Feindliche Poeten

Die Anhörungen in Guantánamo von jörn schulz

Suleiman al-Bahlul konnte seinen Bekenntnisdrang kaum bremsen. »Ich bin ein Mitglied der al-Qaida«, verkündete er bei seiner Anhörung in Guantánamo, bevor ihn jemand danach gefragt hatte. Der jemenitische Dichter, der für al-Qaida Propagandamaterial erstellt haben soll, gehörte zu den ersten der 585 in Guantánamo inhaftierten enemy combatants (feindlichen Kämpfer), die in der vergangenen Woche dem Militärtribunal und der Öffentlichkeit präsentiert wurden.

Man sollte annehmen, dass die Regierung der USA ein Interesse daran hatte, bei dieser Gelegenheit besonders gefährliche Terroristen vorzustellen. Vorgeführt wurden neben dem enemy poet Bahlul ein ehemaliger australischer Känguruhjäger, der in den Reihen der Taliban gekämpft haben soll, und ein jemenitischer Fahrer, dem vorgeworfen wird, für Ussama bin Laden Waffen und Autos gekauft zu haben. Einzig dem Sudanesen Ibrahim Ahmed Mahmoud al-Qosi wird ein höherer Rang im al-Qaida-Netzwerk zugeschrieben.

Auch die Präsentation hochkarätiger Terroristen würde den Sonderstatus des enemy combatant nicht rechtfertigen, der die Gefangenen außerhalb des Kriegsrechts und des bürgerlichen Rechts stellt. In den Zeiten, als die Bourgeoisie unter Liberalismus nicht nur ihre unbeschränkte ökonomische Freiheit verstand, wurde dieses Regelwerk geschaffen, weil man selbst im Umgang mit seinen Todfeinden einen minimalen zivilisatorischen Standard wahren wollte und ihnen deshalb einklagbare Rechte zugestand. In Guantánamo dagegen ist die Wahrung zivilisatorischer Standards ein Gnadenakt des Präsidenten, dessen Zusage, die Gefangenen würden »human behandelt«, nicht immer eingehalten wurde.

Das bizarre Schauspiel in Guantánamo wirft jedoch auch die Frage auf, was die Regierung der USA mit der Erfindung des enemy combatant eigentlich erreichen will. George W. Bush hatte in seiner Anordnung vom November 2001 behauptet, wegen der »Gefahr für die Sicherheit der Vereinigten Staaten und der Natur des internationalen Terrorismus« sei es »nicht praktikabel, in den unter diesem Befehl stehenden Militärkommissionen die Prinzipien des Gesetzes und die Regeln der Beweiserhebung anzuwenden«, die ansonsten in den USA üblich seien.

Die US-amerikanische Justiz hatte jedoch zuvor in zahlreichen Terrorismusprozessen, unter anderem gegen die islamistischen Urheber des ersten Anschlags auf das World Trade Center im Jahr 1993, bewiesen, dass eine Strafverfolgung nach den üblichen Regeln durchaus praktikabel ist. Zudem können in einem bewaffneten Konflikt gefangene Kämpfer nach den Bestimmungen des Kriegsrechts bis zum Ende des Konflikts interniert werden.

Einen abschreckenden Effekt dürfte Guantánamo für islamistische Terroristen nicht haben, und das al-Qaida-Netzwerk hat hinreichend bewiesen, dass es auch ohne die 585 Inhaftierten handlungsfähig ist. Immer wieder wurden Gefangene, vermutlich wegen erwiesener Unschuld, stillschweigend freigelassen. Die Regierung der USA scheint auch kein Interesse daran zu haben, leer gewordene Zellen wieder zu füllen.

Die Erfindung des enemy combatant scheint das Werk eines Staatsapparats zu sein, in dem nach dem 11. September die Befürworter einer starken und unkontrollierten Exekutive die Oberhand gewannen, ohne dass sie den Nutzen der von ihnen durchgesetzten Maßnahmen beweisen mussten. Der Senator William Fulbright hat diese Dynamik 1966 in seinem Buch »Die Arroganz der Macht« beschrieben: In normalen Zeiten dominiere in den USA der demokratische Humanismus, doch »wenn ein Ereignis oder ein Meinungsführer die Bevölkerung emotionalisiert, bricht unser puritanischer Geist durch«.