Wir gegen sie

Mit »Der vierte Weltkrieg« hat die Globalisierungsbewegung ihren Filmklassiker bekommen. von fabian frenzel

Der vierte Weltkrieg ist, folgt man dem Subcomandante Marcos, der nach dem Ende des kalten Krieges begonnene Krieg des Neoliberalismus gegen die Menschen und die Erde; der Krieg der Strukturanpassungsprogramme gegen die Nationalstaaten und deren Macht, den Zugriff transnationaler Konzerne auf natürliche Ressourcen und soziale Standards zu beschränken.

In Marcos’ viertem Weltkrieg erheben sich die Menschen auf der ganzen Welt, als Indigene in Chiapas oder als prekäre Chainworker in den Metropolen; als von Abwicklung bedrohte fordistische ArbeiterInnen in Südkorea oder als ihres Wohlstands beraubte Mittelschicht in Argentinien. Sie kämpfen, sie sind aggressiv, aber ihre Bewaffnung bleibt passiv, Verteidigung gegen einen Krieg der Homogenisierung und Fragmentierung, einen gewaltsamen Globalismus. »Du wirst nicht mehr du sein, jetzt bist du wir«, sagte Marcos und schuf den identitätsstiftenden Mythos der Globalisierungskritik.

Mit dem 11. September und dem daraufhin entfachten globalen Krieg gegen den Terror wurde Marcos’ Begriff des vierten Weltkrieges radikal entwendet. Gleichzeitig geriet die Mythologie der Globalisierungskritik ins Wanken, bevor sie sich zu einer geschichtsmächtigen Kraft formieren konnte. Deswegen ist es kein Wunder, dass nun an der Verteidigung der Mythologie gearbeitet wurde. Der Film »Der vierte Weltkrieg« des Big Noise Medienkollektivs New York stellt einen bemerkenswerten Versuch dar, eine solche Verteidigungsrede zu führen. Entstanden ist ein stilsicheres, technisch und ästhetisch professionelles Werk der Pop-Propaganda. Schnelle Schnitte, Musikvideostil, Bilder von Sicherheitskräften, Steinwürfen und Tränengaswolken, Musik und zwei vibrierende Stimmen, die hypnotisch wiederholen: wir, wir, wir. Wir in Argentinien, wir in Mexico, wir in Korea, wir in Genua, wir in Jenin!

Das »Wir« des Films wird durch eine rabiate Montage flüchtiger Eindrücke von den Konfliktsituationen hergestellt. Wenn es ein Musikvideo für eine NuMetal Band wäre, dies alles wäre nicht der Rede wert. Aber dieser Film wurde beim Europäischen Sozialforum in London gezeigt und war in Berlin im Rahmen des Media Activist Gathering zu sehen. Indymedia gehört zu den Unterstützern des Films, und man versteht sich »als Beitrag und Ausdruck einer weltweiten Vernetzung von Initiativen gegen den Neoliberalismus«. Die Kameraführung, die den teilnehmenden Indymedia-Stil um die Methode der direkten Frontbererichterstattung der kommerziellen Fernsehsender ergänzt, soll nach Aussage der AutorInnen der filmische Ausdruck des Zapatisten-Mottos des fragenden Voranschreitens sein. Doch die emotionalisierende Kamera verlangt Parteinahme für jeden Molli der Welt und behindert damit gerade die Reflexion über seinen Sinn.

Dass der Film in Deutschland bereits kontrovers diskutiert wird, hat auf den ersten Blick wenig mit dieser kruden Ästhetik zu tun. Das Problem heißt dagegen Palästina. In einer Besprechung des Filmes, die vom europäischen Vertrieb CineRebelde in Freiburg verbreitet wird, behandelt man den Teil des Films, der sich mit der israelischen Eroberung Jenins 2002 beschäftigt, als Ausnahme. »Es ist verkürzt zu suggerieren, dass israelische Panzer Neoliberalismus durchsetzen wollen oder steinewerfende Kinder in Palästina sich gegen Freihandel wehren«, heißt es, und treffender kann man es wohl kaum ausdrücken. Für den Rest des Filmes soll der Vorwurf plakativer Verkürzung jedoch nicht gelten. Im Gegenteil. »Ein Film, der mit inspirierenden Bildern und poetischen Worten über die weltweiten sozialen Bewegungen gegen den Neoliberalismus erzählt.«

Doch der Film kommt immer wieder auf Jenin zurück, am signifikantesten wohl unmittelbar nach dem Blick auf den Tod Carlo Giulianis in Genua, der als einschneidende Zäsur inszeniert wird. Zu den Worten »Dieses Verbrechen wurde mitten auf dem Platz begangen« wechselt das Bild in ein Krankenhaus, wo ein verwundetes palästinensisches Mädchen unter den Tränen des Vaters stirbt. Darauf heißt es im Film: »Seit 2000 tötete die israelische Armee jeden dritten Tag ein palästinensisches Kind.«

Ob USA, England, Frankreich, Italien oder Spanien, selbst in Israel hat die globalisierungskritische Bewegung eine ziemlich eindeutige, pro-palästinensische Meinung über den Konflikt. Und dass die amerikanischen AutorInnen des Filmes keine Rücksicht auf die deutsche Wahrnehmung nehmen, das will ihnen niemand ernstlich vorhalten. Dennoch bringt das Unbehagen über die ambivalenzlose Meinungsmache gegen Israel die wirkliche Schwäche des ganzen Filmes hervor. Sie entlarvt die paternalistische Projektion, die der Globalisierungskritik der neunziger Jahre innewohnte. Ihr »Wir« wurde gegen ein »Sie« gebaut, das nicht existierte, das man nicht greifen konnte, das sich insgeheim wohl viele wünschten.

Neoliberalismus bedeutete dagegen einen globalen Rückzug des Politischen. Wenn es die gesamten neunziger Jahre etwas nicht gab, dann einen globalen Souverän, ein homogenes »Sie«, eine klare Frontlinie. In den USA unter Clinton gab es nicht mal das Interesse, dieser Souverän zu werden.

Die produktiven Momente der alternativen Bewegungen der Neunziger bestanden deswegen immer im Erschaffen von autonomen Räumen, nicht aber in der politischen Konfrontation mit Schattenmächten.

Als globale revolutionäre Bewegung funktionierte die Globalisierungskritik dabei nicht. Es waren die Terrorattacken vom 11. September 2001 (und nicht die Ausschreitungen in Genua), die einen radikalen Antagonismus, eine globale Konfliktlinie schufen. »Another world is possible« wurde zur handfesten Drohung. Und das ist der Krieg, den wir erleben.

Wenn nun – wie im Film – versucht wird, die Geschichte eines vierten Weltkrieges des Neoliberalismus gegen die Menschen fortzuschreiben, entsteht eine Ideologie, die blind ist für die alte Einsicht, dass Widerstand nicht per se gut ist. Die Täter des 11. September werden als ideologisch handelnde Akteure komplett ignoriert, der palästinensische Nationalismus wird als Teil der weltweiten Verteidigung indigenen Bodens gegen die Interessen des globalen Kapitals inszeniert. In dieser Logik sind europäische oder koreanische Arbeitnehmer nicht mehr für ihren Standortpatriotismus kritisierbar, und Männer, die Barrikaden bauen und Straßenkämpfe führen, können nicht als Machos entlarvt werden, weil sie alle ja »Wir« sind.

Die Sozialgeschichten Argentiniens, Mexikos und Südafrikas sind nicht mehr singuläre Fälle einer komplexen Welt, sondern bloß Teile der einen großen Erzählung.

Ein radikaler, ein kritischer Film, der heute von der Welt erzählen will, kann nicht der Logik des omnipräsenten »Wir gegen sie« folgen. Er wird kein Bericht von den »vordersten Fronten aktueller sozialer Konflikte« sein, der auf krude Weise manipuliert, um einen pseudoemanzipatorischen Mythos zu schaffen.

Er würde dagegen versuchen zu zeigen, wo die Logik des »Wir gegen sie« nicht aufgeht und wie Menschen versuchen, sich dieser Logik zu entziehen. Beim »Vierten Weltkrieg« ist nicht mitmachen angesagt, sondern desertieren!