Clean City

Vor zehn Jahren eröffnete in Frankfurt am Main der erste Druckraum in Deutschland. Heute geht es der Stadt vor allem darum, Armut und Elend unsichtbar zu machen. von jesko bender

Die Eingangstür markiert die Grenze. Auf der einen Seite liegt die Straße, auf der anderen der Druckraum. Hier ein Leben voller Stress und Repression, dort ein wenig Ruhe und ein rechtlich weitgehend geschützter Bereich. So lässt sich die Atmosphäre in und vor Frankfurter Druckräumen beschreiben. Seit August dieses Jahres hat die Stadt ein neues Projekt, um die Drogenszene vollständig unter Kontrolle zu bringen. »Ossip« steht als Abkürzung für »Offensive Sozialarbeit, Sicherheit, Intervention, Prävention« und soll »im Zusammenwirken von Drogenhilfe und Polizei (…) die Situation für die Drogenkonsument/innen und die von der offenen Drogenszene im Bahnhofsviertel betroffenen Bürgerinnen und Bürger« verbessern. So beschreibt es jedenfalls das Drogenreferat der Stadt auf seiner Homepage.

Im November zogen die Beteiligten eine erste Bilanz, die jedoch keinen Zweifel daran ließ, dass bei dem Projekt der ordnungspolitische Ansatz dominiert. Zwischen August und Anfang November habe die Polizei allein im Frankfurter Bahnhofsviertel etwa 8 000 mutmaßliche Drogenkonsumenten und -dealer kontrolliert, also knapp 90 am Tag. 480 Strafanzeigen wegen eines Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz seien gestellt worden, und sieben Drogenkonsumenten, die nicht in Frankfurt wohnten, habe man dazu gebracht, die Stadt zu verlassen, sagte der Gesundheitsdezernent Nikolaus Burggraf (CDU) der Frankfurter Rundschau. Ihnen sollen weitere folgen. Er wolle mit dem Programm den »harten Kern von etwa 150 unerreichten Drogenkonsumenten« in die Hilfseinrichtungen bringen.

Der öffentliche Drogenkonsum werde durch »Ossip« »konsequent untersagt«, erklärt die Leiterin des Drogenreferats, Regina Ernst. »Das Erscheinungsbild im Bahnhofsviertel hat sich verbessert.« Zu Beginn des Projekts müssen sich jedoch skurrile Szenen abgespielt haben. Polizeibeamtinnen und -beamte seien mit gelben Eimerchen eifrig durch die Straßen gezogen und hätten den Drogenkonsumenten ihre Spritzen regelrecht aus den Händen gerissen, berichtet eine Sozialarbeiterin.

Ein anderer Sozialarbeiter, der im Bahnhofsviertel mit Drogenabhängigen arbeitet, sagte der Frankfurter Rundschau, dass »Ossip« und das damit verbundene Vorgehen der Behörden eine »gravierende Veränderung in der Frankfurter Drogenpolitik« darstelle. Sie diene letztlich nur dazu, das Bahnhofsviertel für die bevorstehende Fußballweltmeisterschaft »sauber zu kriegen«. Jürgen Klee, der Koordinator von »Ossip« und Leiter des von der Aids-Hilfe betriebenen Drogenhilfezentrums »La Strada«, widerspricht dieser Sichtweise. Es gebe keinen Zusammenhang mit der WM. Wenn es nur darum ginge, »würde es schließlich reichen, kurz vor der WM die Polizei durch das Viertel zu schicken«, sagte er der Jungle World. »Ossip« sei eine Weiterentwicklung des seit zehn Jahren erfolgreichen Konzepts der niedrigschwelligen, akzeptierenden Drogenhilfe.

Seitdem am 2. Dezember 1994 in Frankfurt der erste Druckraum Deutschlands eröffnete, galt die Drogenpolitik der Stadt als liberal und vorbildlich. Damals war Frankfurt neben Hamburg die Drogenmetropole Deutschlands. Rund um die Taunusanlage, die zwischen dem Bahnhofs- und dem Bankenviertel liegt, hielten sich zeitweise hunderte von Drogenkonsumenten auf. Im November 1992 begann die Polizei, mit Großeinsätzen die dortige Drogenszene zu zerstreuen. Aus den Hilfsprojekten, die schon zu diesem Zeitpunkt existierten und die beispielsweise den Spritzentausch für die Abhängigen organisierten, ging dann der erste Druckraum hervor.

Grundlegend für diese Form der Drogenpolitik war der »Frankfurter Weg«, der nicht mehr nur Repression praktiziert, sondern sowohl die Lebenssituation der Süchtigen verbessern als auch die Begleiterscheinungen des Drogenkonsums verringern will. Voraussetzung dafür war eine enge Zusammenarbeit zwischen den Trägervereinen, der Stadt und der Polizei. Heute gibt es in Frankfurt vier Druckräume, in denen Drogenabhängige ihre mitgebrachten Drogen konsumieren können. Außerdem beteiligt sich die Stadt seit März 2003 an einem Modellprojekt zur kontrollierten Heroinabgabe.

Die Drogenpolitik sei »in Frankfurt inzwischen unumstritten«, meint Klee. Ein großes Problem sei es allerdings, »dass Drogen und Aids zunehmend aus dem öffentlichen Bewusstsein gerückt« seien und die Hilfsprojekte deshalb mit der Kürzung ihrer finanziellen Mittel zu kämpfen hätten. Bereits Anfang 2003 hätten die Druckräume ihre Öffnungszeiten einschränken müssen. Derzeit habe zwischen 23 und sechs Uhr keine Einrichtung mehr geöffnet. Im Rahmen der Haushaltsplanung soll der Magistrat nun sogar prüfen, ob nicht die Suche nach neuen Trägern für die Drogenhilfeeinrichtungen weitere Einsparungen möglich machen könnte.

Klee hält von diesen Überlegungen nichts. »In Hamburg ist dieser Versuch komplett gescheitert«, sagte er. Dort hat ein Bremer Trägerverein die Arbeit übernommen und nach einem Jahr aufgegeben. Ein maßgeblicher Grund für sein Scheitern war es, dass kaum Kontakt zur örtlichen Drogenszene bestand.

In Frankfurt sind die Druckräume indessen der einzig verbliebene Ort, an dem sich die Drogenszene zumindest kurzfristig aufhalten kann. Sobald die Junkies ihre Zeit aber im Viertel selbst verbringen wollen, greift die Polizei durch. Bereits jetzt sind die Konsumenten sogar auf dem Weg zu den Druckräumen den Maßnahmen der Polizei ausgeliefert. Immer öfter würden Menschen unmittelbar vor den Einrichtungen von Polizisten durchsucht, teils würden ihnen sogar die Drogen, die sie sich kurz zuvor beschafft hätten, abgenommen, erzählt eine Sozialarbeiterin.

Dass ein solches Vorgehen der Polizei möglich ist, liegt daran, dass der Drogenkonsum auch in den Druckräumen immer noch in einer rechtlichen Grauzone stattfindet – auch wenn die hessische Landesregierung im September 2001 die »Verordnung über die Erlaubnis für den Betrieb von Drogenkonsumräumen« erlassen hat, die noch bis zum Jahresende 2006 gilt. Diese schreibt beispielsweise die Zusammenarbeit »insbesondere mit den zuständigen Polizeidienststellen« vor, um »frühzeitig Störungen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung (…) zu verhindern«. Drogen in Mengen, die über den Eigenbedarf hinausgehen, zu besitzen, zu kaufen oder zu verkaufen, ist nach wie vor ein Straftatbestand. Deshalb ist die Repression gegen Drogenabhängige immer auch bestimmt von den aktuellen Diskursen über das Erscheinungsbild der Stadt, Sauberkeit und Sicherheit.

Diese betreffen derzeit insbesondere das Frankfurter Bahnhofsviertel. Erst im November stellte die Stadt ein Förderprogramm zur Aufwertung des Bahnhofsviertels in Höhe von zehn Millionen Euro vor. Es scheint inhaltlich gut mit dem Projekt »Ossip« zu harmonieren. Denn das Förderprogramm hat sich eine so genannte Wohnumfeldverbesserung in dem Stadtteil zum Ziel gesetzt. »Die Nutzungsvielfalt soll erhalten, aber verträglicher gestaltet werden«, heißt es. Eine Aufwertung des Bahnhofsviertels könne die »sich insgesamt abzeichnende Verschlechterung des Erscheinungsbildes einzelner Straßenzüge« beenden.

Das bedeutet wohl auch, dass man die Drogenszene bald gar nicht mehr sehen wird.