»Dezentralisierung bedeutet Teilung«

Bujar Bukoshi

Ein gutes halbes Jahr nach den antiserbischen Pogromen finden am 23. Oktober im Kosovo Parlamentswahlen statt. Es sind die zweiten seit Einrichtung der Uno-Protektoratsverwaltung (Unmik) im Sommer 1999. Erstmals wird die vor zwei Jahren gegründete Neue Partei des Kosovo antreten, die von Bujar Bukoshi geführt wird. Der 57jährige Arzt stand in den neunziger Jahren als Premierminister an der Spitze der kosovo-albanischen Exilregierung in Bonn, ehe er nach Ende des Nato-Krieges 1999 in das Kosovo zurückkehrte. In Pristina sprach mit ihm Markus Bickel.

Als die Nato 1999 militärisch in Jugoslawien intervenierte, erhofften sich die Kosovo-Albaner die Unabhängigkeit. Fünf Jahre nach Ende des Nato-Krieges ist eine Klärung der Statusfrage noch immer nicht in Sicht.

Das ist natürlich ein entscheidender Grund, warum die Leute hier frustriert sind. Und damit meine ich nicht die Extremisten, die mit den Ausschreitungen im März ihr eigenes Süppchen kochten, sondern die ganz normalen Bürger im Kosovo. Diese Menschen fordern eine Perspektive und das Ende der Unsicherheit darüber, ob am Ende Belgrad nicht doch wieder seine Zustimmung zu der Entscheidung über den Status geben muss.

Die vom ehemaligen Leiter der Kosovo-Übergangsverwaltung Unmik, Michael Steiner, proklamierte Formel »Standards vor Status« löst die Probleme nicht?

Jeder demokratische Staat muss diese Standards erfüllen. Dennoch bleibt es eine Leerformel, weil offen gelassen wird, was nach Erfüllung der Standards kommt. Für mich ist es unabdingbar, dass im Kosovo endlich rechtstaatliche Institutionen etabliert werden. Hier herrschen zurzeit doch Verhältnisse wie in Chicago in den zwanziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts. Diese mafiösen Strukturen haben sich so festgesetzt, dass ein Fortschritt im Kosovo bis auf weiteres verhindert wird. Und die Regierenden haben weder die Expertise noch den politischen Willen, daran etwas zu ändern. Deshalb plädiere ich auch dafür, von »Standards für Staatlichkeit« zu sprechen.

Glauben Sie, dass der neue Unmik-Chef Soren Jessen-Petersen der richtige Mann ist, um diesen Prozess voranzutreiben?

Für mich ist es unerheblich, wer an der Spitze der Protektoratsverwaltung steht. Mir ist es viel wichtiger, dass die albanische Seite endlich dazu übergeht, eine gemeinsame Instanz zu bilden, die in der Lage ist, partnerschaftlich mit den Internationalen zusammenzuarbeiten. Zu einer konstruktiven Zusammenarbeit mit der Unmik-Administration war sie zu keinem Zeitpunkt bereit. Die Parteien des Kosovo müssen anfangen, die Zukunft selbst zu gestalten. Dabei sollte die internationale Gemeinschaft künftig nur noch Hilfe zur Selbsthilfe leisten.

Das heißt, ohne Klärung der Statusfrage wird es immer wieder zu Ausschreitungen gegen Serben und andere Minderheiten kommen.

Es gibt keinerlei Entschuldigung für die Ereignisse im März – ganz unabhängig davon, an welchem Etappenabschnitt auf dem Weg zur Staatlichkeit sich das Kosovo befindet. Für mich haben die Krawalle jedoch noch etwas anderes deutlich gemacht: Die politische Führung des Kosovo hat keine Courage, die realen Probleme anzugehen. Bis heute besteht die Regierung des Kosovo doch aus drei Regierungen, die sich gegenseitig bekämpfen. Darüber hinaus sind sie zu Arbeitsämtern für die Beschäftigung der eigenen Verwandtschaft verkommen. Und mit Blick auf die internationale Gemeinschaft sind sie nur Jasager. Rugova etwa hat nie gewagt, ein böses Wort über die Unmik zu verlieren, oder sich getraut, Forderungen an die Unmik oder auch nur ein paar klare Fragen an sie zu stellen.

Nach dem Einmarsch der Nato 1999 kam es schon einmal zu einer antiserbischen Gewaltwelle. Steckten ehemalige UCK-Kämpfer auch im Frühjahr hinter den Anschlägen?

Davon muss man angesichts des Organisierungsgrads der Demonstrationen ausgehen. Außerdem nahmen schon vor fünf Jahren viele UCKler für sich in Anspruch, das Kosovo allein befreit zu haben. Die Rolle der Nato wurde entgegen der Wirklichkeit kleingeredet – so als ob nicht die wochenlangen Luftangriffe für den Rückzug der Truppen Milosevics gesorgt hätten, sondern der Bodenkampf der UCK. Schurken nutzten dann das Machtvakuum, das zwischen dem Abzug der Serben und dem Einzug der Nato-Truppen entstand, um sich selbst zum Bürgermeister zu ernennen oder andere Funktionärsposten zu ergreifen.

Und heute sitzen sie in der Regierung in Pristina. Welche Chancen rechnen Sie sich aus, mit ihrer Neuen Partei des Kosovo für eine Änderung der Machtverhältnisse zu sorgen?

Die Wähler müssen diese unverantwortlichen Politiker nach Hause schicken – nicht mit Kalaschnikows, sondern mit Stimmzetteln. Statt fünf Jahre lang in die eigene Tasche zu wirtschaften, hätten sie sich besser darum kümmern sollen, Konzepte zur Schaffung von Arbeitsplätzen zu erstellen. Stattdessen wurde immer nur von der Unabhängigkeit geredet: Ich will aber keinen unabhängigen Staat Kosovo gleich morgen Vormittag, damit wir in zwei Jahren einen Schurkenstaat haben. Ich will einen geordneten Staat nach dem Vorbild westlicher Demokratien und nicht einen, der auf der derzeitigen Korruption basiert.

Sollen die serbischen Parteien an den Wahlen teilnehmen?

Natürlich sollten sie das. Allerdings wird es sie reichlich wenig interessieren, wenn ich sie dazu auffordere. Sie warten auf die Direktiven aus Belgrad. Mein Appell ist dennoch, dass sie an die Zukunft des Kosovo denken sollten, weil das Kosovo für sie wie für die Albaner ihr Zuhause ist. Mein politisches Credo ist – und das sage ich weder aus Populismus noch aufgrund einer proserbischen Haltung –, dass dieser zukünftige Staat von allen Bevölkerungsgruppen demokratisch geführt werden muss. Er soll allen Bürgern dienen, also auch den Serben.

Direkt nach seinem Amtsantritt hat Serbiens Premier Vojislav Kostunica die Kantonisierung des Kosovo gefordert. Auch die Dezentralisierungsvorschläge von Außenminister Vuk Draskovic gehen in diese Richtung. Was halten Sie davon?

Dezentralisierung bedeutet Teilung. Es gibt jedoch keinen Grund dafür, warum das Kosovo geteilt werden sollte. Auch Mitrovica ist Teil des Kosovo, auch die serbischen Enklaven sind Teil des Kosovo. Das heißt, es ist unteilbar. Sollte es dazu kommen, würde ein unregierbarer, nicht überlebensfähiger Staat entstehen. Außerdem würde sich die Büchse der Pandora auf dem Balkan erneut öffnen: In Mazedonien, im Presevo-Tal und in Montenegro würde ebenfalls diese Forderung gestellt. Und ich will gar nicht wissen, was dann mit der bosnisch-serbischen Republika Srpska passieren würde.

In Brüssel stoßen die Belgrader Pläne durchaus auf Zustimmung.

Ich warne die internationale Staatengemeinschaft davor, immer wieder diese Konzessionen an Belgrad zu machen. Damit wird die politische und wirtschaftliche Entwicklung hier nur weiter gebremst. Außerdem ist es politisch dumm, so zu tun, als ob die Dezentralisierung plötzlich die wichtigste Frage sei. Es gibt tausend Dinge, die wichtiger sind: der Aufbau eines ordentlichen Bildungssystems, die Schaffung von Arbeitsplätzen und die Bekämpfung der Korruption. Und um der Sippenwirtschaft endlich ein Ende zu bereiten, müssten kleinere und mittlere landwirtschaftliche Betriebe viel stärker unterstützt werden.