Mehr als Didaktik

Ein neuer Sammelband berichtet von der Museumspädagogik der Wehrmachtsausstellung. von jens kastner

Die Debatte um die Wehrmachtsausstellung scheint gelaufen. Nachdem die zweite Fassung der wohl berühmtesten Ausstellung der Nachkriegsgeschichte über die NS-Zeit ihre zwölf Stationen hinter sich hatte, ist es still geworden um die umstrittene Schau. Neben vielen historischen Zusammenhängen hat die Ausstellung letztlich vor allem eines klar gemacht: dass um die Vergangenheit gekämpft wird und ihre Interpretation kulturelle Auseinandersetzungen hervorrufen, die das kollektive Unbewusste ebenso mobilisieren, wie sie für gegenwärtige Machtpolitik in Anschlag gebracht werden.

So schob allein die Umbenennung von »Vernichtungskrieg. Verbrechen der Wehrmacht 1941–1944« in »Verbrechen der Wehrmacht. Dimensionen des Vernichtungskrieges 1941–1944« die vormals zentrale Aussage in die zweite Reihe, in den Untertitel. Die Eindeutigkeit des Verbrechens weicht der Behauptung eines vielgestaltigen Phänomens. Wird damit einerseits das Bild einer nicht aufrecht zu erhaltenden Homogenität des historischen Ablaufs zurecht gerückt, erscheint aber auch die Vehemenz der Taten abgeschwächt. Geschichte wird damit umgemodelt.

Mit der Tatsache, dass Geschichte konstruiert ist, oder vielmehr mit den Konsequenzen, die sich daraus ergeben, beschäftigt sich auch der vorliegende Sammelband »In einer Wehrmachtsausstellung. Erfahrungen mit Geschichtsvermittlung«. Als Kunstvermittlungs-Team erhielt das Wiener Büro trafo.K im Januar 2000 den Auftrag für die Konzeption und Durchführung des Vermittlungs- und Begleitprogrammes der »zweiten Wehrmachtsausstellung«, die einige Monate später auch in Wien Station machte. Der erste Teil des dabei entstandenen Buches behandelt die Grundlagen und Problemstellungen der Vermittlungsarbeit insbesondere in Bezug auf die NS-Vergangenheit, stellt dazu theoretische Überlegungen an und widmet sich anschließend den Abwehrhaltungen des Publikums gegenüber der Ausstellung.

Dem gegenwärtigen Trend, Aneignung von Geschichte verstärkt über den eigenen Zugang der RezipientInnen zu wählen, also von subjekt- und wahrnehmungsorientierten Ansätzen, stellt Nora Sternfeld analytisch faktenorientierte und aufklärerische Ansätze gegenüber. Emphatische Vermittlungen setzen mit Rollenspielen und anderen didaktischen Mitteln an den Erfahrungen der AusstellungsbesucherInnen an. Sie müssen sich Sternfeld zufolge allerdings fragen, wen sie da eigentlich vor sich haben. Denn es reiche eben nicht, die Leute da abzuholen, wo sie sich befinden. Die Einfühlung nach dem Motto »wie hätte ich gehandelt« tendiert immer dazu, politische, soziale und ökonomische Kontexte zu verkleinern oder gar zu ignorieren. Neben der Empathie und der Weitergabe von Informationen ist aus der Sicht der Vermittelnden also immer auch der aktuelle Status der RezipientInnen mit einzubeziehen. Letztlich für eine Integration aller Ansätze plädierend, schlägt Sternfeld vor, statt die Leute stehen zu lassen, wo sie sind, sie »von dem freizusetzen, wo sie stehen«.

Das gilt sicherlich nicht nur für die Arbeit mit Jugendlichen, mit denen es Sternfeld vornehmlich zu tun hatte. Dass diese aber den Nationalsozialismus ganz anders nacherzählen als die Eltern-, Groß- und Urgroßelterngeneration, liegt auf der Hand. Und dass es dabei zudem deutliche Differenzen zwischen österreichischen und deutschen Erzählungen gibt, ruft u.a. dieses Buch ins Gedächtnis. Gab es einerseits einen antifaschistischen Partisanenkrieg in Kärnten, waren es andererseits in Serbien – einer der drei Themenschwerpunkte der ersten Wehrmachtsausstellung – vor allem österreichische Wehrmachtsobere, nicht selten aus Familien hoher k.u.k.-Militärs, die den Vernichtungskrieg initiiert hatten.

Die besondere Situation Österreichs, wo die Frage nach Schuld und Verantwortung immer noch einem weit verbreiteten Opfermythos gegenüber steht, wird auch im zweiten Teil des Bandes deutlich. Hier werden empirische Daten ausgewertet, die am Rande der Ausstellung erhoben wurden. Ines Garnitschnig und Stephanie Kiessling etwa zeigen anhand ihrer Studie auf, dass das allgemeine Leiden am Krieg im Zentrum der oral histories steht, die nicht selten in eine Umkehr der Täter-Opfer-Tatbestände münden. Zwar reflektieren einige SchülerInnen die Einseitigkeit und Redundanz der großelterlichen Erzählungen, die nicht selten von den Opfern des Kriegs schweigen. Das hindert sie aber nicht daran, sich selbst als Nachfahren zu positionieren, die mit all dem nicht mehr viel zu tun haben – eben auch nicht mit Entschädigungsforderungen der zuvor Verschwiegenen. Die Identifizierung mit der Dominanzkultur wird also durch die Erfahrungsberichte kaum beeinträchtigt.

Die im Rahmen des Vermittlungsprogrammes durchgeführte Studie zum Nationalsozialismus im Bewusstsein der BesucherInnen ist nicht nur eine der wenigen Untersuchungen dieser Art – wie Alexander Pollack in seinem Beitrag anmerkt –, die in Österreich überhaupt unternommen wurden. Sie verknüpft darüber hinaus die Frage der Wahrnehmung des Gegenstands mit der seiner Vermittlung. Der Zwiespalt zwischen der Autorität der Vermittelnden und der Autonomie der Zuhörenden wird so auf verschiedenen Ebenen durchdiskutiert, aber schließlich nicht durch beidseitige Relativierung aufgelöst.

Zwar betonen Renate Höllwart und Charlotte Martinz-Turek das Dialogische und die Offenheit des Sprechens gegenüber dem behauptenden Charakter beschriebener Stellwände. Dennoch sehen sie ihre Aufgabe darin, gegen vorgefertigte Denkmuster »Transformationsprozesse zu initiieren«. Die Gestaltung einer Schulbuchseite, zu der Jugendliche animiert wurden, kann dazu Anlass geben. Dieses Beispiel, betonen auch Sternfeld und Martinez-Turek, lasse zu Tage treten, dass die Auswahl und Auslegung der verschiedenen Quellen »mit gesellschaftlichen Bedingungen und unterschiedlichen Interessen verknüpft ist«. Eine reflexive Museumspädagogik wie die von den HerausgeberInnen vorgestellte hat also durchaus noch andere als rein didaktische Ziele.

Brüo trafo.K, Renate Höllwart, Charlotte Martinz-Turek, Nora Sternfeld und Alexander Pollak (Hg.): In einer Wehrmachtsausstellung. Erfahrungen mit Geschichtsvermittlung. Wien 2004, Verlag Turia + Kant, 223 Seiten. 22 Euro.