Welcome to the Pleasure Dome

Sicherheitsarchitektur einer- und Konsumtempel andererseits: Funktion und Sinn von Stadien befinden sich im Wandel. von jochen becker

Ein Fußballstadion ist ein komplett nutzloses Gebäude, denn man kann Fußball doch viel besser im Fernsehen anschauen«, beschreibt der Architekt Rein Jansma sein Arbeitsfeld. »Rein finanziell gesehen, könnte man Stadien auf versiegelte schwarze Kisten reduzieren, gespickt mit aufs Spielfeld gerichteten Kameras, jedoch ohne Zuschauerränge.« Ein Werbeprospekt nennt die Olympia-Arena von Sydney »das größte Fernsehstudio der Welt«.

Doch erst »Live-Zuschauer liefern die notwendige Atmosphäre«, beschreibt Rein Jansma den Kult ums Stadion. »Es ist ein Gebäude, gewidmet dem Gefühl des Da-Seins. Die Essenz ist, dass du den Schweiß riechen und deine Schulter an anderen reiben kannst.« Die Stimmungskanonen auf den Rängen heizen nicht nur den Wohnstuben, sondern auch den profitableren Logenplätzen ein: In der Amsterdamer ArenA wird der Klang der Hardcore-Fans in verstärkter Form in den VIP-Bereich übertragen. Auch die geschickte Berechnung der Schallreflexion des Stadiondachs sowie Großbildschirme mit Detailaufnahmen tobender Fans tragen zu dieser Atmosphärenverstärkung bei. Der medienreflektierte Stadionbesucher zelebriert hierfür La-Ola-Wellen, wirft Klopapier-Girlanden, produziert Fahnenmeere, singt komplexe Fanlieder oder hält Grußworte auf Pappkarton in Richtung Kamera. »Das Fernsehen ist ein mächtiger Mitspieler bei den Einnahmen durch das Spiel. Wir fragen gleich zu Anfang des Designprozesses die Fernsehberater nach Empfehlungen für die strategischen Positionen der Kameras«, erläutert Bob Lang von Ove Arup & Partner den Entwurfsprozess.

Doch die allumfassend digital aufbereitete Übertragung der Spiele könnte ebenso wie die anhaltende Sicherheitshysterie dazu führen, dass wie möglicherweise in Athen der Besucheransturm immer öfter ausbleibt. Stattdessen trainiert eine Internationale der Terrorbekämpfung für Olympia. An die 100 000 Polizisten, Militärs, Geheimdienstler und Bodyguards unterschiedlichster Herkunft, Bestimmung und Rechtsgrundlage begeben sich auf die Schlachtfelder der »crowd control«. Der Stadt-, Luft- und Seeraum von Athen ist im Belagerungszustand und gleicht den Szenarios des Urban Warfare, wenn Militärs polizeiliche Aufgaben im Metropolenraum übernehmen. Der Einsatz ist eingebunden in die Nato-Mission »Active Endeavor« im Mittelmeerraum, die nach dem 11. September 2001 gestartet wurde.

Der Kampf gegen Hooligans darf als Testphase für aktuelle Antiterror- und Aufstandsbekämpfungsprogramme gelten: Präventive Hausbesuche, Ausreiseverbot, Passeinzug, Schnellgerichte, Sonderdateien, Telefon- und Videoüberwachung und verdeckte Fahndung sind Vorboten neuer Attacken auf Grundrechte. Die Berichterstattung widmet sich dabei mit Vorliebe den polizeilich ausgemachten »Problemfans«, die gern mit über den Kopf gezogenem T-Shirt abgeführt werden. Im Januar 2001 wurden beim amerikanischen Super Bowl im Raymond James Stadion, Tampa, etwa 100 000 Gesichter beim Einlass elektronisch erfasst, digitalisiert und mit Datenbanken der lokalen Polizei sowie anderer Einrichtungen der Strafverfolgungsbehörden verglichen.

Die Sicherheitsarchitektur der Arenen wird entsprechend den Anforderungen von IOC, Fifa oder Uefa immer weiter verfeinert. Diese Organisationen setzen voraus, dass statt Stehrängen vandalismussichere Plastikstühle angeschraubt, Gräben zwischen Zuschauern und Spielfeld gezogen, Videoüberwachung installiert und freie Bahnen für Polizei und Sanitäter geschaffen werden. »Im Sport gibt es international operierende Gruppen und gemeinsame Regeln, also eine Menge gemeinsamer Punkte für Sportgebäude – weit mehr als bei anderen Typologien. Letztendlich ist die Architektur eine Symbiose aus globalen Standards und lokaler Kultur«, beschreibt der Architekt Kisho Kurokawa die Vorgaben.

In den sechziger Jahren wurden so genannte Skyboxen in den USA eingeführt. Diese Logenräume mit bequemen Sesseln und Bedienung hoben sich vom Massenpublikum strikt ab. »Die Gesellschaft war damals viel hierarchischer und vielleicht einte da der Sport die Leute. Nun findet sich für jede Zielgruppe ein getrennter Bereich. Es sind ja nicht nur die Firmensitze und Suiten, sondern auch der Bereich für Sondergäste, der Bereich für Scouts und Trainer der anderen Clubs, für die Frauen der Spieler, für die Presse, die lokalen Unterstützer und schließlich die örtlichen Besucher«, skizziert Rein Jansma die Fragmentierung der Zuschauermasse. »Offensichtlich gibt es einen Wunsch nach Zusammensein, aber 15 000 und mehr Zuschauer sind zu viel. Deshalb werden sie in kleinere Gruppen aufgespalten, so dass jeder ein stärkeres Gefühl der Nähe erhält. Dies ist ein entscheidender Wandel. Er ist nicht nur durch Sicherheitsinteressen begründet.«

Dieser Familienorientierung eines Freizeitangebots, welches sich vom proletarischen »Problemfan« distanziert, läuft die Preisexplosion der Stadienkarten zuwider. »Jede Arena ist nach einer Firma benannt, welche langfristige Leasing-Pakete abschließen, um ihren Namen am Gebäude gemalt zu sehen. Dies hat alle Preise hochgetrieben, es ist ein Teufelskreis«, beschreibt Tad L. Shultz vom Stadien-Developer HNTB die Preisspirale. Als künftiges Zielpublikum wird das freizeitorientierte Individuum, der VIP oder Sponsor anvisiert, immer weniger hingegen die organisierten Fangruppen. Die Stadien entwickeln sich hierbei vom Sportfeld zum multifunktionalen Unternehmen: Skyboxen und Restaurants mit Spielfeldblick lösen Stehränge und Würstelbuden ab. Arenen sollen zu innerstädtischen Magneten werden, die fast rund um die Uhr Publikum anziehen. Neben dem Tokyo Dome ist eine Unterhaltungszone angesiedelt, die Bowling- und Rollschuhbahn, Spielhalle, Sauna, Hotel, Theater, Sporthallen, Schwimmbad, Geschäfte, ein Baseball-Museum sowie einen Freizeitpark umfasst. In Zürich kippen AnwohnerInnen gerade den geplanten Stadionbau einer Großbank, weil ganz offensichtlich eine Shopping Mall hier entstehen soll, getarnt als populistisches Mehrzweckstadion mit Mantelbebauung.

Der Boom für wohlgeformte Sportarenen ist mit dem Museumsboom der achtziger Jahre vergleichbar. Dieser Wettbewerb trägt inzwischen globale Züge, wie der Austragungskampf um die olympischen Spiele deutlich macht. Nun interessieren sich auch Stararchitekten für solche Projekte. In Barcelona etwa nahm man die Olympiade zum Anlass, die komplette Wasserfront umzukrempeln: »Von den kandidierenden Städten wird erwartet, dass sie alle Stoppschilder niederreißen, und die meisten Städte sind mehr als erfreut, diese Gelegenheit zu ergreifen«, beschreibt Marieke van Rooij im Katalog »The Stadium« den Exzess einer Festivalisierung der Stadtentwicklungspolitik. In Großereignissen wie den olympischen Spielen bündeln sich massive urbane wie soziale Umbaumaßnahmen.

Michelle Provoost (Hg), The Stadium, NAi Publishers, Rotterdam, 2000