Immer auf die Kleinen

Die geplanten Sparmaßnahmen des Hamburger Senats sind ein Rundumschlag gegen die sozialen Projekte der Stadt. von guido sprügel

Ordnungsdienst statt Lehrer« lauteten die Schlagzeilen in Hamburger Zeitungen am vergangenen Freitag. Auch die lokalen Radiosender berichteten aufgeregt von der neuesten Sparidee des Hamburger Senats. Die CDU-Regierung sieht demnach im Haushaltsentwurf für das Jahr 2005 die Streichung von 17 Lehrerstellen vor, um mit dem Geld den Städtischen Ordnungsdienst aufzustocken. Dieser Ordnungsdienst achte u.a. darauf, dass »der Bürger keinen Müll wegwirft und im Park nicht Rad fährt«, sagt die Pressesprecherin der Gal-Fraktion in der Bürgerschaft, Brigitte Köhnlein.

Der Senat will keineswegs nur bei den Lehrern sparen, doch das Beispiel ist symptomatisch dafür, was dem Senat Geld wert ist und was nicht. Insgesamt ergäbe die Liste der betroffenen Stellen und Einrichtungen beinahe ein »Who is who« der sozialen Initiativen der Stadt. Projekte für Flüchtlinge, Schulkinder und misshandelte Frauen (Jungle World, 46/04) werden ebenso kürzer gehalten wie die Volkshochschule, die Uni und die Blinden.

Aus diesem Anlass veranstaltete am Donnerstag vergangener Woche ein Bündnis aus Gewerkschaften, Verbänden und Initiativen pünktlich zum 11. November einen »SPARneval«. »Die Rotstiftpolitik des Senats, die sich vorrangig gegen die Hamburgerinnen und Hamburger richtet, die sowieso schon nicht auf Rosen gebettet sind, muss endlich aufhören«, sagte der Vorsitzende des DGB Hamburg, Erhard Plumm, auf der Kundgebung. Trotz der recht guten Beteiligung von knapp 2 000 Menschen an der Demonstration rechnet kaum jemand mit einer neuen Welle des Protests. »Es gibt leider eine gewisse Sättigung gegenüber den Sparmaßnahmen. Fast täglich gibt es eine neue Initiative, die gestrichen wird, da kann man gar nicht immer reagieren«, erklärt Brigitte Köhnlein von der Gal.

So musste zum 15. November Hamburgs einziges Therapiezentrum für traumatisierte Flüchtlinge, Accept, schließen. Trotz scharfer Kritik von Ärzten und Therapeuten stellte der Senat die Förderung ein. Accept wurde jährlich von über 500 Flüchtlingen als Beratungs- und Therapiestelle genutzt. Das Zentrum bot neben Therapien bei Traumata auch eine psycho-soziale Sprechstunde an. »Wir sind überlaufen, und es gibt keinen Ersatz für unsere Beratungsstelle«, äußerte sich die Mitarbeiterin Sabine von der Lühe besorgt in der taz Hamburg. Doch die Sozialsenatorin Birgit Schnieber-Jastram (CDU) hält das Angebot für überflüssig. Schließlich seien die Flüchtlingszahlen in Hamburg stetig rückläufig, erläuterte sie den Mitarbeitern des Zentrums. In einer Presseerklärung forderte u.a. die AG kirchliche Flüchtlingsarbeit in der Nordelbischen Kirche den Senat auf, über die Streichung noch einmal nachzudenken.

Auch einem weiteren Projekt für Flüchtlinge wird zum Ende des Jahres das Geld gestrichen. Seit dem vergangenen Jahr organisiert der Hamburger Kinderschutzbund private Vormunde für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge. Privatvormunde haben gegenüber Amtsvormunden, die oft mehrere Kinder gleichzeitig betreuen, den Vorteil, leichter eine persönliche Bindung zu den Kindern aufbauen zu können. Oberbürgermeister Ole von Beust (CDU) hatte zum Start des Projekts medienwirksam die Schirmherrschaft übernommen. Am Donnerstag voriger Woche gaben knapp zehn Privatvormunde in der Sprechstunde des Bürgermeisters symbolisch Dutzende von Regenschirmen ab. »Auf diesem Weg haben wir Ole von Beust seine Schutzschirme zurückgegeben«, erklärte Privatvormund Doris Tammen der Presse.

Weiterhin werden die Zuschüsse für Kitas gekürzt, Schulen zusammengelegt, und die Hamburger Universität für Wirtschaft und Politik könnte abgewickelt werden. An den Schulen machen sich die Konsequenzen der Sparmaßnahmen im Bildungsbereich immer deutlicher bemerkbar. Auch werden in den kommenden Jahren knapp 1 000 Lehrerstellen fehlen. Der Ausbau von Ganztagsschulen sowie das Abitur nach zwölf Schuljahren sollen ohne Neueinstellungen bewerkstelligt werden. »Die angebliche CDU-Bildungsoffensive entpuppt sich als hohle Phrase«, sagt die Sprecherin der GEW, Ilona Wilhelm, in einer Presseerklärung.

Der Ausbau der Schulen zu Ganztagsschulen war eine zentrale Wahlkampfforderung der CDU und hörte sich gut an. Schließlich liegen Ganztagsschulen seit der Pisa-Studie im Trend. In der Praxis bekommen die Hamburger Schulen dafür nicht die nötige Unterstützung. »Der Mehrbedarf an Lehrern wird dadurch gedeckt, dass die Klassen einfach größer werden«, berichtet der Gymnasiallehrer Ralf Reckmann.

Dutzende von Schulen werden geschlossen. Die Bildungssenatorin Alexandra Dinges-Dierig (parteilos) hatte zu diesem Zweck eine Analyse in Auftrag gegeben. Dem Gebiet Billstedt-Horn beispielsweise, einem sozialen Brennpunkt in Hamburg, wird in diesem Papier kurzerhand attestiert, dass die »Gymnasialnachfrage etwas zurückgehen« werde. Also steht das Gymnasium St. Georg vor der Schließung, was die »soziale Randlage« des Stadtteils verstärken wird. »Wir versuchen, den Stadtteil mit Millionen sozial zu stabilisieren – dies würde durch die Schließung der Schule kaputt gemacht«, protestierte der Bezirksamtsleiter Markus Schreiber in der taz Hamburg. In einer Bürgerschaftssitzung empfahl Bildungssenatorin Dinges-Dierig den betroffenen Eltern, sich für den Erhalt ihrer Schulen doch noch einmal »ordentlich ins Zeug« zu legen.

Das Blindengeld hat der Senat bereits von 585 auf 456 Euro gekürzt. Dagegen protestiert der Blinden- und Sehbehindertenverein Hamburg seit Monaten mit seiner Kampagne »Blind gestrichen!« Obwohl der Verband einen eigenen Kürzungsvorschlag einbrachte, blieb der Senat bei seiner Entscheidung. Die Sozialsenatorin Birgit Schnieber-Jastram sah in dem Entwurf des Vereins keine gute Alternative. Viele Blinde und Sehbehinderte müssen nun mit 129 Euro weniger im Monat ihre Ausgaben für spezielle Haushaltsgeräte, Hilfsmittel, Bücher in Blindenschrift etc. bestreiten.

Fast alle genannten Sparmaßnahmen richten sich gegen kleine Projekte und Initiativen. »Da ist eigentlich kaum Geld zu holen – dennoch reißt die Streichung gerade von diesen kleinen Projekten große Löcher auf«, sagt Brigitte Köhnlein. Selbst der Verkauf des Landesbetriebs Krankenhäuser (LBK) an die private Asclepios-Gruppe brachte gerade mal 20 Millionen in die Landeskasse. Die Krankenhäuser verkauft der Senat, obwohl sich die Hamburger in einem Volksentscheid, der gleichzeitig mit der Bürgerschaftswahl stattgefunden hatte, dagegen aussprachen. Nun drohen schlechtere Arbeitsbedingungen für die Angestellten und Lücken in der Krankenversorgung, da der private Investor unrentable Krankenhäuser schließen will.

Ein Ende der Hamburger Sparpolitik scheint trotz allem nicht in Sicht.