Elite? Wo?

Über den Unwert des Jahres von peter o. chotjewitz

Das Wort Elite ist eine Floskel aus der deutschen Ideologie, so unwert wie diese. Wer fordert, die Eliten zu fördern, ist nicht von dieser Welt. Es gibt schon zu viele. So viele, dass man ein Schimpfwort draus machen könnte: »Halten Sie’s Maul, Sie dumme Elite!«

Ich sehe ja ein, dass Leute, die gerne dazugehören würden, gerne eine hätten, aber es wäre ausreichend, ihnen einen entsprechenden Button ans Revers zu heften wie früher das Parteiabzeichen: 119 IQ. Sieben Milliarden Privatvermögen. Pensionierter General. Rennfahrer. Nationaltorhüter. Fernsehmoderator. Büchnerpreisträger.

Immerhin ist es lange schon Usus, dass man montags im Lokalteil lesen kann: »Traditionelles Dreikönigstreffen der Elite der Rammler unterm Funkturm«. »Kifferelite tagte im moselfränkischen Welschbillig«. Ein Beispiel aus dem Innenleben der Gesellschaft zeigt deren Reichtum an Eliten: Auf dem jährlichen Kongress der Dachverbände des Vereins deutscher Klofrauen ist Elite die Oberklofrau der Bundestagstoiletten im Gegensatz zur Albanerin, die in der Autobahnraststätte Kraichgau drauf achtet, dass immer nur eine Euro-Münze auf dem Teller liegt, damit keiner unter fünfzig Cent reinklingeln lässt.

Oder, anderes Beispiel: Die Geldelite, vulgo der Geldadel. In meiner Lokalzeitung war dieser Tage ein Rudel reicher Deutscher und Deutschinnen abgebildet. Geschmacklose Massenmenschen mit nichts als Nullen im Kopf. Als Angehöriger einer anderen Elite, die sich Schriftsteller nennt, darf ich gelegentlich in den besseren Kreisen weilen. Schon allein die Einrichtung, und dann erst die Gespräche!

Gut, ich bezweifle, dass die Eliten jemals besser waren. Schaut man hinter die Masken der Herrschenden und Präzeptoren von einst, so kommen auch nur Angst, Zynismus, Unmoral, Inkompetenz und Ignoranz, gepaart mit Reichtum und brutaler Macht, zum Vorschein. Man sollte mal wieder »Richard III.« lesen. So gesehen entspricht der so genannte Verfall der so genannten Eliten ihrer massenhaften Verbreitung.

Bekannter Fall von erpresserischem Menschenraub bei Elitinskis aus der guten alten Zeit: Als Kaiser Heinrich VI. den englischen König Richard Löwenherz verschleppt hatte, sammelten die dummen Engländer ein Jahr lang, und 1194 schipperten fünf Lastkähne mit den Schätzen Britanniens voll beladen rheinaufwärts bis Köln, um den beliebten Obereliten freizukaufen. Wenn heute der Kanzler oder der Präsident des Bundes, Herr Ackermann von der Deutschen Bank oder Herr Schrempp entführt werden würden, ließen die deutschen Eliten ihn lieber im Kofferraum verschimmeln, als auch nur einen Cent in den Klingelbeutel zu werfen. Kurz: Wo sind sie, die vom breiten Stein nicht wankten und nicht wichen?

Gibt es nun aber etwas, wofür ich plädieren könnte? Anderes Wort vielleicht? Leider nein. Man kann verkorkstes Denken nicht aufheben durch einen Blick ins Synonymlexikon. Elite hieß einmal, weiß jeder: die Auserwählten. Das Wort beinhaltete mithin das Vorhandensein einer noch höheren Instanz, die bestimmte, wer zur Elite gehörte und wer nicht. Das wiederum implizierte eine unauffällige, aber determinante Abhängigkeit der angeblichen Eliten von ihren Wählern: Könige, Götter und dergleichen Pappkameraden, die ihrerseits Elite, also Erwählte waren. Die Engländer nennen so was: »Closed-Shop-Prinzip«.

Frage also: Wer hätte heute hier die Fähigkeit zu erwählen? Und: Wäre es überhaupt nötig? Haben wir nicht längst bessere Möglichkeiten, unsere Abteilungsleiter zu bestimmen (zumeist ungenutzte freilich)? Denkdenk …