Die letzte Warnung

Mit einem viertägigen Generalstreik protestierte der nigerianische Gewerkschaftverband NLC gegen den Anstieg des Benzinpreises. von jörn schulz

Allzu überrascht war Adams Oshiomhole, der Präsident des Gewerkschaftsverbandes Nigeria Labour Congress, nicht, als die Männer des State Security Service ihn am vorvergangenen Sonntag auf dem Flughafen der Hauptstadt Abuja festnahmen, ohne sich auszuweisen oder einen Haftbefehl vorzulegen. »Ich bin an sie gewöhnt, seit ich mit 17 oder 18 Jahren mit der Gewerkschaftsarbeit begonnen habe«, sagte er der Daily Sun.

»Die Nigerianer sollten am Montag ihre Opposition zum Ausdruck bringen. Die Verhaftung bedeutet nichts, solange die Regierung ihre Haltung nicht ändert. Eine Senkung des Preises oder nichts …«, konnte der bereits festgenommene Oshiomhole der Zeitung This Day noch übermitteln, bevor die Geheimdienstler sein Handy beschlagnahmten.

Oshiomhole und die mit ihm festgenommenen Gewerkschafter wurden bald darauf wieder freigelassen, und es bleibt unklar, was sich die Regierung von diesem plumpen Einschüchterungsversuch erhoffte. Wie vorgesehen begann der Generalstreik gegen die Benzinpreiserhöhung am Montag der vergangenen Woche. Vier Tage lang kam das geschäftliche und öffentliche Leben in den meisten Landesteilen weitgehend zum Stillstand.

Die Polizei hatte bereits im Vorfeld ein hartes Durchgreifen angedroht, das Hauptquartier des NLC wurde abgeriegelt. Um blutige Konflikte zu vermeiden, hatte der NLC dazu aufgerufen, zu Hause zu bleiben. Dennoch kam es in mehreren Städten zu Auseinandersetzungen mit der Polizei. Im nordnigerianischen Kaduna wurde der zwölfjährige Muhammadu Sani Idris erschossen, nach Angaben von Augenzeugen hatte die Polizei auf eine Gruppe von Streikenden gefeuert.

Am Freitag wurde die Arbeit wieder aufgenommen. Doch der Generalstreik wurde nicht beendet, sondern nur für zwei Wochen ausgesetzt. Der NLC bezeichnete den viertägigen Ausstand als Warnstreik, die Ölwirtschaft blieb von der Arbeitsniederlegung ausgenommen. Wenn die Regierung bis Ende Oktober nicht nachgibt und den Benzinpreis wieder senkt, soll unbefristet gestreikt werden, auch im Ölsektor, der 80 Prozent der Staatseinnahmen erwirtschaftet.

Es ist nicht leicht, einen Generalstreik in einem Land zu organisieren, in dem nur eine Minderheit in vertraglich geregelten Beschäftigungsverhältnissen arbeitet. Etwa 70 Prozent der Nigerianer leben von weniger als einem Dollar pro Tag. Millionen von Tagelöhnern und Kleinhändlern im informellen Sektor können es sich kaum leisten zu streiken. Doch indirekt gab sogar die Regierung zu, dass der Streik erfolgreich war, Informationsminister Chukwuemeka Chikelu beklagte die »negative Wirkung« auf die Wirtschaft.

Die Auseinandersetzungen um den Benzinpreis haben bereits zu mehreren Generalstreiks geführt, bei denen der NLC eine teilweise Rücknahme der Erhöhungen erzwingen konnte. Der Verband, der 29 Gewerkschaften vereinigt, konnte auch die Kleinhändler und Tagelöhner mobilisieren, die über keine eigene Interessenvertretung verfügen. Das Entstehen einer so einflussreichen sozialen Opposition erregte den Unwillen der Regierung, die den NLC nun per Gesetz in machtlose Branchen- und Betriebsgewerkschaften zerlegen und das Streikrecht einschränken will.

Der Generalstreik war daher auch eine Machtdemonstration des NLC. Vor allem aber war er ein Protest gegen die wachsende Verelendung. Allein im September stieg der Benzinpreis von 43 auf 53 Naira (33 Eurocent), die Preise für Diesel und das zum Kochen verwendete Kerosin erhöhten sich in ähnlichem Ausmaß. Das wirkt sich auf fast alle Lebensbereiche aus. Die Preise für Fahrten zur Arbeit erhöhen sich ebenso wie die Kosten für die Zubereitung einer Mahlzeit, wegen der höheren Transportkosten steigen die Lebensmittelpreise.

Wie alle Förderstaaten profitiert auch Nigeria vom Anstieg des Ölpreises, in diesem Jahr kann die Regierung Mehreinnahmen von knapp fünf Milliarden Dollar erwarten. Für die Subventionierung der Brennstoffpreise werden derzeit noch etwa zwei Milliarden Dollar ausgegeben. Die meisten Nigerianer dürften es deshalb als puren Zynismus gewertet haben, dass die Regierung die Benzinpreiserhöhung ausgerechnet mit dem Steigen des Ölpreises begründet hat.

Tatsächlich hat der Ölpreisanstieg höhere Importausgaben zur Folge. Denn theoretisch verfügt Nigeria zwar über ausreichende Raffineriekapazitäten, um die Versorgung des Landes mit Benzin, Diesel und Kerosin sicherzustellen. Doch obwohl die Regierung angibt, 700 Millionen Dollar in die Reparatur und Modernisierung der Raffinerien investiert zu haben, müssen Brennstoffe importiert werden.

Die meisten Nigerianer sehen jedoch nicht ein, warum sie einmal mehr für die Unfähigkeit und Korruption der Oligarchie bezahlen sollen. Exemplarisch wurde das Ausmaß der Korruption deutlich, als 1999 die Ehefrau des im Jahr zuvor verstorbenen Dikators Sani Abacha kurz vor ihrer geplanten Ausreise verhaftet wurde. In 43 Koffern hatte sie 640 Millionen Dollar in bar verstaut. Nicht alle Mitglieder der Oligarchie können so viel kassieren, doch in keinem anderen Öl fördernden Staat werden die Exporteinnahmen so konsequent an der Bevölkerung vorbeigeleitet wie in Nigeria. Daran hat sich auch nach dem Übergang zur Zivilherrschaft unter Präsident Olusegun Obasanjo kaum etwas geändert.

Die in regionalen Interessengruppen organisierte Oligarchie schürt Konflikte zwischen den Bevölkerungsgruppen, um sich eine bessere Position im Kampf um die Anteile an den Öleinnahmen zu verschaffen. In der Deltaregion, in der das Öl gefördert wird, gewinnen Warlords an Einfluss, die sich mit Gewalt einen Anteil an den Öleinnahmen verschaffen wollen und mittlerweile separatistische Ambitionen entwickelt haben. Im September starben mindestens 500 Menschen bei Kämpfen zwischen Milizen und der Armee.

In der zerfallenden nigerianischen Gesellschaft ist der Generalstreik ein Mittel des nation building. Er ermöglicht es der Bevökerung, ihre gemeinsamen Interessen gegen die Oligarchie zu vertreten, statt die Lösung im blutigen Konkurrenzkampf der Bevölkerungsgruppen zu suchen. Eine gewaltsame Niederschlagung der Streikbewegung und eine Auflösung des NLC würde den Nigerianern diese Möglichkeit nehmen. Die Stärkung der Separatisten und all jener Kräfte in der Oligarchie und unter den aufstrebenden Warlords, die sich ohne Rücksicht auf Verluste möglichst viel vom Reichtum Nigerias aneignen wollen, wäre die fast zwangsläufige Folge. Adams Oshiomhole erklärte während des Streiks: »Wenn wir nicht zusammenarbeiten, um die feindselige Politik der Regierung zu stoppen, wird eine Zeit kommen, in der wir kein Land namens Nigeria mehr haben werden.«