arbeitet eifrig an eigenen GM-Sorten. Das öffentliche Unternehmen für landwirtschaftliche Forschung Engrapa testet derzeit diverse Unterarten von genmanipulierten Sojabohnen, Papayas, Kartoffeln und Bohnen. Auch bei der Förderung des Agrobusiness zeigt sich der Staat sehr engagiert und spekuliert darauf, die neuen Sorten bald auf dem Weltmarkt feilbieten zu können. Um ihre Agrarpolitik nicht weiterhin mit provisorischen Ausnahmedekreten zu legalisieren, muss sich die Regierung jedoch bald auf eine Position festlegen. Noch vor Oktober soll der Kongress über das so genannte Biosicherheitsgesetz abstimmen, in dem der Umgang mit Gentechnologie geregelt wird.

Doch während man auf höchster Ebene noch diskutiert, regt sich an verschiedenen Stellen Widerstand. So ließ der Gouverneur des Bundesstaates Paraná, Roberto Requiao, den Hafen Paranaguá für GM-Soja sperren. Auf einem »Volkstribunal« in Porto Alegre sprachen sich im März diesen Jahres verschiedene soziale Bewegungen für eine Landwirtschaft ohne Genmanipulation aus. Eine Umfrage ergab außerdem, dass zwei Drittel der Bevölkerung Gen-Food ablehnen.

Ob die Konsumenten tatsächlich eine Wahl haben, ist fraglich. Der rasant vorangetriebene Sojaanbau im Amazonas beispielsweise, wo nur nicht manipulierte Sorten angebaut werden, ist gänzlich von den Ernährungswünschen der Bevölkerung entkoppelt. Mit dem Argument, der heimische Markt wachse zu langsam und sei nicht lukrativ genug, werben brasilianische Agrarunternehmen bewusst für den Export. »Wir sind wettbewerbsfähig, weil wir für Europa produzieren«, verkündete der Präsident der Gruppe Maggi kürzlich im Wirtschaftsblatt Valor Econômico.

Bei Sementes Maggi Ltda. handelt es sich im übrigen nicht um einen Ableger der gleichnamigen Schweizer Würzbude, sondern um das Familienunternehmen des Gouverneurs von Mato Grosso, Blairo Maggi. Er ist der größte Sojaproduzent Brasiliens und im Senat Teil einer einflussreichen Agrarlobby, die vor allem einen verstärkten Anbau von Soja und Mais in der Amazonasregion propagiert. Die Bedenken des Umweltministeriums wurden bisher stets mit wirtschaftlichen Argumenten weggerechnet. Wenn die Sojaproduktion jährlich um zehn Prozent wachse, dann würde dies pro Jahr zusätzliche Einnahmen im Wert von ungefähr einer Milliarde Dollar bedeuten, viele ausländische Investoren anlocken und etwa 300 000 neue Arbeitsplätze schaffen. Das behauptet zumindest César Borges de Sousa, Vorsitzender von Abiove, einer Interessenvertretung der Pflanzenölindustrie. Und die Regierenden, die sich seit dem Amtsantritt des Staatspräsidenten Inácio Lula da Silva an einer Exportoffensive versuchen, schenken solchen Vorhersagen gerne Glauben.

Die verstärkte wirtschaftliche Nutzung des Amazonas ist aber eigentlich ein alter Plan, der bereits zu Zeiten der Militärdiktatur und auch unter dem vorherigen Präsidenten Fernando Henrique Cardoso bemüht wurde. Seit 2000 erlebte der technokratische Fortschrittsoptimismus, damals noch unter dem programmatischen Titel »Brasilianischer Angriff« (Avança Brasil), in der Region eine beispiellose Renaissance. An die 40 Millarden Dollar investierte der Staat in die Infrastruktur, denn die Transportkosten für die landwirtschaftlichen Erzeugnisse behinderten bis dato die Offensive auf dem Weltmarkt. So entstanden im Norden Brasiliens entsprechend den Bedürfnissen der Exportproduzenten eine Reihe von Straßen, Kraftwerken, Erdgasleitungen und Eisenbahnstrecken.

»Schon der Ausbau einer Bundesstraße führt zu einer problematischen Neuordnung der sozialen Verhältnisse,« sagt Nilo D’Avila, Projektkoordinator bei Greenpeace in Manaus mit Blick auf die berühmte Route B-163. Doch mit dem Ausbau der Infrastruktur kann selbst das abgelegenste Kaff an der bolivianischen Grenze schon morgen vom Sojasog erfasst werden. So ist zum Beispiel der dort gelegene Binnenhafen Porto Velho zu einer wichtigen Verladestation aufgestiegen. Täglich werden bis zu 13 000 Tonnen Soja ausgeschifft, soviel, dass die Wasserstraßen bald zu eng wurden. Aber wozu gibt es schließlich Entwicklungshilfe? Dank internationaler Darlehen ist der Weg zur Atlantikküste jetzt ein wenig breiter geworden. Außerdem haben Unternehmen wie Cargill begonnen, die nordöstlichen Seehäfen Brasiliens auszubauen. In den Docks von Itaquatiara ist man bereit, täglich Getreide der zweihundertfachen Menge von Porto Velho Richtung Europa zu verladen.

Damit nichts vergammelt, wenn es doch mal länger dauert, hat die Deutsche Entwicklungsgesellschaft der Maggi-Gruppe jetzt einen großzügigen Kredit für den Bau von Silos gewährt. Damit verschafft sich das Unternehmen nicht nur weitere Wettbewerbsvorteile gegenüber den Kleinbauern, sondern streicht auch Entwicklungshilfegelder ein, die dringend für die Armutsbekämpfung gebraucht würden. Die Regierung denkt indes darüber nach, mit Maggi eine öffentlich-private Partnerschaft einzugehen, um das liebste Kind staatlicher Entwicklungshilfe zu füttern, den Straßenbau.

Wirkliche soziale Veränderungen haben bei diesen Plänen keinen Platz. Noch heute argumentieren Großgrundbesitzer mit dem Hinweis auf die riesigen unerschlossenen Flächen im Hinterland gegen eine umfassende Landreform, wie sie die Landlosenbewegung MST fordert. Tatsächlich reproduziert die Besiedelung des Amazonas nur die ungleichen Verhältnisse, anstatt sie zu beseitigen. Die Agrarunternehmer, die nach Norden dringen, frönen auf ihren großen Plantagen der Monokultur. Den Kleinbauern, die die Flächen zuvor gerodet hatten, bleibt dann oft nur die Wahl, in den Slum der nächsten Provinzstadt oder noch tiefer in den Regenwald zu ziehen, um dort weiter zu roden.

Darüber hinaus sind die ökologischen Folgen dieser Migration nicht nur für baumliebende Hippies von Bedeutung. »Wenn die Entwicklung so weiter geht, dann besteht die gesamte Amazonasregion bald nur noch aus Feuchtsavanne«, sagt Charles R. Clement, der für das Nationale Institut für die Erforschung Amazoniens arbeitet. Ohne die Regenwälder würde es in Zentralbrasilien nur noch halb so viel regnen, erklärt Clement weiter. Anzeichen von Desertifikation lassen sich schon lange in Brasiliens Nordosten beobachten, wo die Austrocknung des Landes vor allem auf die Zerstörung des Regenwaldes zurückzuführen ist. Damals war es die Kaffeebohne, die als Cash Crop nahe den maritimen Verladestationen angebaut wurde und die Entwicklung diktierte. Auch wenn Brasilien heute längst keine reine Agrarnation mehr ist, so erinnert der Aufstieg von König Soja trotz aller Gen-Kosmetik stark an seine berühmten Vorgänger. Die Bohne ist tot, es lebe die Bohne!