AKW – ja bitte!

Atomkraftdebatte in Schweden von bernd parusel, stockholm

Im November, wenn es kalt wird im Norden, schnellen in den schwedischen Haushalten die Stromrechnungen in die Höhe. Viele wärmen ihre Häuser mit stromfressenden Elektroheizungen. Energie ist deshalb für viele Schweden ein gewichtiger Haushaltsposten, und die Möglichkeit steigender Strompreise ein Schreckensszenario. Genau das würde geschehen, wenn die elf Atomreaktoren des Landes stillgelegt würden, wie es die Regierung will und wie es auch die Wähler 1980 in einem Referendum beschlossen hatten. So zumindest argumentieren derzeit die Verfechter der Kernkraft: Ohne Atomenergie würde Schweden von Stromlieferungen der Nachbarn abhängig, sagen sie. Außerdem würde die schöne Landschaft zugebaut mit Windkraftanlagen und auf die Verbraucher kämen höhere Stromrechnungen zu.

Rund 40 Prozent seines Strombedarfs gewinnt Schweden heute aus Wasserkraft. Für die restlichen 60 Prozent kommen zum größten Teil Atomkraftwerke auf. Windräder liefern weniger als ein Prozent. Die neue Ministerin für Energie, Umwelt und Wohnungsbau, Mona Sahlin, die nach einer Regierungsumbildung Anfang November ihr Amt antrat, forderte die Wirtschaft jetzt auf, ihre »technischen Möglichkeiten endlich auf das zu konzentrieren, was anstatt von Kernkraft kommen wird«. Die Sozialdemokratin sieht die Abwicklung der Kernkraft als einen Aspekt des »grünen Volksheims« – ein Schlagwort, mit dem die Regierung dafür wirbt, den Wohlfahrtsstaat umweltfreundlich zu machen, unter anderem mit erneuerbaren Energien und einer ökologischen Steuerreform.

Die Mehrheit der Bevölkerung will davon jedoch nichts wissen. Nach neuen Meinungsumfragen wollen 64 Prozent heute an der Kernkraft festhalten. Weitere 16 Prozent sähen sie sogar gerne weiter ausgebaut. Beim Referendum vor knapp 25 Jahren, das im Zeichen des Atomunfalls im US-amerikanischen Harrisburg 1979 stand, hatten noch 58 Prozent für einen langsamen Ausstieg votiert. Aus Sicht der bürgerlichen Parteien, die zum Lager der Atomkraftanhänger gehören, hat Volkes Stimme von 1980 heute keine Relevanz mehr. Die heutige Wählerschaft sei eine ganz andere als vor 25 Jahren. Heute wollten nur noch 16 Prozent den Ausstieg.

Ob die regierenden Sozialdemokraten angesichts des Gegenwinds von Opposition und Demoskopie die Abwicklung wirklich voranbringen, ist deshalb unsicher. In den zurückliegenden Jahren ist kaum etwas passiert. Erst ein Reaktor, Barsebäck I, wurde seit dem Referendum geschlossen. Im kommenden Jahr soll Barsebäck II folgen, und die restlichen zehn Reaktoren bis spätestens 2012. Schon die Schließung von Barsebäck ist den Atombefürwortern aber ein Dorn im Auge. Wenn es um die »Unabhängigkeit« geht oder um den Geldbeutel, macht vielen die Möglichkeit eines strahlenden »Volksheims« offenbar nicht so viel Angst wie die eines grünen.