Wie früher, nur anders

Die Kölner Band Von Spar arbeitet sich an den Achtzigern ab, die Acts wie DNA und Red Krayola geprägt haben. von felix klopotek

Die Achtziger, präziser: die Jahre zwischen 1977 und 1984, sind wieder in und mit ihnen Disco-Musik, New Wave, Plastik-Funk und Post-Punk. Eine ganze Reihe von Bands, Radio 4 oder The Rapture vorneweg, aber auch die grandiosen Kölner Von Spar, recyclen die Sounds, die vor 25 Jahren London, New York oder Düsseldorf vibrieren ließen. So weit, so bekannt.

Zurückführen lässt sich dieser Hype auf die künstlerischen Krisen, die zuerst Rock und dann auch Techno ergriffen: Dem Rock glaubt man die Versprechen eines authentischen Lebens und die Expression ehrlicher Gefühle schon länger nicht mehr; der propagierte Dauerhedonismus des Techno hat sich in Zeiten der ökonomischen Krise erschöpft.

Die Musik der frühen Achtziger vereint dagegen nicht nur das Tanzbare und das Prinzip Band, sie ist auch distanzierter, ironischer, ungläubiger. Die wie abgehackt wirkenden Rhythmen, die bewusst nur schlecht aufeinander abgestimmten Instrumente – unverhältnismäßig lauter Bass, wie man ihn eigentlich nur aus dem Funk kennt, ein sehr knallig abgemischtes Schlagzeug, »falscher« Einsatz einer verstimmten Gitarre etc. – lassen eine Identifizierung nur über Umwege zu. Anders gesagt: Wer diese Musik spontan gut findet, muss schon ein komischer Kauz sein (wobei die wissende Gemeinde der komischen Käuze unglaublich hip sein kann). Wer diese Musik freiwillig hört, fällt nicht mehr auf schnell ausgesprochene Versprechen rein. Die No-New-York-Szene, die Rough Trade Bands, SYPH aus Solingen und Fehlfarben aus Düsseldorf scheinen die richtige Inspiration für den Umgang mit der Gegenwart zu liefern.

Mit dem Retro-Chic ist das so eine Sache. Denn das, was heutige Hipster an dieser Musik wiederentdecken, dass sie im hohen Maße »künstlich« war und ganz bewusst auf Klischees der Rock-, Disco- und Funk-Szenen zurückgriff, steht – strenggenommen – dem Hype entgegen. In was für ein Verhältnis kann man sich zu einer Musik setzen, die bereits zu allem eine Distanz hat? Identifikation funktioniert nicht, und zur Distanz noch einmal eine Distanz einzunehmen, wirkt schnell obskur. Dass sich von dieser komplizierten Ausgangslage nur wenige aktuelle Bands beeindrucken lassen, ändert nichts an dem Problem: Radio 4 oder »!!!« klingen durchformatiert und schnell langweilig; The Rapture bestechen durch absolut großartige Momente, können aber damit kaum ein Album füllen; The Liars haben sich in Obskurantismus geflüchtet. Von Spar sind eine Ausnahme, aber zu denen später.

Wer sich heute auf »die Achtziger« bezieht, muss sich am Reflexionsniveau dieser Musiken abarbeiten. Das liest sich so banal, aber es ist nun mal das Einfache, was schwierig zu machen ist. Die Messlatte liegt verdammt hoch: Gerade eben ist das (schmale) Gesamtwerk von DNA, der zwischen 1978 und 1982 bestehenden Band von Arto Lindsay und Ikue Mori, erschienen, und Red Krayola haben ihre Singles der letzten 30 Jahre auf einer CD veröffentlicht. Beide Bands markieren die Extreme jener mystischen Jahre zwischen ’77 und ’84.

DNA stehen für die totale Zersplitterung der Song-Form, die einzelnen (auch rhythmisch) identifizierbaren Elemente stehen völlig bezugslos nebeneinander, Arto Lindsay schreit sich die Lunge aus dem Körper, die E-Gitarre scheint sich unter seinen Fingern selbstständig zu machen. Die Tracks sind kurz, was ihre Schockwirkung noch erhöht. Die Musik ist reine Negativität. Man kann sie nicht covern, man kann sie nicht weiterentwickeln: Wie will man die Unfähigkeit, Gitarre zu spielen, perfektionieren?

Red Krayola, die Band, die sich alle paar Jahre neu um Mayo Thompson formiert, gibt es seit Mitte der sechziger Jahre. Demnächst erscheint ein neues Album, sie sind also keine Band der Achtziger, haben aber zwischen – wie könnte es anders sein – 1977 und 1984 ihre wahrscheinlich besten Alben veröffentlicht. Der Großteil der Singles stammt auch aus dieser Zeit. Thompson kam Ende der Siebziger aus New York nach London (später ging er nach Düsseldorf, heute lebt er in Los Angeles), wo er u. a. als Manager und Produzent für Rough Trade arbeitete. Mit Lora Logic, Epic Soundtracks und Allen Ravenstine versammelte Thompson eine New-Wave-All-Star-Band um sich. Wo DNA auf Zersplitterung setzen, kommt es Thompson auf die perfekte Organisation eines Songs an. Alles scheint zu passen, selbst die dissonanten Synthie-Einwürfe wirken nicht dysfunktional. Aber an der Perfektion scheitern die Songs: Thompsons Gesang wirkt immer eine Spur zu hysterisch und zu »uneigentlich«, die Melodieführung ist unübersichtlich, der Groove zu stolpernd, die Texte passen nicht zur Liedform.

Überhaupt die Texte: Thompson ackert sich durch die Geschichte der Arbeiterbewegung und deren Verhältnis zur modernen Kunst. »Portrait of V.I. Lenin in the style of Jackson Pollock« heißt einer ihrer Klassiker. Es geht um die Fehler Trotzkis, die Organisationsfrage, die Entschleierung der Mehrwertproduktion. Gerade diese entweltlichten, merkwürdig versponnenen, dabei durchaus punkig-harten Songs scheinen das perfekte Medium für die in diesem Kontext bizarren Reflexionen. Zu idiosynkratisch ist dieses Modell, als dass es von anderen übernommen werden könnte. Es bleibt allein Thompson überlassen, es bis heute immer wieder neu zu definieren.

DNA und Red Krayola sind zwei besonders krasse Beispiele dafür, dass aus den frühen Achtzigern eigentlich gar nichts folgt (es fallen einem noch andere Bands ein, die sich einer Vereinnahmung sperren: Pop Group, Material, Massacre, Contortions, Swans …).

Was bleibt, ist radikale Zweckentfremdung: Die junge Kölner Band Von Spar – Thomas Mahmoud, Philipp Janzen und Christopher Marquez – hat sich daran versucht. Vordergründig ist auf ihrem Debüt »Die uneingeschränkte Freiheit der privaten Initiative« das meiste bekannt: Fehlfarben (die sie sogar zitieren), SYPH, der Chaos-Faktor, der an The Pop Group gemahnt, James Whites quietschendes Saxofon, die Tightness von Gang of Four. Von Spar fressen sich aber regelrecht durch dieses historische Material. Sie benutzen es nicht als Zitat, über das sich indirekt Hektik, Hysterie und Haltlosigkeit ausstellen lässt (wie das The Rapture meisterhaft handhaben), sondern als Vehikel für eine dichte, kompakte Rockmusik, die die chaotischen, ausgeflippten Momente perfekt integriert.

Etwas pathetisch formuliert: Von Spar arbeiten mit dem Material. Sie knüpfen nicht an etwas an, sie verstehen sich nicht als Erben von etwas. Sie greifen auf, was gerade herumschwirrt, und spielen damit, als hätten sie nie mit etwas anderem gespielt. So wuchtig klang keine Achtziger-Band – sie löschen die Differenz zwischen 1984 und 2004 eben nicht aus. Von Spar führen in dem Retro-Chic den Faktor »Gegenwärtigkeit« ein. Man muss ihr Debüt nicht zum Album des Jahres erklären. Aber es ist eines der wenigen Alben, mit dem man wieder nach vorne schauen kann.

DNA on DNA: No More Records (a-Musik)The Red Krayola: Singles, Drag City (Indigo)Von Spar: Die uneingeschränkte Freiheit der privaten Initiative, L’Age D’or