Geschichte als deutsche Meistererzählung

Die Ausstellung »Arena der Erinnerung« im Deutschen Historischen Museum. von nada kumrovec

Mit einem »Sicherheitsabstand« von 50 Jahren tauchten jetzt endlich all die Erinnerungen auf, die bislang unter Verschluss waren, die Wehrmacht, der Bombenkrieg, die Vertriebenen. Trotz dieser Situation sei »Mythen der Nationen. 1945 – Arena der Erinnerungen« keine deutsche, sondern eine internationale Ausstellung, sagte der Direktor des Deutschen Historischen Museums in Berlin bei der Eröffnung am Wochenende.

In vergleichender Perspektive will die Ausstellung Bilder und Vorstellungen über den Zweiten Weltkrieg in all seinen Facetten in Europa, USA und Israel präsentieren. Bereits Anfang des Jahres wurde der Katalog zur Ausstellung herausgegeben, der ein national gegliedertes Lexikon der ikonografischen Entwicklung kollektiver Erzählungen über den Zweiten Weltkrieg bildet. Vor allem Filmbilder, wie es im Katalog heißt, hätten die Erinnerung an den Zweiten Weltkrieg geprägt. In der Ausstellung sind deshalb über 50 Filmausschnitte zu sehen.

Nach der »Selbstzerstörung des Kontinents« 1945 sei das Verhältnis zwischen den Nationen von dem Bedürfnis nach Abrechnung bestimmt gewesen, meint die Kuratorin Monika Flacke. Die darauf folgende »Dialektik von Verdrängung und Mythisierung«, die Entlastungsstrategien in den Widerstandsmythen der Nationen, sei notwendig gewesen, um Frieden mit der eigenen Geschichte zu schließen. Durch diese »Meistererzählungen« sei Schlimmeres verhindert und Europa vor dem Bürgerkrieg bewahrt worden. Um der Versöhnung willen ist dann auch neben Stanley Kramers »Judgement at Nuremberg« Billy Wilders »A Foreign Affair« zu sehen. In Wilders Film entscheiden amerikanische Kongressabgeordnete beim Anblick des zerbombten Berlins, Deutschland nicht in ein Rübenfeld, sondern in blühende Landschaften zu verwandeln.

Der Mythos der sauberen Wehrmacht wird mit Gerhard Richters »Onkel Rudi« von 1965 thematisiert, während die Fotografie von den Erschießungen in Pancevo nur als Titelblatt des Spiegel ausgestellt ist. Anders als die Wehrmachtsausstellung wolle man die präzise Bestimmung historischer Medien vornehmen und im Umgang mit Bildern eine kritische Reflexion über deren Suggestivkraft erreichen. Die Ausstellung bemüht sich also nicht um historische Wahrheit, sondern will explizit eine »neutrale Veranschaulichung« von Erinnerungskonstruktionen leisten. Dass die Sache mit der Neutralität auch eine mythische Meistererzählung ist, hätten die Kuratoren eigentlich aus ihrer eigenen Ausstellung lernen können. Im Bereich »Kritische Aneignung« stellen sie den Schweizer Film »Das Boot ist voll« aus, der an die Abschiebung jüdischer Flüchtlinge aus der angeblich so neutralen Schweiz erinnert.

Es gelingt der Ausstellung nicht einmal annähernd, die »Vielfalt der Erinnerungen« auch nur sinnvoll zu strukturieren, und Verwirrung über das »Wer« und »Was« der Erinnerung stellt sich spätestens ein, wenn man zwischen dem Flugblatt litauischer Partisanen und einer sowjetischen Aluminiumfigur mit dem Titel »Der Verwundete« den Gitarristen Jimi Hendrix findet. Irgendwie ist halt alles Mythos: der norwegische Widerstand, Stalin und Roosevelt in Jalta und die USA in der Normandie. Die Suggestivkraft der Bilder wird an manchen Stellen so stark bewertet, dass erst das Mediale die historische Realität herzustellen scheint. So liegt in einer Vitrine das Foto der Rampe von Auschwitz. »Dieses Fotos wegen erfuhr der Ort seine besondere Kodierung«, sagt der Objekttext.

Die Behauptung, die Ausstellung nehmen keine deutsche Perspektive ein, ist schlicht falsch. Das zentrale Anliegen der vergleichenden Perspektive wird immer wieder deutlich. So läuft im Bereich »Widerstand – Okkupierte« ein Ausschnitt aus Alain Resnais’ Film »Nacht und Nebel«, in dem die französische Kollaboration im abstrakten Dokumentarstil thematisiert wird. Im Text darunter erfährt man, dass mit diesen Sequenzen der Annahme widersprochen werden soll, »solche« Verbrechen könnten einer bestimmten Zeit oder einem bestimmten Land angehören. Auschwitz nämlich ist eine »allgemeine europäische Erfahrung, die die Nationen verbindet«, so ein Raumtext in der Abteilung »Völkermorddiskurs«.

Mit der stärkeren Thematisierung der Shoah seien die Widerstandsmythen der Nationen gebrochen worden, lautet eine weitere These der Ausstellung. Ob Résistance, Resistenza oder Wehrmacht, alle hätten ihre Kollaborateure, alle hätten ihre Klaus Barbies gehabt. Dass sich diese Erkenntnis für die osteuropäischen Staaten noch nicht durchgesetzt habe, liege am Bolschewismus. Der Bruch mit der sowjetischen »Befreiungsideologie« habe für die »unterdrückten Nationen« einen höheren Stellenwert als die Thematisierung der Vernichtung der Juden, und entsprechend wurde ein eigener Bereich in der Ausstellung geschaffen, der »Kampf um die Geschichte«.

Die erinnernde Selbstfindung zum Beispiel in den baltischen Staaten findet in »Okkupationsmuseen« statt, die die Jahreszahlen 1941 bis 1991 im Namen tragen. Die deutschen Ausstellungsmacher zeigen Verständnis für diesen platten Totalitarismus, schließlich will man ja auch laut Vorwort einen Beitrag zur Diskussion um das Zentrum gegen Vertreibung leisten.

Die Kuratoren konstatieren »Erschütterung« und das »Fühlen« von Schwierigkeiten mit der bildlichen Erinnerung. Ist man etwa darüber erschüttert, dass, wie es in einer Plakatunterschrift heißt, die polnische Regierung mit der Gedenkveranstaltung zum 40. Jahrestag des Aufstandes im Warschauer Ghetto ihre Reputation verbessern wollte? Als gelungenes Beispiel einer »Entkrampfung« wird auf Alan Schechners Computeranimation »It’s the real thing. Selbstportrait in Buchenwald« hingewiesen. Schechners Fotomontage zeigt ihn selbst mit einer Dose Diät-Cola inmitten von ausgemergelten Häftlingen in gestreiften Hemden. Was an der Auseinandersetzung mit der Darstellung der Shoah entkrampfend wirken soll, wo sich einem doch eher alles verkrampft, kann man sich nur zusammenreimen, wenn man an die enthemmende Wirkung von Rudolf Scharpings schwarz gerahmten Bildern vermeintlicher Massaker im Kosovo denkt. Dass nämlich mit der Suggestivkraft der Bilder von Auschwitz die deutsche Teilnahme am Kosovo-Krieg legitimiert wurde, ist der Ausstellung keine Silbe wert.

Die Manie, Geschichte zum Mythos zu machen, wird auch weiterhin dazu beitragen, dass es in Deutschland keine bedeutende Ausstellung über die Ikonisierung der Shoah geben wird, die nicht zugleich versucht, die eigene Rolle in der Realgeschichte zu relativieren.

Mythen der Nationen. 1945 – Arena der Erinnerungen. Deutsches Historisches Museum, Berlin. Bis 27. Februar 2005