Der Coup des Ayatollahs

Die erfolgreiche Vermittlung von Ayatollah Sistani im Konflikt um Najaf stärkt die konservative schiitische Geistlichkeit im Irak. von thomas schmidinger

Die Kämpfer Muqtada al-Sadrs legten brav einige Kalaschnikows in bereitgestellte Holzkisten, und ein Vertreter des extremistischen schiitischen Geistlichen übergab den Schlüssel zum Mausoleum Alis in Najaf. Der Emporkömmling Sadr musste sich der Macht von Ayatollah Ali al-Sistani, des höchsten schiitischen Geistlichen im Irak, beugen.

Mit der Herstellung des Waffenstillstands in Najaf ist Sistani der wichtigste Coup seit dem Sturz Saddam Husseins gelungen. Denn Sistanis Vermittlungsbemühungen hatten Erfolg, während alle Initiativen der irakischen Regierung scheiterten. Das dürfte nicht nur dem Ayatollah selbst, sondern auch der traditionellen schiitischen Geistlichkeit einen Zuwachs an Macht bringen. Auch die Truppen der USA müssen Najaf verlassen, und der irakischen Regierung hat Sistanis Initiative faktisch das Heft aus der Hand genommen.

Der derzeit wohl einflussreichste irakische Geistliche gehört eigentlich der quietistischen Richtung der Schia an, die sich im Gegensatz zu Ayatollah Khomeinis Konzept der »Herrschaft der Rechtsgelehrten« gegen eine direkte Machtausübung der Geistlichkeit ausspricht. Der im Iran geborene Sistani folgt der traditionellen schiitischen Lehre, gemäß der ein wahrhaft islamischer Staat erst »nach der Wiederkehr des zwölften Imams« errichtet werden kann.

Diese politische Enthaltsamkeit ermöglichte es Sistani, nach dem Tod seines Vorgängers Ayatollah Abdul Kasim Khoei 1992 das Amt des Marja al-Taqlid (Quelle der Nachahmung) zu übernehmen, das ihn über andere Ayatollahs stellt, und die ba’athistische Herrschaft unbeschadet zu überleben. Auch nach dem Sturz Saddam Husseins kommentierte Sistani selten das politische Tagesgeschehen, umso mehr Gewicht bekommen seine Stellungnahmen jedoch, wenn er sich einmal zu Wort meldet.

Kurz vor Beginn der jüngsten Eskalation in Najaf war Sistani zur Behandlung eines Herzleidens nach Großbritannien geflogen. Nachdem sich Regierungstruppen, US-Armee und die Miliz al-Sadrs einen wochenlangen Zermürbungskrieg geliefert hatten, kehrte Sistani in der vergangenen Woche genau zum richtigen Zeitpunkt zurück und konnte als einzige vom Konflikt unbelastete Autorität allen Beteiligten seinen Lösungsvorschlag aufzwingen. Damit bewies er seine Unentbehrlichkeit. Wie mächtig Sistani damit zumindest kurzfristig geworden ist, zeigt allein schon die Tatsache, dass sich hinter den Kulissen sowohl kurdische als auch kommunistische Politiker entsetzt zeigen, dies jedoch nicht mehr öffentlich äußern, da der 74jährige Geistliche zu beliebt geworden ist.

Sistanis Intervention hat die Lage im Südirak zumindest vorübergehend stabilisiert, und der Ayatollah bekennt sich zu einem demokratischen System. Doch seine gesellschaftspolitischen Vorstellungen sind reaktionär-islamisch, Sistani verbietet unter anderem die Selbstbefriedigung, das Schachspiel und Freundschaften zwischen Männern und Frauen. Gerade nach seinem Erfolg in Najaf wird Sistani noch stärker als bisher auf eine baldige Wahl drängen, in der Hoffnung, seine Beliebtheit werde die mit ihm verbündeten gemäßigt schiitischen Parteien stärken. Die meisten anderen politischen Kräfte halten den für Ende des Jahres angesetzten Wahltermin für verfrüht.

Auch der Machtkampf zwischen den schiitischen Gruppen ist noch nicht beendet. Sadr und seine Kämpfer müssen keine Strafverfolgung fürchten. Augenzeugen berichteten, dass die schweren Waffen der Miliz nicht abgegeben wurden. Das bestätigte auch Sadrs Sprecher Ahmed al-Schaibani der Nachrichtenagentur AFP: »Wir werden die Waffen verbergen, sie aber nicht der Polizei oder der Armee übergeben.« Der Waffenstillstand ist möglicherweise, wie der letzte im April, nur eine Feuerpause.