Strategie der harten Kante

In Hamburg werden immer mehr Polizisten wegen Übergriffen auf Demonstrationen verurteilt. Derzeit stehen zwei Beamte vor Gericht, die eine junge Frau verprügelt haben sollen. von andreas blechschmidt

Seit Wochen werden in Hamburg die vom christdemokratischen Senat geplanten Stellenkürzungen bei der Polizei kontrovers diskutiert. Die Hamburger Justiz könnte ihren eigenen Beitrag zu diesem Stellenabbau leisten. Denn seit dem 4. August müssen sich die Polizeibeamten Jörg B. und Gunnar O. wegen des Vorwurfs der Verfolgung Unschuldiger und der schweren Körperverletzung im Amt vor dem Gericht verantworten. Bestätigt sich die Anklage und erhalten die Polizeibeamten eine Bewährungsstrafe von mehr als zwölf Monaten, würde sie das nach dem Beamtenrecht ihren Arbeitsplatz kosten. Im Polizeijargon hieße das »Edeka«: das Ende der Karriere.

Die beiden Beamten sollen auf einer Demonstration für den Bauwagenplatz Bambule in der Nacht vom 18. auf den 19. November 2002 die heute 31jährige Katja K. mit Schlägen verletzt haben. Die Beamten behaupten jedoch in einer von ihnen gemeinsam erstatteten Anzeige, Katja K. habe sie mit einer Flasche beworfen und bespuckt. Nach Ansicht der Staatsanwaltschaft ist dieser Vorwurf frei erfunden.

Für Katja K. haben sich die Ereignisse an jenem Abend anders zugetragen. Sie sei auf dem Weg nach Hause gewesen, von einer Demonstration habe sie nichts mitbekommen. Aus dem Nichts habe sie einen Stoß und Schläge verspürt, eine polizeiliche Aufforderung an sie habe es nicht gegeben, sagte sie vor Gericht.

Bereits am ersten Verhandlungstag Anfang August stellte Amtsrichter Thomas Semprich fest, dass die Geschichten der Beteiligten schwer zusammenpassten. Weil ein Passant die Version der Geschädigten ebenso bestätigte wie am zweiten Verhandlungstag Rechtsanwalt Manfred Getzmann, der die Interessen der Bambule vertritt und den Vorfall ebenfalls beobachtete, wird die Lage für die Angeklagten schwierig.

Denn Amtsrichter Semprich gehörte bisher nicht zu jener Riege von Hamburger Richtern, die sich die polizeilichen Versionen von Ereignissen kritiklos zu eigen machen. Das bekamen im Juli 2003 bereits drei Thüringer Polizisten zu spüren, die im dienstlichen Eifer auf einer Bambule-Demonstration im Dezember 2002 zwei verdeckt eingesetzte Kollegen aus Schleswig-Holstein verprügelt hatten. (Jungle World, 30 und 31/04) In der ersten Instanz wurden die Thüringer zu zwölf Monaten auf Bewährung verurteilt. Ihre Berufungsverhandlungen sollen im September beginnen.

Der gegenwärtige Prozess reiht sich ein in eine Kette von Verfahren, die sich mit dem polizeilichen Verhalten auf den Bambule-Demonstrationen in den vergangenen Jahren beschäftigen. Im Februar dieses Jahres wurde ein Berliner Beamter zu 14 Monaten auf Bewährung wegen Körperverletzung im Amt verurteilt. Er hatte auf einer Demonstration einen Jugendlichen mit dem Schlagstock verletzt. Wegen des gleichen Delikts erhielt ein Hamburger Polizist Anfang August eine neunmonatige Gefängnisstrafe auf Bewährung. »Eine Ingewahrsamnahme kann nicht so vonstatten gehen, dass einem Flüchtenden ein Schlag auf den Hinterkopf versetzt wird, nur um die Personalien feststellen zu können«, belehrte die Staatsanwaltschaft den angeklagten Polizisten.

Dass hinter diesen Übergriffen System stecken könnte, ist jedoch kein Thema in den bisherigen Prozessen. Dabei hatte der damalige Innensenator Ronald Schill anlässlich der Räumung des Bauwagenplatzes Bambule im November 2002 erklärt, man werde den Demonstranten »harte Kante« zeigen. Die Botschaft kam im Hamburger Polizeiapparat offenbar an. Das legen auch die Ereignisse der Nacht vom 18. auf den 19. November 2002 nahe, die im aktuellen Prozess bisher unerwähnt blieben. Dem Prügeleinsatz gegen Katja K. ging die Einkesselung von über 270 Demonstranten voraus. Ob es wegen einer Strafanzeige von über 30 Betroffenen gegen die Hamburger Polizei wegen Freiheitsberaubung zu einem Verfahren kommt, ist noch offen.

In der gleichen Nacht prügelten zwei Beamte auf einen am Boden liegenden unbekannten Mann ein. Diesen Vorfall brachte ein Staatsanwalt zur Anzeige. Er hatte die Szene in den Fernsehnachrichten verfolgt. Die prügelnden Beamten konnten identifiziert werden, doch das Verfahren wurde noch nicht eröffnet. Um den bis heute unbekannt gebliebenen Geschädigten ausfindig zu machen, bat der ermittelnde Staatsanwalt sogar ein linkes Anwaltsbüro um Mithilfe.

Diese Polizeiübergriffe sind jedoch nicht nur eine Altlast, die Ronald Schill hinterließ. Sie verweisen auf die Zustände in der Hamburger Polizei. Im September 1994 führte die Suspendierung zweier so genannter Einsatzzüge wegen des Verdachts systematischer Misshandlungen von Schwarzafrikanern zum Rücktritt des damaligen Innensenators Werner Hackmann (SPD). Die Folge des Parlamentarischen Untersuchungsausschusses zum »Hamburger Polizeiskandal« war, dass man 1996 beschloss, eine unabhängige Polizeikommission und das Dezernat Interne Ermittlung (DIE) einzusetzen. Nach dem Antritt des Senats aus der CDU, der Schill-Partei und der FDP Ende 2001 gehörte die Abwicklung der Polizeikommission, die sich um Missstände und Fehlentwicklungen bei der Polizei kümmern sollte, zu den ersten Amtshandlungen.

Ursprünglich sollte das DIE ebenfalls wieder abgeschafft werden. Obwohl es im Rahmen von Ermittlungen gegen Polizeikollegen regelmäßig vor allem gegen die Opfer von Polizeiübergriffen vorging, hing dem DIE der Ruf an, ein »Nestbeschmutzer« zu sein. Doch letztlich verschaffte u.a. die große Zahl der Anzeigen gegen Polizisten nach den verschiedenen Einsätzen bei Bambule-Demonstrationen oder Schülerdemonstrationen gegen den Irakkrieg in den vergangenen drei Jahren dem DIE eine unfreiwillige Existenzberechtigung.

Erst im Juli gingen dort erneute Strafanzeigen gegen die Polizei wegen des harten Vorgehens gegen eine Bambule-Protestaktion auf der Hafenstraße im April diesen Jahres ein. Dabei musste die zuständige Abteilung 73 für Amtsdelikte der Polizei bei der Hamburger Staatsanwaltschaft bereits im Frühjahr eine Überlastungsanzeige schreiben. Man habe zu viel zu tun, hieß es.

Viel zu tun geben wird es auch für die Richter in den zahlreichen Berufungsverfahren. Alle erstinstanzlich verurteilten Polizisten wollen in die Berufung gehen. In Hamburg wurden zwischen 1989 und 1994 83 Prozent aller Verfahren gegen Polizisten eingestellt und in lediglich 0,6 Prozent der zur Anzeige gebrachten Fälle kam es zu einer letztinstanzlichen Verurteilung, wie der Parlamentarische Untersuchungsausschuss im Jahr 1994 feststellte. Angesichts der Vorfälle aus jüngster Zeit bleibt Hamburg wahrscheinlich ein gutes Pflaster für prügelnde Polizisten. Es ist kein »Edeka« in Sicht.