Battisti taucht ab

Seit Mitte August meldet sich der von Auslieferung bedrohte Cesare Battisti nicht mehr bei den französischen Behörden. von federica matteoni

Ob er sich noch in Frankreich oder im Ausland befindet, ist noch nicht klar, eins jedoch ist sicher: Cesare Battisti ist wieder auf der Flucht. Zum dritten Mal in seinem Leben. Am Dienstag vergangener Woche berichtete die französische Zeitung Libération, im Besitz »zuverlässiger Informationen« über die lange geplante Flucht des italienischen, linken ehemaligen Militanten zu sein und titelte begeistert: »Arrivederci Battisti!« Ähnlich klang die Überschrift eines Aufmachers auf der italienischen Website www.carmillaonline.com, auf der seit Februar eine Kampagne gegen die Auslieferung von Cesare Battisti an die italienische Justiz läuft: »Renn, Cesare, renn!«

Im Februar hatte die italienische Regierung ein Gesuch zur Auslieferung des 49jährigen, seit 13 Jahren in Paris lebenden Krimiautors gestellt, das sich auf eine Verurteilung in Abwesenheit vor über 20 Jahren bezieht. In den siebziger Jahren war Battisti Mitglied der militanten Gruppe Bewaffnete Proletarier für den Kommunismus (Pac), einer im Umfeld der Autonomia Operaia entstandenen Gruppierung. Die Ende der siebziger Jahre in Italien eingeführten Notstandsgesetzte machten es möglich, dass Battisti, wie tausende andere linke Militante, wegen der Zugehörigkeit zu einer als terroristisch geltenden Gruppierung ohne konkrete Anschuldigung verurteilt werden konnte.

1981 wurde Battisti wegen Mitgliedschaft in der Gruppe Pac zu zwölf Jahren Haft verurteilt. Nach einigen Monaten wurde er durch eine spektakuläre Aktion aus dem Gefängnis befreit und flüchtete nach Mexiko. 1985 wurde er in Italien auf Grundlage der Aussagen des Kronzeugen Pietro Mutti von der Guerrillagruppe Prima Linea wegen vier Morden zu lebenslänglicher Haft in Abwesenheit verurteilt. Für Verurteilungen in Abwesenheit sieht das italienische Gesetz keine Revisionsmöglichkeit vor. 1990 verließ er Mexiko und zog nach Paris, wo bereits über 100 politische Exilierte der italienischen radikalen Linken von der so genannten »Mitterand-Doktrin« profitieren konnten. 1985 hatte der französische Staatspräsident François Mitterand erklärt, die italienische Antiterrorgesetzgebung der siebziger Jahre sei mit den Menschenrechten unvereinbar, und versprach den politischen Exilierten, die ihren Kampf gegen den Staat für beendet erklärten, dass es keine Auslieferungen nach Italien geben werde. Die französische Justiz handelte seither diesem Diktum entsprechend und wies die zahlreichen Auslieferungsersuchen aus Italien ab.

Auf diese Rechtsgarantie konnten sich die italienischen politischen Flüchtlinge allerdings nur bis 2002 verlassen, als die »Mitterand-Doktrin« durch ein Abkommen zwischen dem französischen Justizminister Dominique Perben und seinem italienischen Amtskollegen Roberto Castelli de facto aufgehoben wurde. Seitdem entscheidet die französische Justiz nach strengen Kriterien über jeden einzelnen Fall.

Das erste Opfer des neuen repressiven Kurses war 2002 Paolo Persichetti (Jungle World, 37/02), der nach der Ermordung des Regierungsberaters Marco Biagi im März 2002 nach Italien ausgeliefert wurde.

Im vergangenen Februar verlangte die italienische Regierung die Auslieferung eines weiteren ehemaligen Staatsfeindes. Cesare Battisti war in Paris festgenommen und nach einigen Wochen – nicht zuletzt wegen einer breiten, von der französischen Linken gestarteten Solidaritätskampagne – wieder auf freien Fuß gesetzt worden.

Anfang Juli erklärte jedoch die Strafkammer des Pariser Gerichts seine Auslieferung für »rechtskonform« (Jungle World, 11 und 29/04). Zwar könnte noch am kommenden 29. September das oberste Gericht dieses Urteil in der Berufung kippen, aber sowohl Justizminister Dominique Perben als auch Präsident Jacques Chirac haben sich bereits für eine Durchführung der Auslieferung ausgesprochen.

Seit seiner Entlassung aus der Untersuchungshaft im März musste der Schriftsteller seinen Pass abgeben, sich einmal pro Woche bei der Polizei melden und durfte die Pariser Region Île de France nicht verlassen. An dieses Verbot hielt sich Battisti anscheinend jedoch nur bis zum 14. August, als er sich, wie jeden Samstag, bei der Polizei im Pariser Justizpalast meldete. Am folgenden Samstag warteten die vier linken Abgeordneten, die ihn regelmäßig begleiteten, umsonst auf ihn. Der Verdacht und die Hoffnung, er habe Frankreich verlassen, machten sich am Wochenende unter Freunden und Unterstützern breit, schließlich war Battisti in Sachen Flucht immer ein Spezialist. Für die Stimmung vieler Freunde sprach der ebenfalls nach Frankreich geflüchtete ehemalige Theoretiker der Autonomia Operaia, Oreste Scalzone. Auf die Frage, ob er Battisti zur Flucht geraten habe, antwortete er in einem Interview mit Le Monde: »Ich hoffe, nicht der einzige gewesen zu sein«, und äußerte die Hoffnung, sein Freund befinde sich so weit weg wie möglich.

Ob das der Fall ist, ist noch nicht klar. Am Mittwoch galt Battistis Flucht aus Frankreich als so gut wie sicher, doch am selben Tag veröffentlichten seine Rechtsanwälte, Irène Terrel und Jean-Jacques De Felice, einen nach ihren Angaben von dem Schriftsteller unterschriebenen Brief, in dem er erklärt, er wolle Frankreich nicht verlassen: »Ich werde mich der Justizkontrolle entziehen, aber ich werde in Frankreich bleiben (…) Ich werde hier bis zum letzten Urteil, bis zur letzten Berufung warten, in der Hoffnung, dass in diesem Land die Worte Gerechtigkeit und Freiheit noch etwas bedeuten«, schreibt er. Beweise für seine Anwesenheit auf französischem Boden lieferte er selbstverständlich nicht.

Unter den Unterstützern wird darüber diskutiert, ob die Entscheidung Battistis als Akt der legitimen Selbstverteidigung oder der Verzweiflung zu deuten sei. Was seine juristische Lage betrifft, macht es schließlich keinen großen Unterschied, ob er sich noch in Frankreich befindet oder nicht. Gesucht wird er im einen wie im anderen Fall.

Die italienischen Reaktionen auf Battistis Flucht ließen nicht auf sich warten: Justizminister Roberto Castelli greift die gesamte europäische Linke an, die »Mörder verteidigt und eine Kultur des Todes verbreitet, ohne Respekt für die Opfer«, während der Minister für Reformen, Roberto Calderoli von der Lega Nord, von einer Mittäterschaft der französischen Behörden bei Battistis Flucht spricht.