Arbeit in der Kriegszone

Der Irak ist wieder ein Ziel von Arbeitsmigration. Der Job dort ist gefährlich, immer öfter werden Arbeiter der Kollaboration beschuldigt, entführt und ermordet. von martin kröger

Es vergeht kein Tag, an dem nicht die spektakulären Entführungen und Ermordungen von zivilen Arbeitskräften im Irak Schlagzeilen machen. Anfang vergangener Woche tauchten Videos über die bestialische Enthauptung der vor zwei Wochen entführten amerikanischen Geiseln Jack Hensley und Eugene Amstrong auf, die von der islamistischen Gruppe El Tawhid wa el Jihad des jordanischen Terroristen Abu Mussab el Sarkawi ausgeführt worden sein soll.

Neben westlichen Arbeitern sind im Irak seit Wochen insbesondere zivile Arbeitskräfte aus dem südasiatischen Raum von den Entführungen betroffen. Ende August wurden zwölf Nepalesen ermordet, die ebenfalls von einer islamistischen Gruppe entführt worden waren. Die Ermordung löste in der nepalesischen Hauptstadt Kathmandu Pogrome gegen die muslimische Minderheit aus. Nachdem die Arbeitsagenturen, die Jobs im Irak vermitteln, von wütenden Jugendlichen verwüstet worden waren, stellte die Regierung deren Vermittlungstätigkeiten ein. »Arbeitsagenturen, die Arbeiter nach Kuwait, Jordanien, Saudi-Arabien und Katar vermitteln, müssen ab jetzt Garantiebriefe vorlegen, die von Agenten des anfragenden Landes unterzeichnet sind und belegen, dass die rekrutierten Arbeiter nicht – willentlich oder mit Gewalt – in den Irak vermittelt werden«, ließ das nepalesische Arbeitsministerium gegenüber der Kathmandu Post verlauten. Zuvor war bekannt geworden, dass die zwölf Nepalesen mit gefälschten Dokumenten nach Jordanien gelockt worden waren, um sie dann in den Irak weiterzuschmuggeln.

Ob die Maßnahmen der nepalesischen Regierung greifen, bleibt allerdings zu bezweifeln, da bereits im Juli über 20 000 Arbeiter aus Nepal, die auf eigene Faust in den Irak gelangen wollten, in Indien gestrandet.

»Es ist ökonomische Verzweiflung, die diese Migranten außer Landes zwingt«, sagte Virginia Sherry, Direktorin von Human Rights Watch für den Mittleren Osten und Nordafrika dem San Fransisco Chronicle. Zudem locken Löhne von 200 bis 500 US-Dollar monatlich. Die Autorin, die jüngst eine Studie über die Situation von Arbeitsmigranten in Saudi-Arabien vorgelegt hat, in der sie die »systematischen Auswüchse« anprangert, vermutet, dass über zehn Millionen Menschen aus Südasien und den Philippinen den größten Teil der Niedriglohnjobs in der Golfregion verrichten, oft unter Bedingungen hoher Ausbeutung. »Lkw-Fahrer, Köche, Mechaniker und Reinigungskräfte – sie haben keine Aussicht, in ihrem indischen Dorf oder in einem Slum von Manila angestellt zu werden. Sie wissen, dass am Golf zu arbeiten, unglaubliche Ausbeutung und Gefahren bedeuten kann, aber trotzdem kommen sie weiterhin«, meint Sherry.

Dass nun auch der Irak wieder Ziel von Arbeitsmigranten ist, hängt mit dem Vergabeverfahren der Wiederaufbauaufträge der US-Administration zusammen – das Phänomen an sich ist für das Land überhaupt nichts Neues, da bereits in den siebziger und achtziger Jahren Hunderttausende Arbeiter vornehmlich aus Ägypten im Irak beschäftigt waren, um Bewässerungskanäle zu errichten, bevor sie im Zuge des ersten Golfkrieges ausgewiesen wurden.

In einem typischen US-Regierungsauftrag sind nämlich keine Einschränkungen der Anzahl von Subunternehmern festgelegt, sodass zwar Großunternehmen wie Halliburton, Bechtel oder Kellogg, Brown & Root die Aufträge zugeschlagen bekommen, dann jedoch diverse Subunternehmer mit der Ausführung betrauen. »So weiß die US-Regierung oft selbst nicht, wie die Arbeiten vor Ort konkret erledigt werden und von wem«, hieß es vor kurzem in einer Reportage der Washington Post über die Billiglohnarbeiter im Irak.

»Wir wurden wie Tiere behandelt«, beschreibt Dharmapalan Ajayakumar, ein bereits aus dem Irak zurückgekehrter indischer Arbeiter, die Situation vor Ort in derselben Reportage. Während die westlichen Manager in mit Klimaanlagen versehenen Containern untergebracht gewesen seien, hätten die indischen Angestellten dichtgedrängt bei hoher Hitze in Zelten schlafen müssen, bei ungenügender Nahrungsmittel- und Trinkwasserversorgung, denn sauberes Wasser blieb nur Soldaten und westlichen Arbeitskräften vorbehalten, wie Dharmapalan Ajayakumar berichtet.

Wie viele Menschen unter solchen Bedingungen im Irak schuften, kann nur vermutet werden; mehrere Zehntausend dürften es allerdings sein. Tendenz steigend, denn die verschärfte Sicherheitslage und die Profitgier veranlasst viele Subunternehmer, auf Niedriglohnkräfte umzusteigen: Für einen amerikanischen Lkw-Fahrer werden nach Angaben des San Fransisco Chronicle neben monatlich 10 000 US-Dollar Lohn horrende Kosten für private Sicherheitsdienste zum Schutz der Konvois fällig. Bei Fahrern aus Indien oder Pakistan sind dagegen nur 500 US-Dollar Lohn vorgesehen, gleichzeitig wird der bewaffnete Schutz minimiert oder gleich ganz weggelassen.

Die schlechten und unsicheren Arbeitsbedingungen sorgen jedoch nicht nur für Unmut bei den eingesetzten Arbeitskräften, sondern auch in der irakischen Bevölkerung, die fast gänzlich von den entstandenen Jobs ausgeschlossen wird. Hintergrund ist die große Angst der Unternehmer, dass irakische Aufständische die Arbeitsplätze zur Infiltration nutzen könnten.

»Zwischen 25 und 60 Prozent« schätzte eine Anfang September veröffentlichte Studie des Zentrums für Strategische und Internationale Studien (CIS) die gegenwärtige Arbeitslosenrate im Irak. Besserung ist wegen des stockenden Wiederaufbaus und der Vergabe der Arbeit an ausländische Arbeitskräfte nicht in Sicht.

Die Verquickung von Arbeitslosigkeit und Import von Niedriglohnarbeitern eröffnet einen Teufelskreis für alle Beteiligten: Iraker wie auch migrantische Arbeitskräfte werden bei Anstellung Ziel des so genannten Widerstands, der die Arbeitskräfte der Unterstützung der US-Amerikaner und ihrer Verbündeten bezichtigten. Gleichzeitig, so die Studie des CIS, sorgt die hohe Arbeitslosigkeit für einen stetigen Zulauf zu Gruppen, die gegen die irakische Interimsregierung und die US- und Koalitionstruppen kämpfen.

»Der Mord an zwölf Nepalesen und drei türkischen migrantischen Arbeitern hat die Zahl der insgesamt seit März 2003 getöteten Ausländer auf 25 erhöht«, schrieb die weltweit größte Gewerkschaftsorganisation Internationaler Bund freier Gewerkschaften in einem offenen Brief Anfang September an den derzeitigen irakischen Übergangspräsidenten Ijad Allawi und klagte den »eindeutig fehlenden Schutz der Arbeiter und speziell der migrantischen Arbeitskräfte im Irak an«. Mit den in der vergangenen Woche ermordeten US-Amerikanern steigt diese Zahl nun auf 27. Gleichzeitig weigert sich die irakische Übergangsregierung ebenso wie die zuvor regierende US-Zivilverwaltung, die internationalen Arbeitsschutzkonventionen zu unterzeichnen, zu der auch die Verpflichtung zum Schutz der eingesetzten Arbeiter gehört.