Der Underdog hat Stress

Im neuen Stadion möchte Borussia Mönchengladbach an alte Erfolge anknüpfen. Jedenfalls ein bisschen. Derzeit ist das Ziel ein Platz im Mittelfeld der Bundesliga. von peter wagner

Weit über 50 000 Zuschauer versammelten sich jeweils zu den ersten beiden Saisonspielen im neuen Stadion. Selbst gegen Hansa Rostock, einen Gegner, der nicht unbedingt Zuschauermassen anzieht, kamen 42 600. Dabei ist das Stadion im Borussen-Park strenggenommen nur ein besserer Bolzplatz. Nicht einmal 90 Millionen Euro wurden in Mönchengladbach verbuddelt und verbaut – verglichen mit der 250 Millionen teuren Protzarena, die sich die Nachbarstadt Düsseldorf für den Drittligisten Fortuna geleistet hat, eine Billiglösung. Die aber hat den Vorteil, dass die Ausgaben sich in Grenzen halten, so dass die Arena nur aus dem Fußballgeschäft refinanziert werden kann.

60 000 Zuschauer kann das von weitem spinnenartig aussehende Werk aus grauen Stahlträgern und schlichtem Beton fassen. Und es passt zur Underdog-Mentalität, die den Verein trotz und auch während der großen Zeiten immer auszeichnete. Gladbachs Fans sehen es gern, wenn sozusagen ehrliche Arbeit abgeliefert wird. Das hat auch Präsident Rolf Königs begriffen, der als erfolgreicher Geschäftsmann weiß, wie wichtig Imagebildung bzw. Imagewahrung ist.

Keine Frage: In Mönchengladbach, im Verein und bei den Fans herrscht Aufbruchstimmung, man will wieder wer sein im Fußballgeschäft. Die Zeiten, da Borussia Mönchengladbach bestenfalls gut war für eine Überraschung im DFB-Pokal, sollen vorbei sein. Nach den Jahren des Sparens für das neue Stadion wurden zu Beginn dieser Saison erstmals wieder namhafte Spieler verpflichtet, das Mindestziel lautet, nicht in die Abstiegszone zu geraten. »Vor vier Jahren war Gladbach Zweitligist, mit 30 Millionen Mark verschuldet, spielte in einem veralteten Stadion. Jetzt gehören wir zum Mittelfeld der Bundesliga, haben eine neue Arena und in der vorigen Saison die beste Platzierung seit dem Aufstieg erreicht. Es wird weiter nach vorne gehen, aber dafür brauchen wir Geduld«, sagte Trainer Holger Fach und drückte damit wohl auch die Meinung der Vereinsführung aus.

Doch Geduld ist eine Eigenschaft, die Fans nicht wirklich aufweisen. Das nächste Spiel ist nun mal immer das wichtigste. Und über das letzte kann und will man sich natürlich immer besonders aufregen, vor allem, wenn es schief ging, so wie beim Spiel gegen Rostock: Borussia führte zur Pause nicht nur 2:0, die Mannschaft hatte den Gegner auch spielerisch und kämpferisch unter Kontrolle, führte ihn gar bisweilen vor. Doch in der zweiten Halbzeit änderte sich plötzlich das Bild. Es begann mit der verletzungsbedingten Auswechslung des neuen Kapitäns Christian Ziege kurz nach der Halbzeit. Von da an lief vor allem in Borussias Defensivabteilung so ziemlich alles schief. Nur sechs Minuten brauchten die Rostocker, um das Spiel zu wenden und glichen die 2:0-Führung der Borussen aus.

Das brachte insbesondere die Boulevardpesse in Erklärungsnot, hatte die sich doch in der Woche zuvor Ziege als Schuldigen für die Niederlage gegen Schalke ausgeguckt. Ziege hatte es gegen Schalke 04 auf seiner linken Seite mit dem an diesem Tag glänzend aufgelegten Gustavo Varela zu tun, der nie zu bremsen war. Und obwohl Ziege sicher nicht seinen besten Tag erwischt hatte, lieferte er insgesamt eine vor allem kämpferisch ordentliche Leistung und konterte die Vorwürfe des Boulevards auf seiner Homepage mit den Worten: »Einer muss wohl der Depp sein.«

Seine Auswechslung im Spiel gegen Rostock bewahrte ihn vor weiterer Kritik. So war es dann der Trainer, der sich den Vorwürfen stellen musste. Diese gipfelten darin, dass von einer »Meuterei« gegen Fach berichtet wurde. »Von außen wird zu viel in die Mannschaft hineingetragen, der Vorfall vom gestrigen Training zum Beispiel ist schlichtweg erfunden«, sagte Verteidiger Jeff Strasser, angeblich einer der Meuterer, auf der Pressekonferenz vor dem Spiel gegen Wolfsburg. Weder von einem Streit mit Vaclav Sverkos noch von einem Aufstand der Spieler hat Borussias Verteidiger etwas mitbekommen: »Es gibt in einem Kader von 24 Leuten immer Spieler, die nicht zufrieden sind. Aber die Mannschaft ist absolut intakt und das Verhältnis zumTrainer auch.«

Nach sechs Spielen hat Borussia sechs Punkte und ist auf Rang zehn. Vor der Saison wäre wohl mancher Fan mit dieser Ausbeute zufrieden gewesen. Immerhin war das Auftaktprogramm alles andere als leicht. Zunächst hatte man am ersten Spieltag die undankbare Aufgabe, den Aufsteiger Arminia auf der Bielefelder Alm zu besuchen, mit Borussia Dortmund empfing man beim ersten Pflichtspiel im neuen Stadion einen zwar finanziell angeschlagenen Verein, der aber immer noch über große fußballerische Qualität in seinem Kader verfügt. Danach ging’s zum SC Freiburg, wo Borussia in der Vergangenheit selten gewinnen konnte, bevor Meister Werder Bremen den Borussen-Park besuchte. Die nächste Auswärtsfahrt führte ausgerechnet in die Arena Auf Schalke, wo man noch nie erfolgreich war. Lediglich aus dem Heimspiel gegen Rostock waren drei Punkte eigentlich Pflicht.

»Wir sind doch in der gleichen Lage wie zehn andere Vereine auch. Wer erwartet, dass wir jetzt gleich Vierter werden, der träumt. Viele Leute denken offenbar, dass die Spieler jetzt 30 Prozent schneller rennen können, nur weil wir in einem neuen Stadion spielen«, sagte Holger Fach in einem Interview. Doch er weiß auch, dass der Erwartungsdruck gestiegen ist. Schließlich vollzog er mit dem Ende der letzten Saison einen Bruch in der Mannschaft. Seit dem Neuaufbau unter dem in Gladbach immer noch hoch angesehenen Hans Meyer waren Arie van Lent und Jörg Stiel die zentralen Führungspersönlichkeiten – beide Verträge wurden nicht verlängert.

Fach versuchte, mit der Ernennung von Neuzugang Christian Ziege zum Kapitän eine neue Hierarchie herzustellen. Und zunächst war auch die Presse einhellig von dessen Leistungen begeistert. Auch die Verpflichtung von Oliver Neuville, der ablösefrei aus Leverkusen kam, erwies sich als Glücksgriff. Der stille, in sich gekehrte Neuville führt mit derzeit fünf Treffern gar die Torschützenliste an. Mit Thomas Broich wurde dazu bereits im letzten Jahr aus Burghausen für wenig Geld ein großer Hoffnungsträger verpflichtet. Ihn umweht am ehesten der Charme Netzers, an den zumindest die älteren Fans immer noch wehmütig zurückdenken. Broich ist ein filigraner Ballkünstler, der nahezu immer den berühmt-berüchtigten tödlichen Pass in die Spitze spielen kann. Sollte der 23jährige sich weiter verbessern und konstante Leistungen erbringen, ist allerdings zu befürchten, dass sich der Verein bald mit einer ähnlichen Situation konfrontiert sehen könnte wie damals, als der junge Sebastian Deisler aus wirtschaftlichen Gründen verkauft werden musste.

Doch das Gladbacher Spiel offenbart auch Schwächen. »Es ärgert mich, dass wir in bestimmten Phasen immer wieder die gleichen Fehler machen. Die Mannschaft hat gezeigt, dass es auch anders geht. Wir müssen Konstanz reinbekommen«, klagt Holger Fach. Einerseits meint er damit sicher die teils törichten Abwehrfehler, die zu Gegentoren führen und schon manchen Punkt gekostet haben, andererseits die mangelnde Cleverness im Abschluss, beispielsweise im Spiel gegen Schalke, alsThomas Broich kurz nach der Halbzeit den entscheidenden Treffer zum 3:1 hätte erzielen müssen, aber die Chance leichtfertig ausließ. Beim Boxen würde man von mangelndem Killerinstinkt reden.