Das Leben ist auch schön

»Anything else« ist ein klassischer Woody-Allen-Film. Er kreist um Tod, Sex und um das, was man »Liebe« nennt. von thomas blum

Der alternde Comedyautor David Dobel (Woody Allen) ist entgeistert darüber, dass sein noch junger, unerfahrener Kollege Jerry Falk (Jason Biggs) im jugendlichen Alter von kaum mehr als 20 Jahren bereits zum Psychotherapeuten geht: »Weil du Angst vor dem Tod hast? Was soll das denn heißen? Ich habe auch Angst vor dem Tod! Mein Hund hat Angst vor dem Tod! Es ist nicht unüblich unter den Menschen, Angst vor dem Tod zu haben.«

Der gutmütige Jerry hat sich in Amanda (Christina Ricci) verliebt, sie ziehen zusammen, und alles könnte aufs beste eingerichtet sein, doch früher oder später wird die Liebe schal und der Sex bleibt aus.

Zu allem Überdruss zieht auch noch Amandas nicht wenig überdrehte, lebenslustige Mutter bei ihnen ein, die gerade ihren zweiten Frühling erlebt und gern auch mal mit ihrem Liebhaber, Whiskyflasche und Koks im Schlepptau nachts nach Hause kommt.

Hätte Jerry nicht seinen lebenserfahrenen, älteren Kollegen Dobel, der ihm gelegentlich mit Trost und Rat, aber auch mit pessimistischen Einwürfen zur Seite steht, wüsste er nicht weiter.

Der Tod, der Sex und das, was man übereingekommen ist, »Liebe« zu nennen, sind seit je Woody Allens Themen. Auch in »Anything else« betrachten wir im Vordergrund den klassisch gewordenen Kreislauf: Verlieben, Sex, Langeweile, Fremdgehen, Eifersucht, Verlassen, Zurückkommen, neue Liebe und das Ganze wieder von vorne.

Jeder neue Film Allens wirkt anfangs freilich auf einen, als habe man ihn irgendwie schon einmal gesehen, was natürlich auch daran liegt, dass wir die übliche Szenerie, den liebenswerten Mikrokosmos des Woody Allen, nur allzu gut kennen und lieben gelernt haben: die Kamerafahrt um zwei miteinander plaudernde Menschen auf einer Bank im herbstlichen Central Park, die Straßen, Plätze und Hauseingänge in New York, der Broadway, das kleine Plattengeschäft, die Galerie oder das Antiquariat, in dem die beiden, die sich gleich ineinander verlieben werden, ihre gemeinsame Leidenschaft für denselben Künstler entdecken. Es ist eine heimelige, kleine Großstadtwelt, unterlegt von stets demselben altmodischen Jazz.

Und den kleinen, zappelnden, verunsicherten, misanthropischen Philosophen mit der Brille, der immerzu die trefflichen Lebensweisheiten ausgibt (»Ich möchte nicht im Herzen meines Volkes glücklich werden, ich möchte in meinem Apartment glücklich werden«), kennen wir, so glauben wir, auch. Dennoch täuscht man sich da. Jeder der Filme Woody Allens ist vielmehr eine Fortsetzung des vorhergehenden, und wir beobachten die kaum variierte Figur des linksliberalen, jüdischen New Yorker Großstadtintellektuellen dabei, wie sie in ihrer obsessiven fortlaufenden Beschäftigung mit ihren Lieblingssujets (Sex, Liebe, Tod, Macht) unablässig versucht, eine neue Stufe der Weisheit zu erklimmen und dabei scheitert, so wie wir auch. Denn die Beziehungen zwischen den Menschen funktionieren nicht, sie sind nur schöner Schein.

Unter der Oberfläche der Großstadt- und Beziehungskomödie hat Allen in »Anything else« ein zweites Sujet versteckt: die Erfahrung des Holocaust und das daraus resultierende Misstrauen gegen den Menschen.

Woody Allen glaubt so recht an gar nichts mehr, und wir wissen auch weshalb, denn er teilt es uns in dieser nihilistischen und wie zum Trotz dennoch der Schönheit des Lebens huldigenden Filmkomödie mit: wegen der Unmöglichkeit der Liebe, der Leere des Universums, der Allgegenwart von Krankheit und Tod, wegen der Sinnlosigkeit des Daseins und wegen des unendlichen Leids und Schmerzes, den Menschen auszuhalten haben und hatten.

Leere, Tod, Sinnlosigkeit, Schmerz. Mit diesen Phänomenen ganz beschäftigt, redet Dobel auf den ihn chauffierenden Taxifahrer ein. »It’s like anything else«, lautet nach einer Weile dessen Kommentar, der dafür nicht Schopenhauer gelesen haben muss. Es geht eben weiter, das Leben, und auch wenn es traurig ist, ist es zugleich komisch und rührend und dramatisch und voller Poesie, wenigstens im Allenschen Mikrokosmos.

Der alte, schmächtige David Dobel jedenfalls hat seine Lektion im Leben gelernt. Er weiß, dass er auch in der vermeintlichen Zivilisation von Feinden und der Allgegenwart eines keimenden Faschismus umgeben ist. »Never trust a naked busdriver«, sagt er seinem Schützling Jerry, nachdem er ihn überredet hat, sich auch für das Leben in New York ein Gewehr und ein Survival Kit inklusive Tabletten zur Trinkwasserdesinfektion anzuschaffen. Sonst nämlich, weiß Dobel, könne es sein, dass man sich eines Tages unversehens unter einer Dusche wiederfindet, aus der gar kein Wasser kommt, sondern Gas. Er kennt sich aus, er weiß bescheid, er kennt die Geschichte, er weiß, worum es geht im Leben.

In einer der schönsten und anrührendsten Szenen des Films demonstriert er seinem jungen Freund Jerry persönlich, was er genau meint. Als er mit ihm im Auto unterwegs ist und brav auf das Freiwerden einer Parklücke wartet, schnappen ihnen zwei muskelbepackte Rabauken den Parkplatz vor der Nase weg, und als der empörte Dobel den Versuch unternimmt, die beiden auf ihr Fehlverhalten aufmerksam zu machen und aufgeregt mit ihnen zu argumentieren, wird er rüde angeschnauzt, weggeschubst und gedemütigt. Schweigend steigt er wieder zu Jerry in den Wagen, der auf der Weiterfahrt tröstend auf ihn einredet und ihm zu erklären versucht, dass man sich mit dergleichen eben abzufinden habe. Es gebe eben die Dumpfbacken, sagt Jerry, die hätten die Muskeln, und die Klugen, die mit Verstand ausgestattet seien, um brillante Satiren über solche Idioten zu schreiben. Schlagartig wendet der noch immer schweigende Dobel den Wagen, kehrt zu dem geparkten Auto der ungehobelten Raufbolde zurück und zertrümmert ungelenk, aber nicht ohne Enthusiasmus mit einer Eisenstange die Wagenfenster. Und wir lieben den schmalen, unbeholfen auf das Auto einschlagenden Intellektuellen dafür und freuen uns mit ihm.

Der linksliberale Charakter, den Woody Allen spielt, hat seit jeher seine Schwierigkeiten mit Zwang, Nötigung, Ungerechtigkeit, Autorität und Faschismus. In »Manhattan« (1979) antwortet der Schriftsteller Ike (Woody Allen), als er auf einen satirischen Zeitungsartikel über Neonazis angesprochen wird: »Ein satirischer Artikel ist natürlich gut, aber Ziegelsteine und Baseballschläger treffen die Sache besser.« In »Annie Hall« (1977) zerreißt die Hauptfigur Alvy (Woody Allen) vor den Augen eines unhöflichen Polizisten gemächlich seinen Führerschein, den er vorzeigen sollte, und stottert lächelnd: »Ich hab’ ein furchtbares Auto … Autoritätsproblem, wissen Sie. Ist gewiss nicht Ihre Schuld … Nehmen Sie’s nicht persönlich.«

Worum geht es also im Leben, im Alltag, in der Liebe? Jerry sinniert und kommt zu dem Schluss: »Es geht um Widerstand.« Das wenigstens hat er irgendwann begriffen.

Das Leben ist eine verrückte, anstrengende, ungerechte Angelegenheit in einer unheilen Welt, aber etwas anderes als das Leben haben wir nicht.

»Anything Else«. Regie: Woody Allen, D: Woody Allen, Christina Ricci, Jason Biggs, Danny DeVito. USA 2003, Start: 2. September