Zwischen den Fronten

Nach der ersten Hinrichtung einer im Irak entführten türkischen Geisel wird in der Türkei über die Position zum Irakkonflikt diskutiert. von sabine küper-büsch, istanbul

Die ersten Geiselnahmen türkischer Staatsbürger im Irak wurden in der Türkei noch mit großem Erstaunen aufgenommen. Als konsequenter Gegner einer Intervention im Irak ohne UN-Mandat und insbesondere als Land mit vor allem muslimischer Bevölkerung hatte man sich nicht als Ziel solcher Übergriffe betrachtet. Zunächst zu Recht, zumindest halbwegs. Anfang des Jahres wurden von irakischen Guerillas entführte türkische LKW-Fahrer noch mit dem Hinweis, dass sie fortan »gute Muslime« sein und nicht im Dienste Amerikas stehen sollten, auf freien Fuß gesetzt.

Doch im Juni war der muslimische Bonus dann aufgebraucht. Sieben für die US-Armee tätige türkische Fahrer wurden auf dem Weg von Kuwait nach Bagdad aufgegriffen und als »Vasallen der Besatzer« gefilmt, nachdem man ihnen auf die übliche, erniedrigende Art und Weise die Augen verbundenen hatte. Die Bilder wurden von der Nachrichtenagentur AP an alle internationalen Fernsehanstalten gesendet. Die vermummten Entführer vom »Vereinten Irakischen Widerstand« riefen auf der Videoaufzeichnung das »muslimische türkische Volk auf, eine Zusammenarbeit mit den Besatzern abzulehnen und den irakischen muslimischen Brüdern beizustehen«. Es folgte die Drohung, dass alle weiterhin mit den US-Amerikanern kooperierenden Firmen Angriffsziel des irakischen Widerstandes seien.

Das bewegte noch keine türkische Firma, sich die Geschäfte im Irak vermasseln zu lassen, die vor allem für den türkischen Bausektor momentan blendend laufen. Bald jedoch änderte sich das. Am 29. Juni wurden von der ansonsten unerbittlichen Schlächtertruppe in der Anhängerschaft des Jordaniers Abu Musab al-Zarqawi noch drei türkische Geiseln, die fast einen Monat lang festgehalten worden waren, mit dem Kommentar freigelassen, das sei »die letzte Warnung für das muslimische türkische Volk«.

Für die Schonung von türkischen Geiseln spielten die Massendemonstrationen der Kriegsgegner in der Türkei im Rahmen des Anti-Nato-Gipfels am 27. und 28. Juni eine große Rolle. Die Gegnerschaft zur Präsenz US-amerikanischen Militärs im Nachbarland eint in der Türkei die ansonsten uneinige zivile Opposition. Wie vor Beginn des Krieges im März 2003 demonstrierten Totalverweigerer, Gewerkschaften, Linksradikale, islamistische Gruppen, Menschenrechtsvereine, Kulturverbände und Prominente geschlossen für einen Abzug der Truppen der »Koalition gegen den Terror« und die Freilassung aller Geiseln, ungeachtet ihrer Nationalität.

Tatsächlich findet man in der türkischen Öffentlichkeit kaum Befürworter der Intervention im Irak. Anders als die Kurden im Nordirak etwa betrachten selbst die kurdischen Fraktionen in der Türkei die unsichere Autonomie der nordirakischen Kurden nicht als Möglichkeit einer gesellschaftlichen Selbstbestimmung, sondern sehen deren ungewisse politische Zukunft unter dem Schutz der wankelmütigen US-amerikanischen Außenpolitik. Die türkischen Islamisten solidarisierten sich lange nicht mit den schiitischen Guerillas im Irak und schon gar nicht mit den alten Ba’athisten, sondern erregten sich vor allem über die Vision einer »amerikanischen Weltpolizei« und über die Opfer unter der irakischen Zivilbevölkerung.

Doch nach der Hinrichtung der ersten türkischen Geisel begann sich das zu ändern. Am 2. August wurde ein Video im Internet verbreitet, das die Ermordung von Murat Yüce zeigte. Er hatte für die türkische Catering-Firma Bilintur gearbeitet, die US-amerikanische Truppen mit Lebensmitteln versorgt. Nach seiner Hinrichtung zogen Bilintur und eine unbekannte Anzahl anderer türkischer Firmen ihr türkisches Personal aus dem Irak ab.

Die erste Reaktion in der türkischen Öffentlichkeit war Bestürzung, dann folgte Wut. Der verständliche Schmerz der Angehörigen sprach vielen Nationalisten und Generalstabstreuen aus der Seele, andere machte er nachdenklich über die Rolle der Türkei, die »zwischen den Fronten« steht. Die konservative Tageszeitung Aksam richtete ein Internet-Forum ein, in dem die verschiedenen Optionen für die Türkei im Irakkonflikt diskutiert werden. Unter den Lesern scheint die Meinung verbreitet zu sein, dass türkische Zugeständnisse an die Terroristen keine Lösung des Konfliktes nach sich ziehen würden. Auch wenn die Türkei sich zur islamischen Umma bekennen und sich aus der Nato zurückziehen würde, auch wenn sie ihre Truppen aus Afghanistan abziehen, nicht mehr mit den Israelis kooperieren und ihre dem Westen zugewandte Politik modifizieren würde, fänden die Forderungen kein Ende, meinen die Leser.

Der türkische Außenminister Abdullah Güls verhandelt jedoch inzwischen mühselig über das Leben jeder einzelnen türkischen Geisel. Nach der Ermordung Yüces und dem Abzug der Mitarbeiter der Firma Bilintur drohen die Terroristen nun mit der Ermordung eines zweiten entführten Mitarbeiters der Firma. Am Donnerstag vergangener Woche strahlte das türkischen Fernsehen ein Video aus, in dem der 23jährige Übersetzer Aytullah Gezmen von seinen Entführern dazu gezwungen wurde, um sein Leben zu flehen und den Abzug aller türkischen Firmen aus dem Irak binnen 72 Stunden zu fordern.

Das provozierte vor allem die islamistischen Antiimperialisten. In der Internet-Zeitung www.hisargazetesi.com argumentiert etwa Semih Temizyürek von der mit den irakischen Aufständischen sympathisierenden Islamistischen Front, die türkische Regierung habe nichts Besseres zu tun, als angesichts des Leidens und des Widerstandes des irakischen Volkes in Zusammenarbeit mit den amerikanischen Imperialisten nur an den eigenen Vorteil im Irak zu denken. Die Resultate seien Opfer unter der mittellosen muslimischen türkischen Bevölkerung. Sein Beitrag besteht aus weiteren Kapriolen, die nichts anderes als diese Kernaussage beinhalten. Auf der Webseite des einflussreichsten islamistischen Dachverbandes Özgür-Der solidarisiert man sich inzwischen offen mit dem Widerstand der Gruppen um Muqtada al-Sadr und veröffentlicht triumphierend Fotos der Särge getöteter US-amerikanischer Soldaten. In Adana demonstrieren die Kriegsgegner, eine Mischung aus Kurden, Linken und gemäßigten Islamisten, sporadisch immer noch gegen die militärische Präsenz im Irak.

Der Protest bleibt allerdings diffus und kraftlos angesichts islamistischer Hassparolen und der Bestrebungen kurdischer, der Kongra-gel nahe stehender Gruppierungen, eine Bewegung für die Freilassung Abdullah Öcalans zu mobilisieren, welche die Wiederaufnahme des bewaffneten Kampfes der PKK-Nachfolgeorganisation seit dem 1. Juni begleiten soll. Die Mehrheit der türkischen Öffentlichkeit verfolgt die Geschehnisse mit ohnmächtiger Bestürzung.