Freiheit hinterm Pflug?

Soll die emanzipierte Gesellschaft aussehen wie im Mittelalter oder wie im Science Fiction? Gedanken über Technologie und Freiheit von ferdinand muggenthaler

Eine Querfront hat Ivo Bozic in seiner Eröffnung der Debatte (Jungle World 47/04) vergessen: reaktionäre Katholiken gemeinsam mit Linken gegen die Gentechnik. Dabei liegt die Frage, welcher Zusammenhang sich zwischen Technik und Emanzipation herstellen lässt, angesichts der Geschichte linker Bewegungen nahe. Maschinenstürmerei und der Glaube an die Segnungen des technisch-wissenschaftlichen Fortschritts begleiten ihre Entwicklung.

Eine große Schar linker Technikfetischisten berief sich in der Vergangenheit auf Marx’ Theorem von der Dialektik von Produktivkräften und Produktionsverhältnissen. »Die Entwicklung der Produktivkräfte der gesellschaftlichen Arbeit ist die historische Aufgabe und Berechtigung des Kapitals. Eben damit schafft es unbewusst die materiellen Bedingungen einer höheren Produktionsform.« Marx hatte es wohl nicht ganz so gemeint, aber seine Epigonen identifizierten die Produktivkräfte mit der Technik. So ließ sich ein prima Rezept gewinnen: Fördert nach Kräften den technischen Fortschritt! Ist er nur weit genug gediehen, dann erfordert er fast zwangsläufig eine höhere Produktionsform, den Sozialismus. Lenin verlängerte das Rezept in die Zeit nach der Revolution, als er die Formel aufstellte: Sowjetmacht + Elektrifizierung = Kommunismus.

Heute herrscht in linken Kreisen bis auf Ausnahmen das Gefühl vor, der technische Fortschritt diene der Intensivierung der Ausbeutung des Menschen und der Zerstörung der Natur. Doch bevor ich auf die marxistisch inspirierte Debatte zurückkomme, ein kleiner Exkurs.

Statt zu fragen, ob die Technik der Emanzipation dient, lohnt vielleicht die Frage: »Welcher Befreiung könnte welche Technik dienen?« Die Fortschritte im Ackerbau befreien uns vom Zwang, einen Großteil der menschlichen Energie und Zeit der Nahrungsbeschaffung zu widmen. Sie befreien faktisch aber auch viele Kleinbauern von ihrem Arbeitsplatz. Ein Mindestmaß an technischer Entwicklung ist eine notwendige (aber nicht hinreichende) Bedingung für jede Art menschlicher Freiheit. So weit, so banal.

Interessant wird’s im Detail. Beschränkt man sich auf die neuesten technischen Errungenschaften, dann könnten sie die individuellen Möglichkeiten erheblich erweitern. Angefangen von Verhütungsmitteln, die Sex von der Fortpflanzung befreiten, über künstliche Befruchtung, die das Kinderkriegen vom Sex befreiten, bis zur vorgeburtlichen Gendiagnostik, die die Auswahl der Gene des Nachwuchses vom Zufall zu befreien verspricht. Die plastische Chirurgie schafft die Freiheit, sich auch nachgeburtlich von den Launen der Natur loszumachen, zukünftiges Enzym-, Hormon- und Gendoping wird der menschlichen Entscheidung noch ganz andere Freiheiten verschaffen.

Trotzdem hält ein Großteil der Linken diese Techniken nicht für emanzipativ. Man ist mit Francis Fukuyama der Meinung, dass gerade die Gentechnik nicht zu mehr Freiheit führt, sondern die Menschenwürde zerstört und damit die Grundlage bürgerlicher Freiheitsrechte. In welche Freiheit soll also eigentlich die Emanzipation führen, die Linke so gerne zu ihrem Maßstab machen?

Ende des Exkurses und zurück zur marxistisch inspirierten Debatte. Wenn hier von Emanzipation und Technik die Rede ist, geht es nicht um die Frage, ob ich mich beim Joggen mit oder ohne Mp3-Player freier fühle, ob ich eher die Befreiung vom Schuh als Fortschritt empfinde oder das neueste Modell von Adidas mit eingebautem Computer, der die Federung dem Untergrund anpasst. (Für eine Zeitung, die eine Rubrik »liebe Ware« führt, ist das aber eine durchaus spannende Frage.) Es geht nicht um individuelle Emanzipation, sondern um allgemein menschliche. Es geht darum, selbstbestimmt und nicht von der Verwertungslogik getrieben die Geschicke der Menschheit in die Katastrophe oder ins schöne Leben für alle zu steuern.

Kaum jemand, der sich irgendwie einer marxistischen Tradition verpflichtet fühlt, baut dabei heute noch auf den technischen Fortschritt als zuverlässigen Motor zur Überwindung des Kapitalismus als Voraussetzung für diese allgemein menschliche Emanzipation. Wer vertritt noch die Position von Rosa Luxemburg, die schrieb: »Jede technische Umwälzung widerstreitet den Interessen der direkt davon berührten Arbeiter und verschlechtert ihre unmittelbare Lage, indem sie die Arbeitskraft entwertet, die Arbeit intensiver, eintöniger, qualvoller macht. Insofern sich die Gewerkschaft in die technische Seite der Produktion einmischen kann, kann sie offenbar nur (…) sich Neuerungen widersetzen. In diesem Falle handelt sie aber nicht im Interesse der Arbeiterklasse im Ganzen und ihrer Emanzipation, das vielmehr mit dem technischen Fortschritt (…) übereinstimmt, sondern gerade entgegengesetzt, im Sinne der Reaktion.«

Von diesem plumpen Glauben an die befreiende Kraft der Technik haben sich die Linken überwiegend verabschiedet. Aber nichts ist an seine Stelle getreten. Bei der Suche nach einer Utopie verklärt sich deshalb bei vielen der Blick auf die vorkapitalistischen Zustände. Lokale Produktion, Subsistenzwirtschaft, indigene Gemeinschaften erscheinen in einem romantischen Licht, Maschinenstürmer gelten als Urväter des Widerstands gegen die kapitalistischen Verhältnisse.

Dabei scheint es banal, dass erst eine fortgeschrittene Technik die notwendige Arbeit so radikal reduziert, dass die verfügbare Zeit eine selbstbewusste Beteiligung aller Menschen an der Gestaltung ihrer unmittelbaren und mittelbaren Lebensbedingungen möglich macht. Außerdem sprach Marx nicht von der Entwicklung der Technik, sondern von der Entwicklung der Produktivkräfte im Kapitalismus. Kräfte im Sinne von Möglichkeiten sind nicht direkt greifbar, sondern äußern sich nur in der konkreten Produktion. Ihre Entwicklung lässt sich nur indirekt an der eingesetzten Maschinerie, der Organisation der Arbeit und den Arbeitenden ablesen. Der aktuelle Stand der Produktivkräfte würde vielleicht auch eine ganz andere Technik zulassen.

So ist es kein Wunder, dass zwar der an der konkreten Maschinerie klebende Fortschrittsoptimismus von Linken weitgehend aufgegeben wurde, nicht aber das Konzept, nach dem sich die Produktivkräfte im Schoße des Kapitalismus so weit entwickeln, bis sie schließlich in scharfem Widerspruch zu den Produktionsverhältnissen, der privat organisierten Warenproduktion, stehen.

Diese Idee steckt auch in der linken Begeisterung für Internetkommunikation, Open-Source-Software und Raubkopiererei, auch wenn diese oft nur als Nischenphänomene gesehen werden. Antonio Negri und Michael Hardt wagen dagegen erneut den Sprung auf die globale Ebene. Diesmal sei es wirklich so weit, der Widerspruch zwischen Produktivkräften und Produktionsverhältnissen könne zur Überwindung des Kapitalismus genutzt werden. Die Multitude, die sich zwar erst noch als kämpfende Klasse konstituieren müsse, habe die Chance dazu, behaupten sie in ihrem gleichnamigen Buch.

Bei Negri und Hardt heißt das Ziel der Emanzipation »wahre Demokratie«, und sie machen auf 400 Seiten allerlei Ausflüge ins römische Reich, in die Theologie, zur Agrartechnik und Bewegungsromantik. Die zentrale Argumentationsfigur ist aber die von den Produktivkräften, die nicht mehr recht zu den kapitalistischen Produktionsverhältnissen passen wollen. Die These – sie steht auf wackliger Grundlage – lautet: Immaterielle Arbeit hat die Industriearbeit als hegemoniale Form abgelöst. Das Schöne und Antikapitalistische daran sind die Netzwerke und die gemeinsame Arbeit.

Auch wenn quantitativ die Produktion von Ideen, Programmcodes, Affekten, Beziehungen, Wissen nur einen kleinen Teil der weltweit geleisteten Arbeit ausmacht, so sei sie doch qualitativ prägend. »Allgemein tendiert die Hegemonie der immateriellen Arbeit dazu, die Produktionsorganisation zu verändern: von den linearen Beziehungen am Montageband zu den kombinatorischen und nicht festgelegten Beziehungen im verteilten Netzwerk.« Diese Art der Arbeitsorganisation schaffe deutlicher als je zuvor gemeinsame Verhältnisse und gemeinsame gesellschaftliche Formen. »Die wichtigsten Formen produktiver Kooperation werden nicht mehr als Teil der Planung der Arbeitsorganisation vom Kapital geschaffen, sondern erwachsen aus den produktiven Energien der Arbeit selbst.« Wozu da noch das Kapital, zumal auch noch Güter geschaffen werden, die man locker teilen kann, ohne sie selbst zu verlieren? »Wenn Kommunikation, affektive Beziehungen und Wissen produziert werden, kann das, im Unterschied zu Autos und Schreibmaschinen, unmittelbar die Sphäre dessen, was gemeinsam ist und von allen geteilt wird, erweitern.« Eigentlich gilt es nur noch, das Copyright abzuschaffen.

Ob der Kapitalismus nun endlich reif ist oder nicht, ist letztlich eine Frage, die sich erst rückblickend beantworten lässt. Die Auflösung des proletarischen Produzentenstolzes durch die Flexibilisierung der Arbeitsverhältnisse muss nicht zu revolutionärem Bewusstsein führen, sondern kann auch vom Stolz des Selbstunternehmers abgelöst werden. Und dass es bestimmte, tatsächlich neuartige Probleme bei der Verwertung von mit heutiger Technik beliebig kopierbaren Gütern gibt, heißt noch lange nicht, dass sich neue Perspektiven für den Teil der Menschheit eröffnen, der bislang noch keinen CD-Brenner sein eigen nennt. Und dabei ist die Frage noch gar nicht gestellt, was die Multitude nach dem Ende des Kapitalismus anstellen würde.

Aber auch wenn man sich nicht die Erfüllung seiner Sehnsüchte vom wachsenden Widerspruch zwischen Produktivkraftentwicklung und Produktionsverhältnissen erhofft, lohnt der Versuch, die in der Entwicklung der Technik aufscheinenden menschlichen Möglichkeiten zu sehen. Er liefert sicher keine Antwort auf die Frage, was denn nun wirklich links sei oder wie die wahre Emanzipation auszusehen habe. Aber er hilft beim Nachdenken darüber, was wir wollen können, wie es Stefan Ripplinger (49/04) fordert. Er hilft, das Denken am Gegebenen zu schärfen. Und wer trotzdem eine Utopie braucht, sollte sich lieber in der Science Fiction bedienen als im Mittelalter.