Griff nach der Bombe

Die iranischen Machthaber könnten bald Atomwaffen herstellen und lassen sich auch nicht von internationalem Druck einschüchtern. von wahied wahdathagh

Werner Schoeltzke, der Vorsitzende des Nah- und Mittelost-Vereins weiß, wer wie viel Geld zu verlieren hat. Deswegen prophezeit er, dass sowohl Westeuropa als auch der Iran verlieren würden, wenn der Iran sein Urananreicherungsprogramm nicht beende und die europäische Diplomatie keine Lösung für den Atomkonflikt finde. Vergangene Woche reiste der Lobbyist schon mal mit Wirtschaftsstaatssekretär Alfred Tacke und einer deutschen Firmendelegation in den Iran. Man wollte die Bedeutung des iranischen Marktes für das deutsche Kapital unterstreichen und zugleich die Mullahs davon überzeugen, dass die Geschäfte gefährdet sind, falls sie in der Atomfrage nicht nachgeben.

Werner Schoeltzke hat kein Problem mit der Diktatur der Mullahs, die durch wirtschaftliche Beziehungen stabilisiert wird. Nur der Bau einer iranischen Atombombe und entsprechender Trägerraketen, die München und London erreichen könnten, wird zu einem Problem. Dabei steht mehr auf dem Spiel als die Interessen des deutschen und europäischen Kapitals. Es geht um die Stabilisierung der islamistischen Diktatur und ihren Aufstieg zur Atommacht, die eine regionale Aufrüstung provozieren dürfte. Es geht es um die mögliche Unterstützung von terroristischen Gruppen mit schmutzigen Waffen. Und es geht um die Gefahr einer Zerstörung Israels durch einen Gottesstaat. Denn nicht nur der General der Revolutionsgarden, Rahim Safavi, hält »die Zeit für gekommen, Israel auszumerzen«.

In Europa und den USA glaubt niemand, dass der Iran den gesamten nuklearen Brennstoffkreislauf nur deshalb beherrschen will, um seine Energieversorgung zu gewährleisten und verarmte Dörfer zu elektrifizieren. Schließlich kann angereichertes Uran für den Bau von Atombomben verwendet werden. Der staatliche Klerus hofft, seine Herrschaft mit Atomwaffen zu untermauern und so zu verewigen. Immerhin zweifeln immer mehr Iraner an der Legitimität des Gottesstaates; erst am Freitag feierten hunderte Iraner in verschiedenen Städten das altpersische Mehregan-Fest, was durchaus auch als symbolischer Protest gegen die herrschenden islamischen Gesetze gedeutet werden kann. Vor allem in Isfahan kam es dabei zu gewalttätigen Auseinandersetzungen mit der Polizei, bei denen nach Angaben der Nachrichtenagentur Bastab drei Polizisten schwer verletzt und 270 Leute verhaftet wurden. Der großen iranischen Zeitung Hamshahri zufolge sollen allein in den letzten fünf Monaten über 34 000 Menschen, zumeist junge Frauen, wegen »Sittenlosigkeit« verhaftet worden sein.

Wie Ali Akbar Velayati, der im Mykonos-Urteil als einer der Drahtzieher des Attentats auf iranische Oppositionelle identifiziert wurde und gegenwärtig zu den offiziellen Beratern des religiösen Führers Ali Khamenei zählt, kürzlich feststellte, gehört der Iran zu den zehn Atomstaaten der Welt. Er lobte die »Staatskunst«, die dies erst ermöglicht habe.

Um die Europäer zu beruhigen, treten die Reformislamisten für die Einhaltung der internationalen Verträge ein und meinen, dass diese nur durch nationales und islamisches Recht eingeschränkt werden können. Wie in allen anderen Fragen haben allerdings auch in der Atomfrage die Hardliner des Wächterrats das letzte Wort. Und inzwischen droht sogar der reformislamistische Präsident Muhammad Khatami mit einem Ausstieg aus dem Atomwaffensperrvertrag, den der Iran bereits 1970 unterschrieben hatte.

Khatami erklärte kürzlich, der Iran werde das Abkommen kündigen, falls die Urananreicherung im UN-Sicherheitsrat thematisiert werde. Immerhin hat der Gouverneursrat der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA) den Iran dazu aufgefordert, die Urananreicherung zu beenden. Ungeklärt seien die Gründe der Kontaminierung von Maschinen mit angereichertem Uran, der Import und die Herstellung von Zentrifugen sowie der Bau eines Schwerwasserreaktors. Die IAEA sowie Deutschland, Frankreich und Großbritannien haben sich mittlerweile der US-amerikanischen Position angenähert und verlangen von Teheran, bis zur nächsten Ratssitzung am 25. November Bericht zu erstatten und endlich das Zusatzprotokoll zu ratifizieren.

Um Zeit zu gewinnen, haben die iranischen Politiker geschickt taktiert. Hassan Rohani, Mitglied des Nationalen Sicherheitsrates, war einer derjenigen, der die Europäer beruhigte und versicherte, dass der Iran kein Programm zur Urananreicherung verfolge. Doch wenn die Europäer nicht auf den Wunsch nach Technologietransfer und wirtschaftlicher Zusammenarbeit mit dem Iran eingingen oder den Fall dem UN-Sicherheitsrat vorlegten, könne der Iran sich für eine Anreicherung entscheiden. Damit nahmen die iranischen »Staatskünstler« die europäischen Politiker sozusagen als Geisel, ohne dass diese es bemerkt hätten. Sie schufen die Voraussetzung, dass radioaktive Munition bereitgestellt wird, trösteten aber die Europäer, dass die Waffe noch nicht geladen sei.

Vor knapp zwei Wochen gab der Leiter der iranischen Atomenergiebehörde bekannt, dass der Iran mit der Anreicherung von 37 Tonnen »yellow cake« begonnen habe. Das Gas aus dem »gelben Kuchen« ist ein Vorprodukt für die Urananreicherung und könnte für mindestens eine Atombombe reichen. Somit könnten die Drohungen eines Staatsterroristen wie Ali Akbar Velayati, der tönt, dass der Iran »nicht nur eine regionale Macht, sondern eine Weltmacht« werde, Wirklichkeit werden. Damit wäre die Appeasement-Politik des europäischen »konstruktiven Dialogs«, aber auch die US-amerikanische Strategie gescheitert.

Es sind keineswegs nur energiepolitische Gründe, weswegen der Iran auf den nuklearen Kreislauf pocht. Schließlich besitzt das Land immense Öl- und Gasressourcen, außerdem könnte die zukünftige Energieversorgung mit Sonnenenergie gesichert werden. Der Iran setzt auf Autarkie und will »unabhängig« vom Ausland sein. Daher spricht auch Hassan Rohani von einem »logischen Recht« auf den geschlossenen atomaren Kreislauf. Der Iran hält die Forderungen der EU, der USA und der IAEA, die Urananreicherung zu stoppen, für unhaltbar.

Offenbar verfolgt der Iran drei strategische Ziele, ein diplomatisches, ein wirtschaftliches und ein militärisches. Auf der diplomatischen Ebene versucht man, die Widersprüche zwischen Europa und den USA zu seinen eigenen Gunsten auszunutzen. Wirtschaftlich werden die Europäer einerseits dazu eingeladen, im Iran zu investieren, andererseits wird mit einem neuen Ölboykott gedroht. Akbar Aalami, Mitglied des Nationalen Sicherheitsrates des Parlaments, drohte kürzlich, dass Europa vom iranischen Öl abhängig sei und im Falle einer Entscheidung für den Sicherheitsrat wirtschaftlich verlieren würde. Militärisch schwingt man sich zur Regionalmacht auf. Offen drohte General Yadollah Javani jüngst mit Angriffen auf Israel und US-amerikanische Stützpunkte im Mittleren Osten. Am Samstag kündigte Außenminister Kamal Charrasi Vergeltungsmaßnahmen an, falls Israel den Iran angreifen sollte. Verteidigungsminister Ali Shamkhani drohte gar mit einem Präventivschlag mit den Mittel- und Langstreckenwaffen, die erst Mitte September erfolgreich getesteten wurden.

Die deutsche Außenpolitik ist mit der Unterstützung des reformislamistischen Flügels der Diktatur gescheitert, ebenso ein Teil der säkularen Exilopposition, die Exil-Republikaner. Nun sprechen sich diese für eine friedliche Nutzung der Atomenergie durch den Gottesstaat aus und fordern erneut eine Quadratur des Kreises: die Reformierung der »Islamischen Republik Iran«.