Angst vorm Alleinsein

Die Mitglieder der französischen Sozialistischen Partei haben sich überraschend deutlich für den EU-Verfassungsentwurf ausgesprochen. von bertold du ryon

Es sieht so aus, als ob Frankreichs Wahlvolk früher als geplant über die Annahme oder Ablehnung des Entwurfs für eine EU-Verfassung entscheiden soll. Möglicherweise bereits im April oder Mai will Staatspräsident Jacques Chirac das Referendum abhalten und nicht erst, wie er zum diesjährigen Nationalfeiertag am 14. Juli bekannt gab, »im zweiten Halbjahr 2005«. Denn andernfalls, so räsonieren derzeit die Konservativen, könne die »Dynamik zugunsten der Zustimmung« wieder verloren gehen, die durch das Ergebnis der Mitgliederbefragung bei der Sozialistischen Partei (PS) am Mittwoch vergangener Woche entstanden sei.

100 000 der offiziell registrierten 120 000 Parteimitglieder nahmen an der Abstimmung teil, bei der die Befürworter des Verfassungsentwurfs mit 59 Prozent unerwartet deutlich gewannen. Dadurch wurde eine 20jährige Auseinandersetzung endgültig entschieden. Im Frühjahr 1983 hatte sich der Regierung unter dem sozialistischen Präsidenten François Mitterrand die Frage gestellt, ob sie an ihren angekündigten progressiven Sozialreformen festhalten und aus dem damaligen europäischen Währungssystem ausscheren solle. Darin war der französische Franc durch einen festen Wechselkurs an die stärkere »Leitwährung«, die D-Mark, angekoppelt. Durch den Abwertungsdruck auf die Währung des »sozialistischen« Frankreich, der aus der Abwanderung von Kapital und diversen wirtschaftlichen Pressionen resultierte, hätte Paris bei einer Fortsetzung des ursprünglichen Kurses aus dem Währungsverbund ausscheren müssen. Gegen erheblichen Widerstand entschieden sich Mitterrand und die Führung der Sozialisten für den »wirtschaftlichen Realismus«.

Seitdem wurden der Verzicht auf marxistische Ideen und die »sozialistische Transformation der Gesellschaft« in der Partei stets mit dem »Respekt vor den europäischen Verpflichtungen« begründet. Auch deswegen war die innerparteiliche Abstimmung über die EU-Verfassung, die künftig die Mitgliedsländer auf eine neoliberale Politik und den Aufbau einer europäischen Rüstungsindustrie festlegen soll, historisch belastet.

Ausschlaggebend war wohl letztlich die Angst davor, in Europa isoliert zu werden. So hatten deutsche und britische Sozialdemokraten ihre französischen Kollegen heftig beschworen, »Europa nicht wegen der Verfassung aufs Spiel zu setzen«. Dazu kam, dass der PS-Vorsitzende, François Hollande, indirekt mit Rücktritt und organisatorischem Chaos drohte, falls sich die Gegner der Verfassung durchsetzen sollten.

Auch die Grünen hatten erheblichen Druck erzeugt. Ihr neoliberaler Flügelmann Daniel Cohn-Bendit hatte damit gedroht, im Falle einer Ablehnung bei der nächsten Parlamentswahl den Sozialisten Schwierigkeiten zu machen. Zuvor hatte Cohn-Bendit lautstark gefordert, jene Länder, die den Verfassungsentwurf ablehnen, sollten gleich aus der EU austreten.

Dagegen ging die Rechnung des ehemaligen Premierministers Laurent Fabius, durch eine erfolgreiche Nein-Kampagne sein Image als wirtschaftsliberaler Technokrat abzulegen, nicht auf. So wurden durch das Ergebnis der Mitgliederbefragung auch wichtige Vorbereitungen für die künftige französische Innenpolitik getroffen. Fabius scheint sich für die sozialistische Präsidentschaftskandidatur diskreditiert zu haben.

Am selben Tag urteilte das Versailler Berufungsgericht in einem Korruptionsverfahren über den konservativen Technokraten und früheren Premier Alain Juppé. Anstatt für zehn Jahre, wie die Richter von Nanterre in erster Instanz entschieden, soll ihm das passive Wahlrecht nur noch für ein Jahr aberkannt werden. Damit steht Chiracs Lieblingskandidat für seine Nachfolge nach wie vor zur Verfügung. Das ist Pech für den neuen Chef der konservativ-liberalen Einheitspartei UMP, Nicolas Sarkozy.