Verbotene Hilfe

Ein widersprüchliches Urteil gegen die Unterstützer illegalisierter Flüchtlinge sorgte in Frankreich für Aufsehen. von bernhard schmid, paris

Schuldig, aber ohne Strafe«. Dieses ambivalente Urteil fällte das Strafgericht von Boulogne sur Mer am Ärmelkanal gegen zwei Franzosen, die illegalen Einwanderern Hilfe geleistet hatten. Es fiel am vorletzten Freitag zu ungewöhnlicher Uhrzeit, um fünf Uhr morgens, nach 19 Stunden währender Verhandlung. Bis in diese frühen Morgenstunden hinein war der Gerichtssaal überfüllt: Mitglieder von Solidaritätsgruppen für Immigranten und Menschenrechtsorganisationen, der grünen Partei und der linken Bauerngewerkschaft füllten die Reihen.

Seit 15 Monaten lief das Strafverfahren gegen Charles Frammezelle und Jean-Claude Lenoir. Das Vergehen des 45jährigen Erziehers und des 53jährigen Lehrers bestand darin, dass sie nach der Schließung des vom Roten Kreuz eingerichteten Flüchtlings-Durchgangslagers in Sangatte am Ärmelkanal durchreisende Migranten bei sich zu Hause beherbergt hatten. Das Lager von Sangatte, das keinerlei offiziellen Rechtsstatus genoss, hatte seit 1999 mehreren tausend Menschen ohne Aufenthaltstitel als Dach über dem Kopf gedient. Die meisten von ihnen wollten nach Großbritannien (Jungle World, 26/02). Gemäß einer Vereinbarung zwischen dem französischen und dem britischen Innenminister vom Sommer 2002 wurde es zum Jahresende geschlossen. Seitdem irren viele Flüchtlinge im Raum Calais auf der Suche nach Überfahrtmöglichkeiten durch die Straßen und übernachten im Freien oder auf Baustellen.

Daher beherbergten Frammezelle und Lenoir seit April 2003 mehrere Flüchtlinge, gaben ihnen Decken und Nahrung. Das wurde ihnen nun als Beihilfe zum Aufenthalt illegaler Einwanderer zur Last gelegt, was nach damals geltendem Gesetz, das mittlerweile noch verschärft worden ist mit einer Höchststrafe von fünf Jahren Haft und 30 000 Euro Geldstrafe geahndet wurde. Als 1994 der damalige Innenminister Charles Pasqua diese Strafbestimmungen einführte, betonte er, sie dienten nur der Strafverfolgung von kommerziell handelnden Schleusern und nicht jener von Freiwilligen, die aus uneigennützigen und humanitären Motiven tätig sind.

Frammezelle und Lenoir wurde vorgeworfen, jeweils rund 7 000 Euro in Empfang genommen zu haben, die für die von ihnen aufgenommenen Flüchtlinge bestimmt waren – die Summe von Einzelbeträgen zwischen 70 und 1 450 Euro. Es handelte sich um Geldbeträge, die von den Familien der Flüchtlinge im Herkunftsland überwiesen wurden. Da illegalisierte Migranten, noch dazu ohne Wohnsitz, kein Konto eröffnen können, nahmen die beiden freiwilligen Helfer das Geld für sie in Empfang. Unbestritten ist, dass Frammezelle und Lenoir nicht einen einzigen Cent für sich selbst genommen haben. Dennoch wurde ihnen der Empfang des Geldes zum Vorwurf gemacht: Wenn die beiden sich auch nicht selbst bereichert hätten, so seien doch mit dem Geld angeblich Schleuser bezahlt worden, wodurch die Hilfe einen strafbaren kommerziellen Charakter angenommen habe.

Das Gericht erklärte zwar die Angeklagten im rechtlichen Sinne für schuldig, sah jedoch von ihrer Bestrafung ab. Nicht glimpflich davon kamen jedoch sechs Iraker: Sie waren in dem Verfahren als Schleuser mitangeklagt, weil sie Landsleuten über die Grenze geholfen hatten. Zwei von ihnen wurden freigesprochen, vier andere zu Haftstrafen zwischen zwei und sechs Jahren verurteilt.