Zeichen für den Rassenkrieg

Die in den letzten Wochen von Neonazis verübte Gewalt in Frankreich richtete sich gegen jüdische sowie gegen moslemische Ziele. von bernhard schmid, paris

Der Mann wird am Samstagabend auf der Polizeiwache im Pariser arabischen Viertel Goutte-d’Or vorstellig. Am Eingang zeigt er den Hitlergruß, dann händigt er den Beamten eine Axt aus, mit der er, wie er sagt, am selben Tag einen Mann angegriffen habe. Und dann zählt er vor den Polizisten die Straftaten auf, die er in den vorangegangenen Tagen begangen habe.

So wurde am vorletzten Wochenende das Rätsel um den Täter aufgeklärt, der unter dem Namen »Phineas« operierte. Phineas ist eine biblische Gestalt, die für die Idee von Selbstjustiz stehen soll. Ihr Name wird bereits seit 30 Jahren von US-amerikanischen Neonazi-Organisationen benutzt, die Gewalttaten gegen Schwarze und Homosexuelle begehen.

Hinter Phineas verbirgt sich in diesem Fall ein bislang unauffällig lebender 24jähriger aus Villeurbanne bei Lyon namens Michaël Tronchon. Nach seinen Aussagen gegenüber der Polizei fand er die in Frankreich bestehenden rechtsextremen Organisationen »zu schlapp« und wollte ein Zeichen setzen für den »Rassenkrieg«.

Am 5. August verletzte der selbsternannte Phineas früh morgens auf einer Straße in Villeurbanne einen behinderten Mann, der aus Algerien stammt. Frustriert darüber, dass die Aggression in der Lokalpresse nur mit wenigen Zeilen Erwähnung fand, beschloss Tronchon, »eine Tat zu begehen, die mehr Aufmerksamkeit erregt«. Aufgrund der seit dem Frühjahr sich häufenden Medienberichte über die Schändung jüdischer und moslemischer Friedhöfe in Ostfrankreich dachte Tronchon an den jüdischen Friedhof von Lyon, einen der größten in Frankreich. Er schändete 60 Gräber, schmierte Hakenkreuze, den Namen von Adolf Hitler sowie einen Slogan gegen die »islamische Invasion«; dann hinterließ er das Beil, mit dem er seine vorherige Tat ausgeführt hatte. Eine DNA-Analyse der Blutspuren daran ermöglichte es, einen Zusammenhang zwischen beiden Verbrechen herzustellen. Fünf Tage später ging Tronchon mit einer neuen Axt am Lyoner Bahnhof in Paris auf die Jagd, um, wie er aussagte, »irgend einen Moslem« aufzuspüren und »ihm den Schädel zu spalten«. Die Campingaxt, die er für drei Euro erworben hatte, erwies sich dafür allerdings als ungeeignet: Das Opfer, ein älterer Mann, bekam nur eine größere Beule ab. Da Phineas seine vermeintliche »Mission« als teilweise erfüllt betrachtete, stellte er sich einige Stunde später.

Wegen der Schändung jüdischer Friedhöfe, moslemischer Gebetsräume sowie der Gedenkstätten für in den beiden Weltkriegen gefallene Soldaten moslemischer wie jüdischer Herkunft hat seit dem Frühjahr 2004 die Region Elsass besondere Aufmerksamkeit auf sich gezogen. Zuletzt wurden Ende Juli der jüdische Friedhof in Saverne und Anfang August die Gräber von 40 moslemischen Weltkriegssoldaten in Strasbourg mit Hakenkreuzen beschmiert. Auch hier deutet alles auf einen neonazistischen Hintergrund der seit April nicht abreißenden Taten hin. Bislang konnte nur in einem Fall, der die Schändung eines Mahnmals für jüdische Soldaten des Ersten Weltkriegs in der Nähe von Verdun betrifft, der Täter gefasst werden: Ende Juli wurde der 22jährige Neonazi Matthieu Massé in einem von Rechtsextremen besetzten Haus in Bar-le-Duc festgenommen. Bei ihm wurde auch Propagandamaterial der rechtsextremen Jugendfront FNJ, Front National de la Jeunesse, aufgefunden.

Das Elsass scheint, nicht zuletzt wegen seiner geographischen Lage, in jüngster Zeit zum Versammlungsgebiet für militante Neonazis aus Deutschland, der Schweiz, Belgien und Frankreich geworden zu sein. Die Pariser Tageszeitung Libération berichtete am Dienstag vorletzter Woche über eine Saalveranstaltung von über 400 Neonazis aus diesen vier Ländern, die am ersten Wochenende im August im elsässischen Hipsheim stattfinden konnte.