Das Gegenleben

Sie übersetzte Trotzki ins Deutsche und arbeitete für die Zeitschrift Die Aktion. Eine Studie über Alexandra Ramm-Pfemfert. von birgit schmidt

Zu Beginn des letzten Jahrhunderts bewegte sie sich im Zentrum des Berliner Anarchismus; über den Zeitraum von zehn Jahren finanzierte sie durch ihre Kunst- und Buchhandlung die Zeitschrift ihres Mannes, Franz Pfemfert, Die Aktion (1911 bis 1932), an der, wer über die künstlerisch-literarische Epoche des Expressionismus oder über linksradikale Politik jener Zeit arbeitet, nicht vorbeikommt. Sie war literarische Übersetzerin aus dem Russischen und übertrug die Werke Trotzkis ins Deutsche. Sie und ihr Mann gehörten zu den wenigen Vertrauten, über die der Verfemte noch verfügte.

Nachdem Lisbeth Exner und Herbert Kapfer im Jahr 2000 große Teile des Briefwechsels des Ehepaars Pfemfert herausgegeben hatten, war es nur noch eine Frage der Zeit, bis sich jemand explizit Alexandra Ramm-Pfemferts und ihres Briefwechsels mit Trotzki annehmen würde, der in den Archiven der Harvard University in den USA vor sich hinstaubte. Mit Unterstützung des Hamburger Instituts für Sozialforschung hat sich nun die Kulturwissenschaftlerin Julijana Ranc des Projekts angenommen und bei Edition Nautilus ihr Buch »Alexandra Ramm-Pfemfert. Ein Gegenleben« veröffentlicht.

Nicht alles in dem mehr als 500 Seiten starken Werk ist neu; einige Briefe sind bereits in dem von Exner und Kapfer herausgegebenen Band »Erinnerungen und Abrechnungen« veröffentlicht worden. Und letztlich ist Julijana Rancs Darstellung auch eher ein Buch über ein Paar geworden; ein Paar, das auf Gedeih und Verderb aufeinander angewiesen war. Allzu sehr waren beider Leben und Arbeit miteinander verwoben. Die radikale Linke, die vor dem russischen Staatssicherheitsdienst GPU gleichermaßen auf der Flucht war wie vor der Gestapo, hat mehrere solcher Paare hervorgebracht, die gemeinsam gegen den Rest der Welt standen. Von dem Gefühl, nur gemeinsam gegen die Zumutungen des Lebens bestehen zu können, zeugt zum Beispiel der Entschluss Alice Rühle-Gerstels, die sich im Juni 1943 noch an dem Tag das Leben nahm, an dem ihr Mann Otto Rühle, ebenfalls ein Mitarbeiter der Aktion, an einem Herzinfarkt gestorben war.

Julijana Ranc erhellt – und das ist neu – die Kindheit und Jugend Alexandra Ramms im pogromverseuchten Russland, aber bald schon ist ihre Geschichte die Geschichte des Ehepaars, das 1933 über die tschechische Grenze geht, während die SA mit Peitschen die Wohn- und Redaktionsräume der Aktion und deren Mitarbeiter in der Nassauischen Straße 17 heimsucht.

Julijana Ranc legt bisher unveröffentlichtes Material über die Umstände vor, unter denen die Pfemferts vom Henlein-Faschismus auch aus der Tschechoslowakei vertrieben wurden, und sie wendet sich explizit gegen die von Lisbeth Exner und Herbert Kapfer vertretene These, dass die beiden zu übertriebenen Reaktionen neigten. Dieser Paranoia-These hält Julijana Ranc die realen Vorkommnisse entgegen und verweist auf die von der GPU und deren Anhängerschaft begangenen politischen Morde, die es dem Ehepaar angeraten erscheinen ließen, sich auf allen ihren Exilstationen (Tschechoslowakei, Paris, Lissabon, New York, Mexiko) vorsichtig zurückzuhalten, wenn sie denn überleben wollten.

Tatsächlich wurde Franz Pfemfert von den Nationalsozialisten solchermaßen gehasst, dass sie die Möglichkeit erwogen, ihn über die tschechische Grenze zurück ins »Reich« entführen zu lassen. Außerdem wurde das Ehepaar Zeuge zahlreicher Todesfälle, die nur diejenigen beschwichtigend als mysteriös bezeichnen würden, die zum Stalinismus tendieren. Zwei Kinder Trotzkis hatte das Ehepaar zu Grabe tragen müssen, von denen eines, Sinaida, Selbstmord begangen hatte. Der Freund aus Lissaboner Exiltagen, das ehemalige Mitglied des ZK der KPD, Arkadij Maslow, der in Kuba auf sein Visum für die USA wartete, kam niemals dort an, sondern wurde in einem Stadtteil von Havanna sterbend auf der Straße gefunden. Julían Gorkin, das leitende Poum-Mitglied aus Spanien, wies die typischen Spuren stalinistischer Angriffe in Mexiko auf. Und vor allem: Als die Pfemferts nach Mexiko kamen, war Leo Trotzki selbst bereits dem berüchtigten Attentat mit dem Eispickel zum Opfer gefallen.

Wo die Realität aufhört und die Paranoia beginnt, ist im Nachhinein schwer zu sagen. Schließlich sollte es nicht gegen einen Verfemten gewendet werden, wenn er durch die Verfolgung auch Schaden an der Seele nimmt.

Auf der anderen Seite jedoch zieht Julijana Ranc, die Pfemfert gegen die Psychologie in Schutz nehmen möchte, ihrerseits durchgehend Psychologisches heran und spricht immer wieder von Intransigenz und ethischem Rigorismus, die Alexandra und Franz Pfemfert eigen gewesen seien. Das aber zeugte eher von deren Charakter als von deren Analysefähigkeit, geschweige denn von deren Fähigkeiten zur Politik; und somit psychologisiert auch Julijana Ranc, während sie sich doch gleichzeitig gegen psychologisierende Ansätze wehrt. Das wird man diskutieren müssen, und von Vorteil ist, dass man das dank ihrer Arbeit (und der von Lisbeth Kapfer, Herbert Exner und anderen) mittlerweile auch kann.

Doch eine Frage bleibt noch immer offen: Alexandra Ramm-Pfemfert und Franz Pfemfert waren streng genommen keine Trotzkisten. Es entsprach ihnen, meint Julijana Ranc, sich mit den Oppositionellen und Verfemten zu identifizieren und zu solidarisieren. Nun gut, kann man einwenden, aber: Warum dann ausgerechnet mit Trotzki, der immerhin der Liquidator von Kronstadt war? Ein Verbrechen, für das er (mit-)verantwortlich zeichnete und von dem die Welt dank eines anderes Paares, Emma Goldman und Alexander Berkman, erfahren hat. Es gibt also noch einiges zu erforschen in der Geschichte der Linksradikalen.

Julijana Ranc: Alexandra Ramm-Pfemfert. Ein Gegenleben. Edition Nautilus, Hamburg 2004, 576 S., 44 Euro