Satan erteilt Flugverbot

Die Regierung der Côte d’Ivoire will mit antifranzösischen Parolen und einer rassistischen Mobilisierung gegen die Bewohner des Nordens ihre Macht erhalten. von bernhard schmid

War es politische Eskalationsabsicht? Ein Versehen mit schweren Konsequenzen? Oder ein Ausdruck schwelender Machtkämpfe in der Führung der Côte d’Ivoire? Fest steht, dass am vorletzten Samstag eine 250 Kilogramm schwere Fliegerbombe der ivoirischen Luftwaffe neun französische Soldaten und einen US-amerikanischen Mitarbeiter einer NGO in einem Camp bei Bouaké tötete und 38 Franzosen verletzte.

Noch am selben Tag ordnete Frankreichs Präsident Jacques Chirac an, nahezu die gesamte ivoirische Luftwaffe zu zerstören. Und so bombardierten die Franzosen am Abend des 6. November sieben Flugzeuge und Helikopter des westafrikanischen Staates. Alle wurden zerstört; der Luftwaffe von Präsident Laurent Gbagbo, dem auch ein Privatflugzeug abhanden kam, bleibt nur noch ein Kampfhubschrauber.

Dabei hatte nach übereinstimmender Darstellung verschiedener Pariser Zeitungen, wie des für investigative Berichte bekannten Canard enchaîné und des Boulevardblatts France Soir, die politische Führung der Côte d’Ivoire die französische Staatsspitze vorab von ihrer bevorstehenden Großoffensive gegen die Rebellentruppen im Norden des Landes unterrichtet. Und die französische Regierung soll demnach faktisch einverstanden gewesen sein.

Politiker und Medien in Frankreich gehen inzwischen davon aus, dass Präsident Gbagbo die Bombardierung der französischen Stellung nicht befohlen hat. Ein französischer Offizier sprach gegenüber France Soir von einer »Panne«; das ist auch die offizielle ivoirische Darstellung. Dagegen sprach die französische Staatsführung zunächst von einer bewussten Handlung. Nach Angaben von Le Monde gehen der Staatspräsident und das Außenministerium jetzt davon aus, dass Gbagbo »bestimmt nicht« Order zum Angriff auf die französische Stellung gegeben habe. Der Generalstabschef Henri Bentégeat erklärte, er glaube nicht, dass Gbagbo »persönlich« eine entsprechende Anordnung gegeben habe, da dies keinen Sinn ergäbe. Dennoch sei er »in einem Punkt sicher: Dieser Angriff war gewollt, beabsichtigt«, und er fordere eine Untersuchung.

Möglicherweise war die Bombardierung ein »Kollateralschaden« beim Angriff auf Bouaké, wo sich das Hauptquartier der Rebellenarmee unter Guillaume Soro befindet. Oder aber extremistische Kräfte innerhalb des Staatsapparats sind der Kontrolle Gbagbos entglitten. Zu solchen Kräften zählt höchstwahrscheinlich der Präsident des ivoirischen Parlaments, Mamadou Koulibaly, der noch am vorletzten Wochenende den Franzosen ein Desaster, »schlimmer als Vietnam«, für die US-Amerikaner prophezeite. Koulibaly steht der Bewegung der Jeunes Patriotes (Junge Patrioten) nahe, die von Charles Blé Goudé angeführt wird, dem selbsternannten »Präsidenten der Straße«.

Hintergrund der Konflikte ist die zunehmend rassistische Aufladung der ivoirischen Politik. Der größte Kakaoproduzent und -exporteur der Welt hatte in den siebziger Jahren einen Wirtschaftsboom erlebt, der ohne die Nutzung billiger Arbeitskräfte aus den nördlichen Nachbarländern Mali und Burkina Faso unmöglich gewesen wäre. Doch durch den Verfall des Kakaopreises auf dem Weltmarkt implodierte das Modell. Seit 1999 werden die Bewohner des überwiegend muslimischen Nordens von Politikern aus dem dominierenden, christlich-animistischen Süden zu Ausländern erklärt, da sie in Wirklichkeit Burkinabés (Bürger Burkina Fasos) seien.

Die sich ausbreitende Ideologie der rassistisch definierten Ivoirité diente am Anfang vor allem der Elite im Süden dazu, den aussichtsreichen Präsidentschaftskandidaten aus dem Norden, Allessandra Ouattara, von den Wahlen auszuschließen. Doch der identitätspolitische Ausschlussmechanismus entwickelte eine Eigendynamik und brachte ein immenses Gewaltpotenzial hervor.

Seit 2002 versucht die nach der Unabhängigkeit von 1960 stets präsente Vormacht Frankreich, das Regime Laurent Gbabgos auszubremsen. Einerseits wollte Frankreich nicht erneut der Komplizenschaft bei einem afrikanischen Genozid wie jenem in Ruanda beschuldigt werden. Andererseits hätten viele französische Konservative eigentlich gern Ouattara als Präsidenten gesehen, da der ehemalige Weltbankfunktionär ihnen als Garant wirtschaftlicher Vernunft gilt. Frankreich hat bedeutende ökonomische Interessen in der Côte d’Ivoire; so kontrolliert der Bolloré-Konzern die wichtigste Exportgesellschaft für Kaffee und Kakao, die Häfen und den Holzeinschlag. Gbagbo gilt der französischen Rechten als unzuverlässig, da er lange Zeit der Freund der französischen Sozialdemokraten war. Diese brachen erst vorige Woche explizit mit ihm.

Dem ivoirischen Präsidenten wurde die Hand geführt, um ihn zur Unterschrift unter die Abkommen von Marcoussis im Januar 2003 zu drängen. Die Rebellen aus dem Norden, die vier Monate zuvor einen Putsch versucht hatten, und die Zentralregierung im Süden sollten zusammen eine »Regierung der nationalen Versöhnung« bilden. Doch diese formal amtierende Regierung unter Seydou Diarra wurde von Gbagbo marginalisiert.

Die Tatsache, dass die neokoloniale Hegemonialmacht Frankreich das Abkommen maßgeblich inspirierte und durchsetzte, lässt es in den Augen eines Großteils der Bevölkerung im Süden illegitim erscheinen. Deshalb lässt sich die rassistische Mobilmachung gegen die »Ausländer« aus dem Norden, die als »fünfte Kolonne der Kolonialisten« denunziert werden, trefflich mit der Agitation gegen Frankreich vermengen, das als Projektionsfläche für diverse Frustrationen dient.

Vorangetrieben wird diese Mobilisierung durch die Jeunes Patriotes, aber auch durch evangelikale Fernsehprediger. Einer von ihnen gab etwa vorige Woche im Staatsfernsehen zum Besten, Chirac sei »vom Geiste Satans besessen« und das Land sei »in zwei Blöcke aufgeteilt, jenen des Teufels und jenen Gottes«. Vor diesem Hintergrund entsteht eine apokalyptische Atmosphäre. Aber auch im Rebellengebiet im Norden haben UN-Emissäre ein Massengrab gefunden.

Seit dem vorletzten Wochenende eskalierte die Straßenmobilisierung im Anschluss an die Zerstörung der ivoirischen Luftwaffe. Eine Menschenmenge zog los, um den Flughafen von Abidjan zu besetzen, der von den Franzosen militärisch kontrolliert wird. Die Demonstranten wurden jedoch von französischen Soldaten aufgehalten, die am Flughafen und anderen Orten in die Menge feuerten. Nach Angaben von France Soir starben 37, anderen Quellen zufolge dagegen über 50 Menschen.

Zugleich belagerte und bedrohte ein Lynchmob einige der insgesamt noch 15 000 im Lande lebenden Franzosen, von denen 8 000 die doppelte Staatsbürgerschaft innehaben. Nach Angaben des Pariser Außenministeriums kam es dabei nicht zur Tötung von Franzosen, aber zu Dutzenden von Vergewaltigungen. Bis zum Wochenende wurden etwa 3 000 Franzosen aus dem Land evakuiert.

Am Dienstag voriger Woche gab es dann aber gemeinsame Patrouillen von französischen, ivoirischen und UN-Soldaten in Abidjan, um die Lage zu beruhigen. Frankreich erklärte, man habe nicht die Absicht, Gbagbo zu stürzen. Das ivorische Regime hat einen erneuten Schwenk in seiner Doppelstrategie eingeschlagen, die darin besteht, auf der aufgeheizten Massenstimmung zu surfen, die Mobilisierung jedoch zurückzudrehen, wenn sie realpolitisch kontraproduktiv wird. Es fragt sich nur, wie lange das gut geht.