Billig ins Ungewisse

Die schwedische Angestelltengewerkschaft HTF geht gegen die schlechten Arbeitsbedingungen bei der Billigfluggesellschaft Ryanair vor. von bernd parusel, stockholm

Taschen müssen in der linken Hand getragen werden. In Uniform darfst du weder rauchen noch Kaugummi kauen. Rennen ist nicht erlaubt, auch wenn du es eilig hast – das macht einen unprofessionellen Eindruck. Und vor allem: Hände aus den Hosentaschen!

So lauten einige der Vorschriften, mit denen die irische Fluglinie Ryanair bei ihrem Bordpersonal für Ordnung und Disziplin sorgt. In Schweden bieten sie jedoch auch Stoff für Konflikte. »Diese Regeln verstoßen gegen meine Werte und dagegen, wie man es an seinem Arbeitsplatz haben sollte«, erklärte ein ehemaliger Angestellter gegenüber der Gewerkschaftszeitung Arbetaren. Wegen als Gängelung empfundener Vorschriften und stressiger Arbeitsbedingungen haben in den letzten Monaten 16 von 20 FlugbegleiterInnen, die Ryanair im vergangenen Jahr in Schweden rekrutierte, dem Billigflieger bereits wieder den Rücken gekehrt.

Wirtschaftlich ist die Geschichte von Ryanair dennoch eine Erfolgsstory. Die von Michael O’Leary geführte Gesellschaft ist mit über 160 Destinationen in 17 Ländern die mit Abstand größte Billiglinie Europas. Auch im hohen Norden ist Ryanair aktiv, expandiert kräftig und wirbt der etablierten skandinavischen SAS immer mehr Flugpassagiere ab. Von Skavsta aus, einem ehemaligen Militärflugplatz rund 100 Kilometer südlich von Stockholm, werden derzeit acht Ziele angeflogen, darunter die deutschen Flughäfen Frankfurt-Hahn und Lübeck. Im nächsten Februar sollen mit Barcelona, Riga und Düsseldorf-Niederrhein weitere drei dazu kommen. Viele Schweden nutzen die billigen Tickets für Urlaubsreisen oder Kurztrips – etwa zum Alkoholshopping in Lübeck. Für die Bewohner der bei Skavsta gelegenen Kleinstadt Nyköping ist ein Flug nach Deutschland oft billiger als eine Bahnfahrt in die eigene Hauptstadt.

Schwedischen Gewerkschaften ist die Billigfliegerei jedoch ein Dorn im Auge. Sie werfen Ryanair vor, seine Niedrigpreise nicht nur über juristisch zweifelhafte Werbe- und Subventionsverträge zu finanzieren, sondern auch durch rücksichtslose Ausbeutung des Personals. In den letzten Wochen lieferte sich die Angestelltengewerkschaft HTF deshalb einen heftigen Streit mit der Unternehmensführung. HTF-Sekretär Ulf Solhall sprach von »sozialem Dumping« und einer »völlig inakzeptablen Personalpolitik«. FlugbegleiterInnen bekämen bei Ryanair einen Grundlohn von lediglich rund 650 Euro im Monat. Alles weitere müssten sie sich über flexible Zulagen verdienen, die sich danach richten, wie viele Strecken sie fliegen und wie viele Imbisse und Getränke sie an Passagiere verkaufen. Dies erzeuge enormen Stress. Außerdem umfasse eine Arbeitswoche bei Ryanair sechs Tage, ein Arbeitstag sei zwölf bis 14 Stunden lang, und Pausen seien nicht vorgesehen, so Solhall. Erscheinen Beschäftigte wegen Krankheit nicht zur Arbeit, drohten Strafen oder sogar Kündigung, statt dass Krankengeld ausgezahlt werde, berichtet ein ehemaliger Steward.

Mit schwedischem Arbeitsrecht ist das alles nicht vereinbar – mit irischen Regeln das meiste aber durchaus. Und da in der EU freier Wettbewerb herrscht und Michael O’Leary seine Mitarbeiter nicht in Stockholm, sondern am Sitz der Gesellschaft in Irland anstellt, brauchen ihn die Vorstellungen, die HTF von Arbeitszeiten und Kündigungsschutz hat, nicht zu interessieren. Rundheraus ließ er seinen Personalchef Eddie Wilson Mitte August gegenüber der Zeitung Svenska Dagbladet erklären: »Wir ziehen es vor, mit den Gewerkschaften nichts zu tun zu haben.«

Wenige Tage später ging das Kräftemessen in die nächste Runde. HTF-Genossen teilten in Skavsta beschriftete Kotztüten aus, mit denen Reisende über die Arbeitsbedingungen bei Ryanair aufgeklärt wurden. Tageszeitungen schrieben, die schlechte Behandlung des Personals führe zu Sicherheitsmängeln an Bord. Anfang September reiste Unternehmensboss O’Leary nach Stockholm, um auf einer Pressekonferenz die Anschuldigungen zurückzuweisen. Bei Ryanair verdiene man besser als bei der Konkurrenz, und die Sicherheit der Passagiere stehe stets im Vordergrund. Für Änderungen der Unternehmensstrategie gebe es daher keinen Anlass.

Neue Passagierstatistiken geben seiner Strategie Recht. Seit der gewerkschaftlichen Kotztütenaktion und O’Learys Auftritt in Stockholm ist die Nachfrage nach Billigflügen weiter gestiegen, und die Maschinen mit der irischen Harfe auf dem Heck sind noch besser ausgelastet als zuvor. Viele Schweden wurden offenbar erst durch den Streit auf Ryanair aufmerksam. Kritischen Gewerkschaften, Medien und Politikern demonstrierte der Billigflieger, dass die schwedischen Regeln darüber, wie lange ein Arbeitstag sein sollte und welchen Druck Angestellte aushalten müssen, im Rest Europas nicht viel zählen. Schwedische Mitarbeiter, die sich in den letzten Monaten von Ryanair verabschiedeten, wurden einfach durch arbeitssuchende junge Leute aus Polen oder Lettland ersetzt. Ob die schwedischen Reisenden das gut finden oder nicht – letztlich entscheidet offenbar allein ihr Geldbeutel zugunsten von Ryanair.

Der Konflikt um die Fluglinie ist dabei kein Einzelfall. Auch in anderen Wirtschaftssektoren drängen ausländische Konkurrenten nach Schweden und greifen sicher geglaubte soziale Standards an. Wie dem Billigflieger wird auch dem deutschen Lebensmitteldiscounter Lidl, der gegenwärtig überall in Skandinavien kräftig expandiert, Überausbeutung und Gewerkschaftsfeindlichkeit vorgeworfen. Das Geschäft floriert trotzdem. Im Bau- und Handwerkssektor treten Zeitarbeitsfirmen auf den Plan, die Arbeiter aus den neuen EU-Ländern anwerben und sie zu Billigtarifen an schwedische Kunden vermitteln. Auch die Politik von Großkonzernen wie General Motors ist immer wieder ein heißes Thema. GM droht zurzeit damit, die Produktion des Autoherstellers Saab nach Deutschland zu verlagern, wenn die Belegschaft im westschwedischen Trollhättan nicht bereit ist, längere Arbeitszeiten hinzunehmen. (s. Jungle World, 39/04)

Gewerkschafter und Linke schimpfen angesichts dieser Entwicklungen auf die neoliberale EU, verlangen nach schwedischer Eigenständigkeit und fordern von der sozialdemokratischen Regierung Göran Perssons, gegen Lohndumping und Ausbeutung vorzugehen. Die Lage in Deutschland, mit wachsender Unsicherheit und Armut, immer mehr Einschnitten ins soziale Netz, Demonstrationen und Wahlerfolgen rechtsextremer Parteien, symbolisiert genau das, was man in Schweden auf keinen Fall haben will. Persson und seine Kooperationspartner Linkspartei und Grüne bemühen sich deshalb, wachsender Unsicherheit im eigenen Land entgegenzusteuern und Mut zu machen. Für das nächste Jahr kündigte die Regierung sogar soziale Verbesserungen und Steuersenkungen an. Weil aber auch in Schweden die Zeiten härter werden und immer mehr Langzeitarbeitslose auf Sozialleistungen oder Minijobs angewiesen sind, sind Billiganbieter wie Lidl oder Ryanair bei weitem nicht nur unbeliebt. Ohne Ryanair hätten viele Schweden kaum Aussichten auf einen Kurzurlaub im Süden.