Kopfgeld für die Caritas

Vor kurzem sprachen sie sich noch gegen Hartz IV aus. Jetzt wollen Wohlfahrts- und Sozialverbände Tausende »Ein-Euro-Jobs« einrichten. von martin kröger

Ich kann mich derzeit vor Rückmeldungen von Betroffenen kaum retten«, sagt Jürgen Freier, der beim Berliner Sozialforum und bei der Berliner Kampagne gegen Hartz IV mitmacht. Er berät derzeit Erwerbslose und SozialhilfeempfängerInnen, die ab 1. Januar das Arbeitslosengeld II erhalten sollen. So wandten sich zwei Leute an ihn, die lautstark Einspruch gegen jene Fragen erhoben hatten, die auch vom Bundesbeauftragten für den Datenschutz beanstandet wurden. »Zwei Tage später hatten die Betroffenen ihre Vorladung für einen Ein-Euro-Job auf dem Tisch.«

600 000 solcher Stellen für Langzeitarbeitslose könne er sich durchaus vorstellen, hatte Wirtschaftsminister Wolfgang Clement (SPD) bereits im August angekündigt. »Wer einen Zusatzjob hat, erhält weiterhin Arbeitslosengeld II und zusätzlich eine so genannte Mehraufwandsentschädigung in Höhe von ein bis zwei Euro je gearbeiteter Stunde«, erläuterte das Wirtschafts- und Arbeitsministerium in einer Presseerklärung.

Bedingung für die »Ein-Euro-Jobs« genannten Tätigkeiten ist, dass sie »gemeinnützig und zusätzlich« sind. Ziel der Maßnahme sei die »Wiedereingliederung der Arbeitssuchenden«. Dafür stellt das Ministerium beträchtliche finanzielle Mittel zur Verfügung: Allein für das Jahr 2005 sind 6,35 Milliarden Euro vorgesehen, zuzüglich 3,3 Milliarden Euro, die für das Personal und die Verwaltung benötigt werden. Der Phantasie, in welchen Tätigkeitsbereichen die Betroffenen arbeiten müssen, sind keine Grenzen gesetzt: Die Ideen reichen von der Altenpflege und der Kinderbetreuung bis zur Landschaftspflege. Die Grünen traten jüngst gar dafür ein, arbeitslose LehrerInnen in der Nachhilfe einzusetzen.

Verknüpft ist die Schaffung der neuen Tätigkeiten mit rigiden Zwangsmaßnahmen. BezieherInnen des Arbeitslosengeldes II müssen im Fall der Ablehnung der ihnen zugewiesenen Stelle mit saftigen Einbußen bei ihrem sozialen Grundsicherungseinkommen rechnen. 30 Prozent Abzug sind gesetzlich festgelegt.

Fast alle Parteien haben den neuen »Arbeitsdienst«, der für viele SozialhilfeempfängerInnen und Flüchtlinge bereits seit Jahren Realität ist, widerspruchslos akzeptiert. Kritik ist derzeit nur von den Betroffenen selbst, den Sozialforen sowie außerparlamentarischen Gruppen zu vernehmen.

»Auch wenn die offizielle Sprachregelung von ›neuen Jobs‹ und ›Arbeitsplätzen‹ spricht: Jeder und jede weiß, dass es sich bei diesen Tätigkeiten keineswegs um ›ordentliche Arbeit‹ handelt, ja es sind noch nicht einmal ›Jobs‹: Diese Tätigkeiten begründen kein Arbeitsverhältnis, sie finden ohne Arbeitsvertrag statt, sie sind nicht tarifiert, sie werden nicht entlohnt, die Beschäftigten besitzen nicht die normalen ArbeitnehmerInnenrechte«, fasst die Sozialpolitische Opposition aus Hamburg zusammen. »Dass normale Arbeitsverhältnisse durch Ein-Euro-Jobs ersetzt werden«, befürchtet zudem Jürgen Freier vom Berliner Sozialforum. »Wenn der nächstgelegene Gartenbaubetrieb für einen Euro schuften lässt, wieso sollte der Konkurrent einen normalen Lohn auszahlen?« Negative Folgen befürchtet er auch für zukünftige Tarifauseinandersetzungen. »Wer stellt noch Lohnforderungen, wenn die zwangsverpflichteten BilligarbeiterInnen bereit stehen?« Das langfristige Ausmaß der sozialen Veränderungen, wenn man jeden Job annehmen muss – obwohl »Arbeitszwang« doch grundgesetzlich verboten ist –, sei noch gar nicht abzusehen, meint Freier.

Sowohl die Sozialpolitische Opposition als auch das Berliner Sozialforum haben offene Briefe an alle Wohlfahrtsverbände geschickt, um sie dazu zu bewegen, solche Arbeitsplätze nicht bereitzustellen. Doch dieselben Wohlfahrtsorganisationen, die sich vor Wochen noch in die Proteste gegen Hartz IV einreihten, scheinen kein Problem damit zu haben, Menschen zu solchen Bedingungen für sich arbeiten zu lassen.

Bei der Caritas Deutschland bemüht man Theodor W. Adorno, um das eigene Mitwirken an der Entstehung eines Niedriglohnsektors zu rechtfertigen. »Es gibt kein richtiges Leben im Falschen«, sagt Thomas Broch, Referatsleiter Presse- und Öffentlichkeitsarbeit beim Deutschen Caritasverband und meint damit, dass die Situation nun mal so sei und deswegen mitgemacht werden müsse. Zwischen 2 000 und 10 000 Stellen plant der katholische Wohlfahrtsverband im ganzen Land einzurichten. Die Verhandlungen über die konkrete Ausgestaltung mit der Bundesagentur für Arbeit sind im Gange, und die Caritas versuche gegenwärtig, »zentrale Bedingungen« durchzusetzen: Neben »psychosozialer Betreuung« müssten Garantien für die tatsächliche »Weiterbildung« und die »Freiwilligkeit« der zu Beschäftigenden vorliegen, sagt Broch. Neben Bring- und Holdiensten kann sich die Caritas durchaus vorstellen, qualifizierte Arbeitskräfte für einen Euro in der Pflege einzusetzen. »In solchen Fällen, muss man nach individuellen Möglichkeiten schauen.«

Auch das Deutsche Rote Kreuz (DRK) begrüßt die Einrichtung der Ein-Euro-Jobs und bereitet wie die Caritas »mehrere tausend Arbeitsgelegenheiten« vor, berichtet Fredrik Barkenhammar, Pressereferent beim DRK. Gerade die positiven Erfahrungen mit dem Zivildienst und dem Freiwilligen Sozialen Jahr bestärken das DRK, den geplanten Maßnahmen zuzustimmen. »Vollfinanzierte Stellen in unserem sozialen Sicherungssystem sind niemals bezahlbar«, behauptet Barkenhammar. Immerhin habe das DRK gegenüber der Bundesagentur durchsetzen können, dass die Entscheidung über Einstellungen bei der Organisation selbst getroffen und Weiterbildungen garantiert werden. So könnten nach Aussage Barkenhammars zusätzlich auch ein paar reguläre Arbeitsplätze für die Trainingsmaßnahmen und die Verwaltung geschaffen werden.

Als »sozialpolitische Sauerei« bezeichnet dagegen der Berliner Politikprofessor Peter Grottian das Verhalten der Wohlfahrtsverbände. 500 Euro erhielten die Verbände für jede Person, die eingestellt werde, weiß Grottian, wovon nur rund 180 Euro als tatsächlicher Lohn die Betroffenen erreichen würden. »Dass die Institutionen mehr bekommen als der Mensch, ist pervers.« »Wir kommen um eine Konfrontation mit den Wohlfahrtsverbänden nicht herum«, kündigt der im zivilen Ungehorsam erprobte Grottian an: »Es wird höchste Zeit, Bischof Wolfgang Huber in seinem Sonntagsgottesdienst zu besuchen.« Zudem hofft er, dass sich die Betroffenen in der Öffentlichkeit äußern, und die Zwänge, denen sie ausgesetzt sind, benennen.

In Berlin wollten sich in der vergangenen Woche einige nicht mit dem Recht auf Meinungsäußerung begnügen; sie besetzten das »Haus der sozialen Arbeit« der Berliner Arbeiterwohlfahrt (Awo). »Die Überflüssigen«, wie sich die BesetzerInnen selbst bezeichneten, forderten den Ausstieg der Awo und aller anderen Sozialverbände aus der »Kooperation mit der Bundesregierung bei Lohndrückerei und Zwangsarbeit«. »Mit Hausbesetzern, die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen bedrängen und keine vernünftige Gesprächskultur haben, diskutiere ich nicht«, erwiderte der Landesvorsitzende der Awo, Hans Nisblé und erstattete Anzeige wegen Hausfriedensbruch gegen die BesetzerInnen.