Frauen in the House

Kurdische Frauen im Nordirak zwischen feudal-patriarchalen Dorfstrukturen und neuem Selbstbewusstsein. von thomas schmidinger (text und fotos)

Wir bemühen uns gerade darum, dass es in Zukunft ein Schwimmbad für Familien gibt, in dem Frauen und Männer schwimmen können«, erzählt eine Professorin der Universität von Suleymania, die erst vor einem Jahr aus ihrem schwedischen Exil in den Irak zurückgekehrt ist. Wie viele zurückkehrende ehemalige ExilantInnen will sie ganz alltägliche Neuerungen, die sie aus Europa kennt, in der kurdischen Gesellschaft durchsetzen.

Aber nicht nur zurückkehrende ExilantInnen bringen einen Modernisierungsschub in die irakisch-kurdische Gesellschaft. Nach dem Wegfall der ba’athistischen Bedrohung, die bis zum April 2003 ständig über dem kurdischen Autonomiegebiet schwebte, können nun verstärkt soziale und gesellschaftliche Interessen formuliert werden, die sich nicht unmittelbar den nationalen kurdischen Interessen unterordnen. Erste Ansätze einer politischen Frauenbewegung wurden Anfang dieses Jahres sichtbar, als die Massenproteste der irakischen Frauen den Versuch des Regierungsrates vereitelten, die Sharia im Familienrecht wieder einzuführen. Unterstützt wurden die Frauen dabei auch von kurdischen, linken und liberalen Parteien.

Aber auch wenn die KurdInnen sich selbst immer wieder als den fortschrittlichsten Teil der irakischen Gesellschaft sehen, so ist die kurdische Gesellschaft dennoch weit davon entfernt, egalitär zu sein. Nicht nur die kurdischen Großgrundbesitzer setzen dabei die feudale Tradition fort. Auch die Geschlechterverhältnisse sind noch lange nicht so, wie sie auch viele VertreterInnen kurdischer Parteien gerne darstellen. Der Analphabetismus ist unter Frauen wesentlich höher als unter Männern. Politische Ämter werden zwar teilweise an Frauen prominenter Politiker vergeben, Frauen, die eine eigenständige politische Karriere gemacht haben, sind aber weiterhin eine Ausnahme. Und in den Dörfern ist sogar eine Form der Beschneidung der Klitoris noch weit verbreitet.

Genau darüber diskutieren auch die »frauengeführten mobilen Teams« der Hilfsorganisation Wadi mit den Frauen von Hewata, einem kleinen Dorf nördlich von Suleymania. Acht Großfamilien leben in dem Dorf ohne Schule und Arzt. Alle sind irgendwie miteinander verwandt. Das Dorf wurde, wie 5 000 andere kurdische Dörfer, von der ba’athistischen Regierung völlig zerstört. Erst nach der Befreiung des Gebietes 1991 kehrten die DorfbewohnerInnen aus den bewachten »collective towns« des Regimes wieder nach Hewata zurück. Die Frauen diskutieren mit den drei Mitarbeiterinnen des mobilen Teams über Gesundheitsprobleme im Dorf, ebenso wie über Schulbildung für Mädchen oder Zwangsverheiratungen.

Lebhaft wird die Debatte unter den versammelten Frauen jedoch erst beim Thema der weiblichen Genitalverstümmelung. Nicht alle Frauen sind davon überzeugt, dass sie schädlich für ihre Töchter ist. Eine vielleicht 40jährige Frau umarmt schließlich ihre jüngste Tochter und erklärt: »Bei meinen älteren Töchtern habe ich das noch machen lassen, aber ich weiß mittlerweile, dass das falsch war. Bei meiner Jüngsten lasse ich das nicht mehr machen.«

Tatsächlich sind die Zahlen der beschnittenen Mädchen rückläufig. Eine genaue Statistik gibt es jedoch nicht. In einem Land, in dem immer noch Flüchtlinge auf ihre Rückkehr nach Kirkuk und andere Städte warten, aus denen sie von den Ba’athisten vertrieben wurden, und nicht einmal ganz gewöhnliche Bevölkerungsregister existieren, gibt es auch kein zuverlässiges statistisches Material über die soziale Situation von Frauen.

Aber auch ohne solche Statistiken sind die Probleme offensichtlich. Dabei sind nicht nur große Unterschiede zwischen Stadt und Land, sondern auch zwischen den einzelnen Regionen des Nordirak zu beobachten. In der Region Germian zum Beispiel, auf halbem Weg zwischen Suleymania und Bagdad.Hier waren die meisten der 182 000 Toten des ba’athistischen Vernichtungsfeldzuges gegen Teile der kurdischen Bevölkerung 1988 zu beklagen. Viele Witwen haben immer noch mit großen wirtschaftlichen Problemen zu kämpfen.

Im Nawa-Center von Suleymania, dem ältesten Frauenhaus im Irak, finden ebenso wie in den Frauenhäusern von Arbil und Mossul nicht nur Frauen Zuflucht, die von Gewalt in der Familie und von Ehrenmorden bedroht sind. Auch obdachlose Frauen und Mädchen, die vor einer Zwangsheirat flüchten, kommen in die Frauenhäuser. Dort werden sie von Sozialarbeiterinnen und Psychologinnen betreut, die auch bei der Lösung ihrer Probleme behilflich sind. In den meisten Fällen lässt sich das Problem mit der Familie nach längeren Interventionen lösen. Nur wenige Frauen leben länger als einige Monate im Frauenhaus. Es gibt nicht nur Frauenhäuser in Suleymania, Arbil und Mossul; die ArbeiterkommunistInnen betreiben ein Frauenhaus in Kirkuk, die US-Zivilverwaltung unterhält eines in Bagdad.

Prügelnde Väter oder Ehemänner gibt es auch in Deutschland, und mittlerweile sind auch Fälle von Ehrenmorden unter nahöstlichen Immigrantenfamilien bekannt geworden. Was die Arbeit der Frauenhäuser in Europa von jenen im Irak jedoch stark unterscheidet, sind ihre Möglichkeiten. Trotz aller Modernisierung der kurdischen Gesellschaft können Frauen dort immer noch nicht alleine leben. Zwar wäre dies gesetzlich kein Problem, aber der gesellschaftliche Druck auf allein lebende Frauen wäre zu groß. So werden in den Frauenhäusern in ausweglosen Situationen manchmal sogar Ehen vermittelt, die es den betroffenen Frauen ermöglichen, ein selbstständigeres Leben zu führen als bei ihren Vätern.

Besonders stark ist dieser gesellschaftliche Druck in jenen Gebieten, die bis 2003 von der islamistischen Gruppe Ansar al-Islam beherrscht wurden. Heute befindet sich in Biara, dem ehemaligen Hauptquartier der Ansar und ihres Verbündeten Sarqawi, ein Frauenzentrum. Es handelt sich dabei nicht um ein Schutzhaus, sondern um ein kleines Begegnungs- und Kulturzentrum, in dem verschiedene Workshops und vor allem Alphabetisierungskurse stattfinden. Eine kleine Bibliothek steht ebenfalls zur Verfügung. Viele Frauen besuchen das Frauenzentrum auch nur, um unter sich zu sein und miteinander zu reden.

Ähnliche Frauenzentren wurden auch in anderen Orten der Region aufgebaut, das größte davon in Halabja, wo auch Computer und Internetanschlüsse zur Verfügung stehen. Der Bildungshunger der Frauen hier ist unübersehbar. Nach Jahren der islamistischen Blockade äußern nun viele von ihnen den Wunsch zu studieren. Von den rechtlichen Beratungen im Frauenzentrum sind sie oft begeistert, so dass der Wunsch, Rechtsanwältin zu werden, bei den jungen Frauen ganz oben auf dem Wunschzettel steht. Wie viele von ihnen diesen Berufswunsch wirklich realisieren können, ist nicht absehbar. Sicher ist jedoch, dass die neue irakische und kurdische Gesellschaft viele Anwältinnen, Politikerinnen und andere gebildete Frauen benötigen wird, um eine Gesellschaft zu entwickeln, die nicht über 50 Prozent der Bevölkerung ausschließt.

Der Autor ist Mitarbeiter der Hilfsorganisation Wadi.