Hell strahlt die Toc-H

Ein von David Beckham eingestandenes absichtliches Foulspiel führt in England zu einer Diskussion über Intelligenz und Ethik im Sport. von kim bönte

David Beckham muss sehr stolz auf seine Aktion während des WM-Qualifikationsspiels gegen Wales gewesen sein, denn sonst wäre er vielleicht auf die Idee gekommen, dass die Klappe zu halten in diesem Fall wohl das Allerbeste sein würde.

Und so quoll es während eines Gesprächs mit britischen Medienvertretern förmlich aus ihm heraus: Die meisten Leute, so erklärte David Beckham, hielten ihn für einen Trottel »und denken, ich sei nicht besonders clever. Dabei habe ich sehr wohl Köpfchen!«

Und das war das Resultat seiner Denktätigkeit: Nachdem er sich aufgrund eines von ihm an seinem Gegenspieler Ben Thatcher begangenen Fouls eine Rippe gebrochen hatte, »was ich sofort gemerkt habe«, beging der schon mit einer gelben Karte verwarnte Kapitän der englischen Nationalmannschaft gleich noch ein Foul an Thatcher. Um sicher zu gehen, dass es der Schiedsrichter auch wirklich mitbekam, ein besonders grobes, das dann auch prompt mit dem erwünschten Platzverweis bestraft wurde.

Denn, so hatte sich Beckham das ausgedacht, wegen der gerade erlittenen Verletzung würde er sowieso bei einigen Qualifikationsspielen fehlen, die Rot-Sperre wäre entsprechend wurschtegal. Und als Genesender würde er unbelastet von vorn anfangen können.

Dass es keine gute Idee sein könnte, mit einem derart absichtlichen, wenn auch für Thatcher folgenlosen Foul zu prahlen, konnte Beckham aber vielleicht auch gar nicht ahnen, denn er wird den Namen Frank Ordenewitz nicht kennen. Der ehemalige Spieler des FC Köln hatte, von seinem Trainer Erich Rutemöller mit den legendären Worten »Mach et, Otze« ermutigt, im Pokalhalbfinale 1991 absichtlich den Ball weggeschlagen, um die Ampelkarte zu bekommen und im Endspiel dabei zu sein.

Rutemöller erzählte jedoch blöderweise einigen Journalisten davon, und Ordenewitz wurde vom DFB fürs Pokalfinale gesperrt.

Beckham dagegen kam, nachdem er sich reumütig bei seinem Trainer Göran Eriksson und dem Fußballverband entschuldigt hatte, mit einer ernsten Ermahnung davon.

Vielleicht wäre ihm eine Sperre aber lieber gewesen, denn »Becks« wurde zur Hauptfigur gleich zweier Debatten, von denen er die eine, die sich hauptsächlich mit seiner Intelligenz beschäftigt, sicher nicht gewollt hat, und die andere, in der es um ethische Fragen geht, unter Umständen gar nicht richtig versteht.

»Etwas ist passiert und plötzlich war es so, als sei der Dritte Weltkrieg ausgebrochen«, beklagte sich Eriksson, nachdem der »Held von Wembley«, Geoff Hurst, dem Spieler öffentlich vorgeworfen hatte, »unser Land in Verruf zu bringen«, und sich sogar Fifa-Präsident Joseph Blatter sehr verärgert gezeigt hatte.

Falls Beckham wirklich gehofft habe, »mit dieser Geschichte ein für allemal alle Diskussionen über seinen IQ zu beenden, dann wird er sicher sehr enttäuscht sein«, schrieb der Kommentator David Lacey im Guardian. »Wenn überhaupt, dann beweist das Foul an Thatcher, dass Beckhams mentale Helligkeit ungefähr der der Toc-H-Lampe entspricht.« (Das Logo der renommierten britischen Wohltätigkeitsorganisation Toc H ist eine Öllampe, die in England gebräuchliche wortspielerische Redewendung »dim as a Toc-H lamp« bedeutet übersetzt etwa »dumm wie Brot«.)

Immerhin, meint Lacey weiter, seien die meisten öffentlichen Äußerungen von Spielern und Funktionären gleichermaßen tumb, »von Blatter ein Fehlverhalten vorgeworfen zu bekommen, ist ungefähr genauso abwegig, wie vom Baron Münchhausen wegen des Erzählens von Lügenmärchen angezeigt zu werden«.

Auch Matthew Syed von der Times begann seinen Kommentar mit einer Analyse der Beckhamschen intellektuellen Fähigkeiten:

»Und die Moral von der Geschichte? Wenn man der Dorftrottel ist, sollte man einfach nicht versuchen so zu tun, als ob man clever sei, denn das geht schief.«

Gleichzeitig nahm er den Star jedoch auch ausdrücklich in Schutz: »Was, wenn er wirklich betrogen hat? Das tun wir ja wohl alle hin und wieder, und im Sport, davon kann man ausgehen, passiert es eben an jedem einzelnen Tag in jedem einzelnen Jahr!«

Sein Kollege Martin Samuel hielt jedoch dagegen, dass es »extrem amateurhaft« sei, »sich bei einem Foul in einem eigentlich schon entschiedenen Match die Rippen zu brechen – und diese Regelwidrigkeit dann noch einmal zu begehen, um von ihr zu profitieren, ist unethisch. Sich damit später auch noch zu brüsten, ist grunzdumm.« Man sollte, meint der Kolumnist weiter, »den Real-Madrid-Trainer Mariano Garcia Remon fragen, wie es sich anfühlt, bis Ende November auf einen Schlüsselspieler verzichten zu müssen. Oder sich Ben Thatchers Antwort auf die Frage anhören, wie es einem geht, wenn man nicht nur gleich zwei Mal unglaublich deppert gefoult wird, sondern anschließend auch noch lesen muss, wie sich der Gegenspieler damit brüstet.«

Auch der Sport-Kommentator Simon Barnes begann seinen Text mit einem deutlichen Seitenhieb auf Beckhams in England schon sprichwörtliche Blödheit: »Vielleicht war er die vielen Witze über dumme Blonde satt und wollte einfach nur mal als gewandter Machiavellist bezeichnet werden«, schrieb er.

Um dann auf ein ganz anderes Foul zu kommen, das im August 2002 die Gemüter der britischen Fans erregt hatte. Roy Keane hatte damals in seiner Biographie zugegeben, seinen Gegner Alf-Inge Håland von Manchester City nicht nur bewußt gefoult zu haben, sondern es auch noch darauf angelegt zu haben, ihn dabei so zu verletzen, dass er nicht mehr weiterspielen könne. Håland erklärte daraufhin, dass er aufgrund dieser Attacke zum Sportinvaliden geworden sei und drohte eine Zivilklage an.

Simon Barnes verglich Beckhams Foul mit dem von Roy Keane an Alf-Inge Håland. Schließlich habe auch der englische Kapitän um des eigenen Vorteils willen eine Verletzung des Gegners billigend in Kauf genommen. »Die meisten unter uns werden sicher darin übereinstimmen, dass es sich um einen völlig unmoralischen Akt handelte«, schrieb Barnes, stellte dann jedoch die Frage, ob die Öffentlichkeit nicht einfach systematisch belogen werden wolle, denn »interessanterweise brach der Sturm der Entrüstung eben nicht über das bösartige Foul, sondern über Beckhams Geständnis los – die Strafe dafür, nichts als die Wahrheit gesagt zu haben, war mithin also höher als für die verabscheuungswürdige Tat an sich«.

Nicht nur Fußballfans, sondern auch die Liebhaber aller anderen Sportarten müssten endlich die Tatsache akzeptieren, dass die Zeiten, in denen Sportler wirklich mehrheitlich den Idealen von Fairness und Ehrlichkeit nacheiferten, ein für allemal vorbei seien. Schließlich kann ein unterlassenes Foul eine Mannschaft nicht nur den Titel oder eine Qualifikation kosten, sondern auch viele Millionen an Einnahmen, auf die kein Club derzeit einfach so verzichten kann.

Nun gelte es, endlich Schluß zu machen mit dem schizophrenen Bild, das über Sportler und Sportarten immer noch so gern verbreitet werde, und sich offen einzugestehen, was man eigentlich insgeheim schon lange wisse:

»Die Öffentlichkeit hat es mittlerweile völlig akzeptiert, dass Sport nach zweierlei Regeln gespielt wird. Die einen sind die, die in den offiziellen Handbüchern niedergeschrieben wurden, die anderen sind der informelle Konsens darüber, welche Verhaltensweisen akzeptabel sind und welche nicht.«