Monolog in der Mukata

Wer mit Yassir Arafat spricht, versteht, warum mittlerweile auch die Europäer genug haben vom undurchsichtigen Taktieren des palästinensischen Präsidenten. von michael borgstede, ramallah

Fragen zur aktuellen Situation in den Palästinensergebieten seien tabu, warnt Yassir Arafats Chefberater Nabil Abu Rudeina noch, bevor es in das kleine, stickige Kämmerlein geht, wo Arafat vor einem Bild der Al-Aqsa-Moschee auf den Besucher wartet. Nebenan, das ist bekannt, verfügt der Rais (Oberhaupt) über frisch renovierte Empfangsräume mit Türen aus Mahagoni, doch die bleiben palästinensischen Besuchern vorbehalten. Der Westen soll ihn leiden sehen.

In der noch immer belagerten Mukata, Arafats Hauptquartier, wird nichts dem Zufall überlassen. Von 28 Fragen sind schließlich dreizehn übrig geblieben, von denen weitere fünf »entschärft« werden mussten, und während des gesamten Interviews weicht Rudeina nicht von der Seite seines Chefs. Der hat die Fragen eigentlich nicht nötig, hält er doch am liebsten assoziativ ausschweifende Monologe.

»Ich erinnere mich an meine Kindheit in meiner Geburtsstadt Jerusalem …«, beginnt er unaufgefordert und ist für zehn Minuten nicht zu stoppen. Dabei hat er wahrscheinlich nicht mehr als vier Jahre seiner Kindheit bei einem Onkel in Jerusalem verbracht. Geboren wurde Arafat nämlich seiner wiedergefundenen Geburtsurkunde zufolge in Kairo, und zwar am 24. August 1929. Das sieht der Rais anders, weshalb die Welt seinen 75. Geburtstag am vergangenen 4. August beging. Gefeiert wurde diesmal im kleinen Kreis, die Glückwunschtelegramme aus aller Welt blieben aus.

Arafat hat schon bessere Zeiten erlebt. Doch auch das sieht er anders: »Mir geht es hervorragend«, versichert er lächelnd. Das Verhältnis zu seinem Ministerpräsidenten Ahmed Qurei, der aus Verärgerung über Arafat fast wöchentlich mit seinem Rücktritt droht, sei ungetrübt. Ärgerlich sei nur, dass Ariel Sharon Millionen in den Gazastreifen investiere, um einige Wirrköpfe zur Randale anzustiften. Das bleibt sein einziger Kommentar zu den andauernden Unruhen in den Palästinensergebieten.

Dann hebt Rudeina warnend den Finger: keine Nachfragen bitte! »Präsident Arafat, die Genfer Initiati …« Der Rais unterbricht begeistert: »Ja, Genfer Initiative. Eine sehr lobenswerte Unternehmung. Ich habe selbst meinen persönlichen Abgesandten geschickt, um eine Rede zu halten.« »Präsident Arafat, würden Sie morgen ein Friedensabkommen nach den Richtlinien der Genfer Initiative unterschreiben?« Arafat ignoriert die Frage. »Ich habe ja selbst meinen persönlichen Abgeordneten geschickt…«

So geht das über eine Stunde lang, und man beginnt zu begreifen, warum die US-Amerikaner, die Israelis und mittlerweile auch die Europäer im Umgang mit Arafat die Geduld verloren haben. Nicht ein einziges Mal lässt er sich zu einer eindeutigen Aussage hinreißen, flüchtet sich stattdessen in Floskeln, schwärmt vom »Frieden der Mutigen mit meinem Partner Yitzhak Rabin« oder erzählt Geschichten und Anekdoten aus seinem zugegebenermaßen bewegten Leben.

Alle Zwischenabkommen und Friedenskonferenzen rekapituliert er, nur Camp David vom Sommer 2000 scheint nie stattgefunden zu haben. Hat er damals vielleicht einen Fehler gemacht, der ihn persönlich und die palästinensische Bevölkerung jetzt teuer zu stehen kommt? »Nein, nein«, winkt Arafat ab. Man habe ja weiter geredet und sich in Taba im Januar 2001 prinzipiell geeinigt. Aber dann sei dieser Sharon gewählt worden, fügt er hinzu, und seine Miene verfinstert sich.

Dass jener Sharon infolge der Intifada an die Macht kam, erwähnt Arafat nicht. Und doch liegt da wahrscheinlich sein größter Fehler. Ein letztes Mal entschied sich der Präsident für den Weg der Gewalt, um Zugeständnisse zu erpressen statt sie auszuhandeln. Immerhin war es den Palästinensern mit der ersten Intifada seit 1987 gelungen, die Weltöffentlichkeit auf ihren Kampf aufmerksam zu machen und die PLO vom Ruf einer Terrororganisation zu befreien. Der gewaltsame Widerstand eröffnete damals den Weg nach Oslo.

Damals kämpften jedoch überwiegend Steine werfende Demonstranten gegen israelische Soldaten und nicht Selbstmordattentäter gegen Zivilisten. Das ist einer der Gründe dafür, dass Arafats Taktik gescheitert ist. Seine Autonomiebehörde liegt in Trümmern, die Bevölkerung ist verarmt und hat von Arafats autokratisch-korruptem Führungsstil genug, und die Israelis sind davon überzeugt, dass es auf der palästinensischen Seite keinen ernst zu nehmenden Verhandlungspartner gebe.

Arafat tut alles, damit sich das nicht ändert. Anstatt seinen Ministerpräsidenten Qurei zu unterstützen, ist er ausschließlich damit beschäftigt, sich an seine Macht zu klammern – wohl bis ins Grab. Zwar hat er, als es für ihn wirklich eng zu werden schien, die lange geforderten Reformen der Sicherheitsdienste angekündigt, doch wirklich verändert hat sich bisher nichts.

Ministerpräsident Sharon will sich deshalb jetzt einseitig aus dem Gazastreifen zurückziehen. Schon tobt in Gaza ein Machtkampf um die Vorherrschaft nach dem israelischen Abzug. Können die palästinensischen Sicherheitskräfte die Konfrontation mit der radikalen Hamas überhaupt noch gewinnen? »Definitiv«, sagt Arafat, hält eine Konfrontation aber für unnötig. In Krisensituationen würden alle Palästinenser an seinem Strang ziehen. Ohnehin traue er Sharons Plänen nicht: »Das ist alles Theater, um die Welt irrezuführen. Sharon hat im Libanon dreizehn Mal versucht, mich zu töten, und er wird es wieder versuchen. Er ist ein Kriegsverbrecher, das weiß die ganze Welt.«

Arafat redet sich in Rage. »Seit Sharon setzen die Israelis Giftgas an Stelle von Tränengas ein, das für Impotenz unter unseren Kindern sorgt.« Das ist ebensolcher Unsinn wie Arafats Behauptung in einem Interview mit der Washington Times, der Einsatz nuklear verseuchter Munition habe zu einem rasanten Anstieg der Krebsfälle in den besetzten Gebieten geführt. In den Krankenhäusern von Ramallah und Bethlehem wusste man das genauso wenig zu bestätigen wie im palästinensischen Gesundheitsministerium.

Fährt Arafat also, wie ein israelischer Kommentator vorsichtig vermutete, mittlerweile »völlig neben der Spur«? Vielleicht ist das Kokettieren mit einer beginnenden Senilität aber auch Teil seiner Taktik. Denn es gibt Situationen, da reagiert Arafat schnell und entschieden, und sogar die Frage hat er auf einmal verstanden: »Präsident Arafat, Mohammed Dahlan hat jüngst behauptet, fünf Milliarden Dollar Hilfszahlungen an Ihre Behörde seien unauffindbar verschwunden. 90 Prozent aller Palästinenser glauben, Ihre Autonomiebehörde sei korrupt.«

Arafat lehnt sich gewollt entspannt zurück. »Wollen Sie mein Schlafzimmer sehen? Wollen Sie meine Matratze sehen, meine Matratze auf dem Fußboden und die Einschusslöcher darüber in der Wand?« »Ihr persönliches Vermögen soll sich laut dem Managermagazin Forbes auf über 300 Millionen Dollar belaufen.« Arafat wird rot, seine Lippe zittert stärker als sonst. »Sie sind ja auch so ein Mossad-Agent. Sie sind ja ein Spion und machen Propaganda, während überall palästinensische Kinder ermordet werden. Gehen Sie, gehen Sie sofort weg.« Das Interview ist beendet.