Kinder als Ware

Mehr als eine Million Kinder wurden im vergangenen Jahr verkauft, doch viele Staaten zögern mit der Ratifizierung der UN-Konvention gegen den Menschenhandel. von knut henkel

Nicht nur für die Boulevardpresse waren die rumänischen »Klaukids« im vergangenen Jahr ein Thema. Erst machten sie Berlin und Köln unsicher, dann Hamburg. Wahrgenommen wurden die Kinder jedoch zumeist nur als ordnungspolitisches Problem. Abschiebung nach Bukarest lautete etwa das Hamburger Rezept. »Wie und weshalb die minderjährigen Kinder nach Deutschland kamen, fragen nur wenige«, kritisiert Helga Konrad.

Die Sonderbeauftragte gegen Menschenhandel der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit für Europa (OSZE) ist überzeugt, dass der Opferschutz zu kurz kommt. »Kinder, die in die Hände von Kinderhändlern gelangen und beispielsweise gezwungen werden zu betteln oder zu stehlen, sollten nicht als Kriminelle behandelt werden, sondern betreut werden.« Die zuständigen Stellen in Hamburg haben die Verantwortung dafür allerdings den rumänischen Instanzen zugeschustert. Dort sollten die insgesamt 50 Kinder im Kinderheim »Pinocchio« untergebracht werden. Recherchen von Hamburger Sozialarbeitern zufolge kamen jedoch nur wenige der Kinder dort tatsächlich an.

Dies sei kein Einzelfall, sagt Konrad. Sie fordert die 55 OSZE-Mitgliedsstaaten auf, genau zu prüfen, ob man die Kinder zurückschickt. »Es gibt nun einmal Eltern, die ihre Kinder verkaufen oder sie so schlecht behandeln, dass sie aus dem Elternhaus flüchten.« Tausende von Kindern werden den Informationen der OSZE zufolge alljährlich aus Ost- und Südosteuropa in die Länder der Europäischen Union verschleppt. Sie werden gezwungen, in den Einkaufszonen zu betteln und zu stehlen, und oft werden sie auch sexuell ausgebeutet.

Kinderhandel ist längst ein lukratives Geschäft für internationale Schlepperorganisationen. 1,2 Millionen Kinder wurden nach Schätzungen der Internationalen Arbeitsorganisation im vergangenen Jahr weltweit verkauft. Die Dunkelziffer ist allerdings hoch, und die Formen der Ausbeutung sind vielfältig. Als billige Arbeitskräfte bei der Saatgutherstellung auf indischen Feldern werden sie genauso ausgebeutet wie als Haushaltshilfen, in Bergwerken oder als Sexobjekte.

Henriette Akofa war 15 Jahre alt, als sie nach Paris kam. Bei ihrer Schwester wollte sie leben und in Paris zur Schule gehen. »Doch meine eigene Schwester schickte mich zu einer Familie, wo ich mich um die drei Kinder und den Haushalt kümmern musste.« Fünf Jahre hat die Togolesin, die mittlerweile legal in Frankreich lebt, in Knechtschaft gearbeitet. »Ohne jede Privatsphäre, ohne Bezahlung, ohne Rechte«, wie sie heute sagt. Inzwischen kann sie über ihre Erfahrungen, die sie in einem Buch festgehalten hat, auch sprechen.

Als einer der Gäste von terre des hommes saß Henriette Akofa bei der internationalen Konferenz gegen Kinderhandel auf dem Podium. Die Togolesin hatte sich einem Nachbarn anvertraut, der das Komitee gegen moderne Sklaverei informierte, welches schließlich die junge Frau befreite. Akofa, die mittlerweile als Krankenschwester arbeitet, hat ihre einstigen Peiniger verklagt.

Alles andere als ein typischer Fall, denn die meisten Opfer von Menschenhandel bringen nicht den Mut auf, ihre Rechte einzuklagen und ihre oftmals schrecklichen Erfahrungen zu schildern. »Sie brauchen Unterstützung, psychologische Hilfestellung, medizinische Betreuung und einen sicheren Aufenthaltsstatus, um zumindest die Möglichkeit zu haben, die Erfahrungen zu bewältigen«, sagt der UN-Vertreter Burkhard Dammann.

Er leitet die Abteilung für die Bekämpfung des Menschenhandels im UN-Büro zur Drogenkontrolle und Strafrechtsentwicklung. Diese koordiniert auch die Aktivitäten im Zuammenhang mit der UN-Konvention gegen das organisierte Verbrechen, der ein Protokoll zur Bekämpfung des Menschenhandels beigefügt ist. Hierin wird der Opferschutz verankert. Klar definiert ist zudem, dass grundsätzlich die Länder verantwortlich sind, in welchen sich die Opfer des Menschenhandels aufhalten. »Ein wichtiger Fortschritt«, meint Dammann.

Doch wie er in der Praxis realisiert werden soll, ist bislang kaum geklärt. Müssen die Kinder wieder ins Herkunftsland zurück, wo es womöglich keine Schule gibt, keine Ausbildung, keine ausreichende medizinische Betreuung und keine Perspektive? Oder bekommen sie eine Aufenthaltsgenehmigung? Fragen, die bisher unbeantwortet sind und die die Staaten, die Konvention und Zusatzprotokoll unterzeichnet haben, gemeinsam lösen müssten.

Die UN könne nicht mehr leisten, als den Rahmen vorzugeben, glaubt Dammann. Großbritannien, Deutschland, die USA und viele andere Staaten haben die Dokumente bislang allerdings nicht ratifiziert, so dass die darin enthaltenen Verpflichtungen, den Menschenhandel zu sanktionieren, ihn grenzübergreifend zu bekämpfen und die Opfer zu schützen, noch nicht greifen. Infolgedessen mangle es an konkreten Strukturen und Maßnahmen, mit denen alle Facetten des Menschenhandels, von der illegalen Adoption bis zur gewaltsamen Verschleppung von Menschen, geahndet werden könnten, meint die OSZE-Expertin Konrad.

Die grenzübergreifende Zusammenarbeit von Ermittlern, die durch die Konvention erleichtert wird, ist dabei nur ein Instrument, die Analyse der Ursachen ein anderes. Und die liegen vor allem in den sozialen Ungleichheiten, urteilt der britische Menschenrechtsexperte Michael Dottridge. Armut, fehlende soziale Sicherheitsnetze und Perspektiven sind die zentralen Faktoren, die den Menschenhandel begünstigen. Legale Migration werde immer schwerer, während dem freien Güterverkehr nichts entgegenstehe, kritisiert Dottridge.

Angesichts dieses Klimas haben es Schlepper leicht, Kinder in ihre Gewalt zu bekommen. Sie werden in ein unbekanntes Land verfrachtet, dessen Sprache sie nicht beherrschen und wo sie gezwungen werden, unter unwürdigen Bedingungen zu arbeiten. »Kinder können sich in dieser Situation nicht wehren, denn sie sind abhängig von den Erwachsenen, wodurch die Menschenrechtsverletzungen bei Kindern am allerschlimmsten sind«, sagt Dammann.

Das gilt auch für die rumänischen »Klaukids«, die schnell wieder in den Fängen der Schlepper landen können. Wirksame Hilfe lässt sich oftmals einfacher in den Zielländern wie Deutschland organisieren als in den Herkunftsländern. Das bestätigen nicht nur die Recherchen der Hamburger Sozialarbeiter in Bukarest, sondern auch zahlreiche internationale Studien. Für die notwendigen Ausgaben aber wollen die Regierungen nicht aufkommen, ebenso wenig wie für entwicklungspolitische Maßnahmen, die in der Konvention ebenfalls gefordert werden.