Lasst uns drüber reden

Was tun, wenn die Bürger keine Lust mehr auf Reformen haben? Man verbessert die »politische Kommunikation«. Von einer Podiumsdiskussion im Bundespresseamt berichtet stefan wirner

Wussten Sie schon, dass Sie ein »Orientierungsproblem« haben? Das meint Matthias Machnig, der den Wahlkampf der SPD im Jahre 2002 leitete. Wussten Sie, dass Sie sich »in einem fast elementaren Sinne beunruhigt fühlen durch die ökonomische Welt, durch den exzessiven Kapitalismus«? Das glaubt Heiner Geißler, der ehemalige Generalsekretär der CDU. Und wussten Sie, dass Sie nur deshalb gegen Hartz IV sind, weil »man nicht erkennen kann, warum die Reform gemacht wird«? Das denkt Brigitte Fehrle, die stellvertretende Chefredakteurin der Berliner Zeitung. Schade, dass keine Arbeitslosen anwesend waren beim Podium zum Thema »Politische Kommunikation im Superwahljahr«. Sie hätten vielleicht endlich verstanden, warum sie nichts verstehen.

Zum »media coffee« hatte das Presse- und Informationsamt der Bundesregierung in Zusammenarbeit mit Newsaktuell, einem Unternehmen der Firmengruppe der Deutschen Presseagentur (DPA), geladen, und jede Menge Journalisten kamen in den protzigen Bau des Bundespresseamtes am Reichstagsufer in Berlin. Schon die Architektur des Gebäudes verdeutlicht, wie wichtig die Vermarktung von Politik inzwischen geworden ist.

Politiker und Journalisten haben es schwer in diesen Tagen, man könnte sagen: Sie sitzen in einem Boot. Und dieses Boot ist voll, jeder kämpft um seine Karriere, selten purzelt jemand einfach so auf der Leiter nach oben. Jeder Politiker braucht das Medium, das über ihn berichtet, und jeder Journalist braucht eine Information, die ihn voranbringt. Wer schlecht über einen Politiker schreibt, wird von ihm auch keine Neuigkeit mehr »unter drei«, wie es im Jargon heißt, gesteckt bekommen.

Und zu allem Ungemach scheint die Bevölkerung keine Lust mehr auf das zu haben, was in den vergangenen Monaten das Lieblingsprojekt der meisten Parteien und Medien war: die »Reformen«. Zehntausende gehen jeden Montag auf die Straße, und noch mehr Menschen verweigern der SPD die Stimme bei den Wahlen oder gehen gar nicht mehr wählen wie etwa vorige Woche im Saarland. Irgendwas scheint schief gelaufen zu sein in der Kommunikation zwischen dem Bürger und der Politik.

Der Hinweis auf »handwerkliche Schwächen« bei der »Umsetzung der Reformen« und die angebliche Schuld Oskar Lafontaines an dem Desaster lullen nicht mehr alle ein. Wer hat den Fehler gemacht, die Politik oder die Medien? Wurden die »nötigen« Reformen nur »falsch vermittelt«? Wie macht man den von Hartz IV Betroffenen klar, dass es gut für sie ist, wenn sie demnächst nur noch 345 Euro zum Leben haben? Glücklicherweise sind auf dem Podium nur Koryphäen versammelt, »die von der Sache richtig viel verstehen«, wie der Moderator Wilm Herlyn, der Chefredakteur der Deutschen Presseagentur, ankündigt.

Steffi Lemke etwa, die Bundesgeschäftsführerin der Grünen, die maßgeblich an der Ausarbeitung des Konzepts für den Europawahlkampf ihrer Partei beteiligt war. Ihr merkt man an, dass die Klientel ihrer Partei nicht so stark von den Reformen der Bundesregierung betroffen ist. Die Grünen hätten bei der Europawahl alles richtig gemacht, meint sie, sie hätten die »eigenen Leute mobilisiert«, und zwar mit einem »Instrumentenmix«. Man habe die richtige »Kommunikationsstrategie« gewählt und sich als »moderne, innovative Partei präsentiert«, kurz: »eine Marke gebildet«. »Wir haben unsere Wertedebatte vorher geführt«, betont Lemke, die Grünen seien »in die Kommunikation reingegangen«.

Da staunt Matthias Machnig nicht schlecht. All diese Tricks kennt er freilich auch, er verrät sie jedoch nicht mehr der SPD, sondern Booz Allen Hamilton, einer dieser Beraterfirmen, die immer mehr Einfluss auf politische Entscheidungsprozesse gewinnen. Wer weiß, vielleicht verkauft Booz Allen Hamilton Machnigs Ideen dann wieder an die SPD.

Was er auf dem Podium sagt, hört sich an wie eine Sammlung der Unwörter aus dem Lexikon der Beratersprache. Erst mal müssten die »Denkverbote in der politischen Debatte« aufgehoben werden. Denn Denkverbote aufheben, das macht sich immer gut. Und wenn eines aufgehoben wird, dann hört es sich meist so an: »Wir müssen unsere Wettbewerbsfähigkeit stärken.« Um in Deutschland den »turnaround« hinzubekommen, seien – Überraschung! – »Investitionen« nötig. Machnig beklagt: »Deutschland hat keinen player mehr unter den top ten!« Man brauche »nationale Champions«. Das klingt sexy.

Er wünscht sich eine »Repolitisierung der politischen Debatte«. Es gehe um den Konflikt zwischen der Vorstellung von einer »sozialen Demokratie«, wie sie in der SPD, der Agenda 2010 zum Trotz, noch immer vorherrsche, und einer »breiten Ökonomisierung« der Gesellschaft, die der »radikalisierten bürgerlichen Oppostion«, gemeint sind CDU und FDP, vorschwebe. Man müsse den Menschen erklären, »was bleibt«, was »Logik und Ziel der Maßnahmen« sei.

Mit dieser rundumerneuerten Rhetorik hat Heiner Geißler nicht viel am Hut. Er teilt nicht die Ansicht der Teilnehmer des Podiums und der vielen Wirtschaftsredakteure im Saal, die Politik müsse nur besser vermittelt und erklärt und verkauft werden. »Beide großen Parteien machen Politik im Schlepptau des Neoliberalismus«, schimpft das alte Schlitzohr der CDU. »Die SPD und die CDU erwecken den Eindruck, als würden sie tief ins soziale Fleisch einschneiden, so als ob die Politik eine Metzgerei wäre, in der es nur so spritzt.« Geißler prophezeit auch der CDU für die Zukunft schlechtere Wahlergebnisse. »Die extremen Parteien bekommen Zulauf von den Marginalisierten und den von Marginalisierung Bedrohten«, sagt er. Es gebe in Deutschland »keine relevante Opposition zu dem, was die Regierung macht«, und die Presse übernehme die »regierungsamtliche Diktion«.

Hat Geißler die politische Richtung gewechselt? Nein, er mimt nur das Sozialforum der CDU, die Plattform von Attac in der Partei. »Die Parteien sind nicht in der Lage, Alternativen zu der herrschenden Weltwirtschaftsordnung zu entwicklen«, kritisiert er. »Es ist Geld vorhanden wie Dreck auf der Erde, aber es wird nicht richtig verwandt.« Es gehe um eine »Alternative zur angelsächsischen Konzeption«, um eine »internationale soziale Marktwirtschaft«, sagt er, als habe George W. Bush die Praxisgebühr in Deutschland eingeführt und die Agenda 2010 entworfen.

Die Regulierung des enthemmten angelsächsischen Kapitalismus müsse auf dem Weltwirtschaftsgipfel durchgesetzt werden, meint Geißler. Er will es offenbar nicht Oskar Lafontaine alleine überlassen, um die Wählerstimmen der Globalisierungskritiker zu werben.

Brigitte Fehrle, die früher als Redakteurin für die taz arbeitete, sieht das alles anders. Ihr Problem sind die Bürger, die noch immer nicht verstanden haben, wo der Hase lang läuft. Sie warnt davor, was geschehe, wenn demnächst der Spitzensteuersatz gesenkt werde. Es existiere noch keine Strategie, dies den Bürgern in Zeiten von Hartz IV zu erklären, sorgt sie sich. Man darf sicher sein, dass sie an einer Strategie feilt, wie sie dies zumindest den Lesern der Berliner Zeitung erklären kann.

Sie fordert einen »Umerziehungsprozess« für die Bürger. Fragt sich nur, wer sich ausgerechnet von Fehrle umerziehen lassen will. Michael Klein sicherlich nicht. Der Chefredakteur der Fernsehsendung von Sabine Christiansen kritisiert, dass in allen Zeitungen das Gleiche stehe. »Alle laufen denselben Themen hinterher«, beklagt er sichtlich genervt. »Man ist fast schon froh, wenn ein Krieg kommt, um endlich mal ein anderes Thema zu lesen«, sagt er. Das sieht Bundeskanzler Gerhard Schröder sicher genauso.